Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagt, dass er sein Bundestagsmandat weitere vier Jahre ausüben will. Voraussetzung ist, dass der Wähler so entscheidet und die Gesundheit mitspielt. Foto: dpa

Finanzminister Wolfgang Schäuble hält im Interview der Automobilindustrie vor, die Zeichen der Zeit nicht erkannt zu haben. Für die Zukunft Europas hat er auch einen Vorschlag.

Berlin - Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) übt Kritik an der Autobranche: Der Abgasskandal zeige, dass die Unternehmen unverantwortliche Risiken eingegangen seien. Wie es mit der Eurozone weitergeht, dafür hat er schon einen konkreten Plan.

 
Herr Schäuble, der Abgasskandal in der Automobilindustrie ist Thema im Wahlkampf. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz sagt, dass die Automanager die Zukunft verpennt hätten. Und die Kanzlerin meint, die Industrie habe unglaubliches Vertrauen verspielt. Schießt sich die Politik auf die Branche ein?
Man muss zwischen Herrn Schulz und der Kanzlerin schon unterscheiden. Tatsache ist: Die deutsche Automobilindustrie zeichnet sich durch ein hohes Maß an Leistungsfähigkeit aus. Deshalb wäre ich zurückhaltend mit der Bewertung, dass die Industrie die Zukunft verpennt. Die Autoindustrie ist auf den Weltmärkten sehr erfolgreich. Allerdings hat sich die Industrie nicht an Regeln gehalten. Offensichtlich wussten einige Hersteller, dass sie die Vorschriften unterlaufen. Damit sind sie Risiken eingegangen, die sie niemals hätten eingehen dürfen. Dafür trägt die Autoindustrie eine schwere Verantwortung. Sie hat sich selbst, der Wirtschaft und dem Land einen schweren Vertrauensschaden zugefügt. Das ist schlimm und sollte von niemandem kleingeredet werden.
Manche sagen, die Autobauer müssten an die Kandare genommen werden wie einst die Banken nach der Finanzkrise. Sind Sie für eine strengere Regulierung?
Die Finanzkrise ist dadurch entstanden, dass seit den neunziger Jahren alle geglaubt hatten, das Heil liege in der Deregulierung. Die Bankenkrise war zunächst einmal ein Regulierungsversagen. Wir haben daraus die Lehren gezogen. In der Automobilindustrie gibt es keinen Mangel an Regulierung. Unternehmen haben betrogen. Sie haben bestehende Regeln hintergangen. Es mag sein, dass wir alle zu wenig hingeschaut haben. Im Vordergrund aller politischen Bemühungen stand immer die Einhaltung der Klimaziele. Das ist der Grund, warum der Diesel eine rasante Entwicklung genommen hat. Inzwischen ist stärker bewusst geworden, dass Feinstaub und Stickoxidemissionen gesundheitliche Risiken beinhalten. Das muss die Industrie beachten.
Deutschland hängt wie kein anderes Land von der Autoindustrie ab. Was kann die Politik tun, um die Vertrauenskrise zu überwinden?
Zuerst einmal sind die Unternehmen gefragt: Die Frage, ob die Automobilindustrie oder die Internetfirmen die Autos der Zukunft bauen, ist nicht entschieden. Wir stellen fest, dass die deutschen Autobauer bei der Entwicklung der Elektromobilität nicht führend auf der Welt sind. Sie haben zu lange auf die Perfektionierung des Verbrennungsmotors gesetzt. Schon vor dem Dieselskandal gab es Anzeichen, dass die Autoindustrie die Zeichen der Zeit nicht richtig erkannt hat. Das ändert sich jetzt. Die Politik muss mit allem Nachdruck darauf bestehen, dass die Vorschriften eingehalten werden. Die Bundesregierung hat darüber hinaus zugesagt, dass sie dabei hilft, die Stickoxidbelastung in den Städten zu senken. Das soll möglichst ohne Fahrverbote gelingen. Beim Dieselgipfel haben wir das Programm für nachhaltige Mobilität in den Städten verabredet. Dafür bringen der Bund und die Automobilindustrie die Geldmittel auf. Ich hätte mir gewünscht, dass sich die Länder nicht nur mit gutem Rat, sondern auch finanziell beteiligen. Die Länder sind ja für die Kommunen zuständig, da dürfen sie sich ruhig auch engagieren. Es muss auch gelingen, die öffentlichen Fuhrparks in den Städten umzurüsten.
