Drei Jahre lagen zwischen der Tat und dem Urteil am Dienstag. Für die jungen Männer, die damals im Stettener Jugendzentrum verprügelt wurden, war der Prozess dennoch sehr wichtig.
Einer von ihnen sitzt als Nebenkläger in der Verhandlung vor dem Jugendschöffengericht den Angeklagten gegenüber.
In einer Auseinandersetzung mit ihnen hat er vor drei Jahren eine Schädelprellung erlitten, ihm war die Nase gebrochen worden, ein Flaschenwurf riss ihm eine Platzwunde am Hinterkopf auf. Drei andere Jugendliche, die ihm damals beisprangen, hatten alle je ein blaues Auge, blutende Nasen und Beulen abgekriegt.
Die Vorgeschichte
Es war der 19. Februar 2022, als in den Räumen des Stettener Jugendzentrums ein Mädchen ihren 18. Geburtstag feiert. Zeitgleich feiern anderswo einige Jungs in Hechingen in einer Wohnung, wo die Eltern verreist sind. „Das war das erste Mal sturmfrei, ich durfte sonst nie Freunde nach Hause mitbringen“, erzählte ein Angeklagter vor Gericht. Musik hören, quatschen, tanzen, viel Alkohol. Nachts um 2 Uhr dann der Anruf von einem Freund, in Stetten sei im Jugendzentrum noch was los. „Wir dachten, das ist öffentlich“, so einer der Angeklagten. Zu viert machen sie sich auf, zwei Wodkaflaschen sind ihre Mitbringsel.
Die Prügelei
Als sie im Jugendzentrum ankommen, sind sie nicht willkommen. Einer der Stettener Gäste dort, damals noch Jugendlicher und im Vorstand des Jugendzentrum-Vereins, weist sie an der Tür ab. Er sei freundlich geblieben, sagt er. Er habe sie beschimpft, so die Angreifer. So oder so kein Grund für das was folgt: Die Vier fallen über den Stettener her, schlagen auf ihn ein. Die Nase brechen sie ihm mit den ersten Schlägen, mutige Freunde von ihm springen ihm bei. „Wir wollten dazwischen gehen, die trennen, aber da wurde gleich geschlagen“, erzählte einer. Ein hin und her. Beim Rausgehen fliegt noch eine Wodkaflasche, die den Stettener am Kopf trifft.
Wer tut so etwas?
Die Angeklagten sind als Kinder nach Deutschland gekommen. Ukraine, Syrien, arabischer Raum. In der Pubertät Schulprobleme. Schon der Hauptschulabschluss schwierig. Sie spüren, dass sie niemand gut findet, wollen aber die Starken spielen. Drei von ihnen fallen in dieser Zeit wegen Körperverletzungen auf.
Wie sind sie heute?
Seit der Tat damals hat sich bei ihnen viel geändert. Bei keinem wurden mehr Prügeleien aktenkundig. Er trinke keinen Alkohol mehr, erklärt einer. Sie reden von Zielen, die sie jetzt haben. Einer steht in seiner Lehre kurz vor dem Abschluss, hat sich durchgekämpft, als seine Eltern wegzogen. Er blieb hier, finanziert sich mit viel Problemen sein Leben und seine Lehre selbst. Er mag seine Firma, sein Chef steht hinter ihm. Seine Anwältin zeigt sein gutes Zwischenzeugnis vor.
Das Straf-Problem
Alle vier haben Geldsorgen, teilweise Schulden. Vom Lehrlingsgehalt oder als Hilfsarbeiter verdient man nicht viel. Einer jobbt nur geringfügig, weil er sich aktuell selber beibringen will, wie man mit Kryptowährung reich wird. Die Richterin schaut entsetzt, als er ihr das großspurig erklärt. Drei leben noch bei ihren Eltern. Das ist ein Problem für die Strafzumessung. Ihnen hohe Geldstrafen aufbrummen, das könnte ihnen jede Perspektive nehmen. Da sie zur Tatzeit Jugendliche waren, wäre das nicht im Sinne des Gesetzgebers. Hier wird auf Besserung gesetzt.
Das Urteil
Für einen der vier Angeklagten wird der Prozess schon während des Verfahrens eingestellt. Er blieb bei dem Angriff im Hintergrund, niemand erinnert sich an ihn. 40 Arbeitsstunden sind seine Strafe. Die anderen drei werden unterschiedlich bestraft. Alle drei müssen Geldstrafen zahlen, die sich nach ihrem Einkommen richten. Ratenzahlung ist möglich. Das Geld geht an den Geschädigten. Einer erhielt zudem ein Jahr und zwei Monate Jugendhaft auf Bewährung, weil er zudem noch wegen eines Waffendelikts angeklagt war.
Erzieherische Absicht
Nur ein Angeklagter muss die Prozesskosten selbst tragen. Das ist der mit den Krypto-Plänen. Die Richterin macht ihm klar, dass er sich diese Fantasien schnell aus dem Kopf schlagen soll. Die Prozesskosten dürften hoch ausfallen. Wenn er aber seinen Minijob zur Vollzeitstelle umwandle, was ihm wohl schon angeboten wurde, dann wäre er in der Lage, das zu zahlen. Seine Mutter, die mit sorgenvollem Gesicht den Prozess verfolgt hat, nickt an dieser Stelle.
Und die Opfer?
Den vier Jungs, die damals angegriffen wurden, bietet der Prozess die Chance, ihre fast gleichaltrigen Angreifer kennenzulernen und die Tat zu verstehen. Jeder Angeklagte entschuldigt sich bei ihnen. Und sie erleben, wie der Staat nach drei Jahren in einem fairen Prozess in dieser Sache Strafen ausspricht, die in den jeweiligen Lebenssituationen der Angeklagten durchaus schmerzhaft sind.
Die Angst
Andererseits: „Das hat bei mir Spuren hinterlassen. Wenn ich heute abends einer Gruppe auf der Straße begegne, habe ich Angst“, berichtete der Nebenkläger, was ihm von diesem Abend bleiben wird.