Durch zentrale Verwaltung könnte Bund mehr Milliarden einnehmen, doch die Idee gilt politisch als chancenlos.
Berlin - SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel hat sich bei seinem Parteifreund, Finanzminister Nils Schmid, einen schweren Rüffel geholt. Er hatte angeregt, dass künftig der Bund für die Finanzverwaltung zuständig sein solle. Dabei ist der Vorschlag nicht so unsinnig, wie die scharfen Reaktionen vermuten lassen.
Wenn es um das Eintreiben von ertragsstarken Steuerarten geht, kämpfen die Länder an vorderster Front: Sie sind dafür zuständig, die Steuern auf Löhne und Gehälter sowie auf die Gewinne von Unternehmen zu erheben. Sie tun dies im Auftrag des Bundes, behalten den Anteil an den Gemeinschaftssteuern, der ihnen zusteht, und führen den Rest an den Bund ab. Dadurch werden die gleichen Gesetze von 16 Ländern umgesetzt, von denen sich jedes einen eigenen Apparat für die Steuerverwaltung leistet.
Deutschlands Steuer-Föderalismus treibt seltsame Blüten: Damit alle Länder die Gesetze gleich auslegen, verfassen die Beamten des Bundesfinanzministeriums jedes Jahr Schreiben in einer stattlichen Anzahl, die von den Sachbearbeitern in den über 600 Finanzämtern der Republik gelesen und möglichst auch beachtet werden sollen. Allein im Jahr 2006 waren dies 4427 derartige Schreiben. Da das Steuerrecht jedes Jahr komplizierter wird, dürfte der Papierwust, der aus Berlin in die Provinz kommt, heute eher noch umfangreicher sein.
Baden-Württemberg hat seit 2005 die Zahl der Betriebsprüfer um 8,2 Prozent reduziert
Ob sich dadurch mehr Gerechtigkeit erreichen lässt, ist zweifelhaft. Recherchen des Grünen-Finanzexperten Gerhard Schick haben im vergangenen Jahr ergeben, dass etwa in Niedersachsen statistisch 30 Finanzbeamte auf 10.000 Einwohner kommen, in Baden-Württemberg und Bayern aber nur zwölf. Bei der Anzahl der Steuerfahnder auf eine Million Einwohner ist der Südwesten laut Schick ebenfalls abgeschlagen: In Hamburg lag dieser Wert bei 52, im Südwesten dagegen nur bei 29. Auch bei den Betriebsprüfungen bot der Südwesten ein ernüchterndes Bild: Während andere Länder Betriebsprüfer eingestellt hätten, habe Baden-Württemberg seit 2005 die Zahl der Betriebsprüfer um 8,2 Prozent reduziert.
Anders sieht es lediglich bei der Prüfung von Steuerpflichtigen aus, die mehr als 500.000 Euro zu versteuern haben. Bei diesen sogenannten Einkommensmillionären erreichte der Südwesten mit einer Prüfquote von 38,7 Prozent bundesweit sogar einen überdurchschnittlichen Wert. Im Bundesschnitt wurden 19 Prozent der Einkommensmillionäre jährlich geprüft.
Durch Unterschiede zwischen den Ländern beim Steuervollzug geht dem Fiskus viel Geld verloren
Die Unterschiede beruhen nicht auf Zufall. Die Länder und Kommunen betreiben mit einem laxen Steuervollzug regelrecht Standortpolitik. Sie versuchen, Unternehmen anzulocken, indem sie hinter vorgehaltener Hand damit werben, bei Betriebsprüfungen und den Einkommensmillionären nicht so genau hinzusehen. Ein erfahrener Finanzbeamter sagte unserer Zeitung: „Es spricht sich bei Unternehmen sofort herum und hat Folgen für die Ansiedlungspolitik, wenn einzelne Länder schärfer kontrollieren.“
Das System des Länderfinanzausgleichs, bei dem finanzkräftige Länder wie Baden-Württemberg Milliarden an sogenannte Nehmerländer wie Berlin und Bremen abgeben, verdirbt den Länderfinanzministern regelrecht die Lust darauf, mehr Personal für genauere Betriebsprüfungen, eine bessere Steuerfahndung und mehr Kontrollen von Einkommensmillionären einzustellen. Ein einzelner Betriebsprüfer spiele zwar, wie es in Finanzbeamtenkreisen heißt, Mehreinnahmen von bis zu 1,5 Millionen Euro im Jahr ein. „Doch davon hat der Finanzminister eines Geberlandes nichts. Die Zusatzeinnahmen wandern über den Länderfinanzausgleich gleich wieder ab. Und er selbst bleibt auf den Personalkosten und den langfristigen Pensionsverpflichtungen sitzen.“
Durch die Unterschiede zwischen den Ländern beim Steuervollzug geht dem Fiskus viel Geld verloren. Laut einer Studie, die das Beratungsunternehmen Kienbaum aus Gummersbach in Nordrhein-Westfalen im Zuge der Föderalismusreform 2006 angefertigt hat, würden mit der Einführung einer Bundessteuerverwaltung im Jahr elf Milliarden Euro mehr Steuern einzunehmen sein als mit dem bisherigen zersplitterten System.
Unter dem Strich spricht also vieles für eine einheitliche zentrale Steuerverwaltung im ganzen Land. Dennoch gilt sie aus politischen Gründen als chancenlos – bereits im Zuge der Föderalismusreform wurde das Thema schnell wieder beiseite gelegt. Einer, der damals die Verhandlungen aus der Nähe beobachtet hat, erklärt, warum. Steuerfragen seien immer auch Machtfragen. Der Experte wagt eine Prognose: „Die Länderregierungen werden den Steuervollzug nie aus der Hand geben, weil sie wissen, dass sie mit den Verwaltungskompetenzen auch Macht an die Zentrale in Berlin abgeben würden.“