Einige fordern staatliche Anreize wie Kaufprämien oder Steuerboni, um alte Diesel aus dem Verkehr zu ziehen. Was halten Sie davon?
Eine staatliche Abwrackprämie wäre der falsche Weg. Es kann nicht sein, dass der Staat für Fehler in Haftung genommen wird, die von Unternehmen gemacht worden sind. Da gilt das Verursacherprinzip.
Deutschland verzeichnet zurzeit eine robuste Konjunktur. Steht die nächste Belastungsprobe bevor, wenn es zum Zinsanstieg kommt?
Mit der soliden Finanzpolitik der Bundesregierung sind wir gut aufgestellt. Ich hoffe, dass es in absehbarer Zeit zur Normalisierung der Geldpolitik kommt. Es gibt Anzeichen, dass die Europäische Zentralbank ( EZB) sehr behutsam den Ausstieg aus der extremen Niedrigzinsphase vorbereitet. Bei der Finanzierung der Bundesschuld haben wir in den vergangenen Jahren längere Laufzeiten gewählt und uns damit gegen Zinsänderungen abgesichert. Ein moderater Anstieg der Zinsen wird die Haushaltsplanung des Bundes nicht aus der Bahn werfen.
Die Union geizt in ihrem Wahlprogramm nicht mit Versprechen: Die Einkommensteuer soll sinken, der Soli langsam abgebaut werden, das Baukindergeld soll kommen, der Verteidigungsetat steigen, der Digitalpakt soll finanziert werden und das Kindergeld erhöht werden. Zugleich soll es bei der schwarzen Null bleiben. Was hat für Sie Priorität?
Wir versprechen nichts, was wir nicht auch halten können. Es gibt in der nächsten Wahlperiode einen gewissen Spielraum. Wir können bei Lohn- und Einkommensteuer durch die Korrektur des Tarifs um rund 15 Milliarden Euro entlasten plus weitere gezielte Maßnahmen etwa für Familien. Aber ich kann und will nicht in einen Wettlauf nach dem Motto „Wer bietet mehr?“ eintreten. In der Vergangenheit haben politische Mitbewerber mit zu großen Versprechungen Schiffbruch erlitten. Unser Wahlprogramm ist sicher ehrgeizig. Aber wenn Wachstum und Beschäftigung sich so entwickeln wie vorausgesagt, lässt es sich umsetzen.
Sie haben immer klar gemacht, dass es eine weitere Vertiefung in der Eurozone geben muss. Nachgedacht wird darüber, eine Art Schlechtwetterfonds zu mehr Vergemeinschaftung in der Eurozone einzuführen. Dieser Fonds könnte nach Naturkatastrophen oder bei Wirtschaftskrisen helfen. Eine gute Idee?
Die Idee ist dann richtig, wenn wir einen Mechanismus für die Währungsunion schaffen, der es erlaubt zu reagieren, wenn ein Land seine Herausforderungen allein nicht meistern kann. Mit dem Europäischen Rettungsfonds ESM haben wir eine gute Grundlage geschaffen. Der ESM verfügt immerhin über 80 Milliarden Euro eingezahltes Kapital. Mein Vorschlag lautet, dass wir den ESM weiterentwickeln. Der ESM soll bei der Krisenprävention im Euroraum eine stärkere Rolle spielen – so wie sie der Internationale Währungsfonds (IWF) für die Weltwirtschaft wahrnimmt. Das ist ein pragmatischer Schritt, um Europa voranzubringen. Ein solcher Europäischer Währungsfonds findet ja auch bei der Bundeskanzlerin und beim französischen Präsidenten Zustimmung. Dieser Fonds könnte immer dann einspringen, wenn ein Land finanzielle Herausforderungen nicht allein bewältigen kann. Es bleibt dabei, dass jeder Mitgliedsstaat zunächst nationale Anstrengungen unternehmen muss. Europa heißt aber auch, dass wir uns gegenseitig helfen in außergewöhnlichen Situationen. Der Europäische Währungsfonds könnte etwa einspringen, wenn eine Bankenkrise oder eine gewaltige Naturkatastrophe ein Land überfordert.
Sie selbst gehören zu den beliebtesten Politikern. Bald werden Sie 75. Warum ist es für Spitzenpolitiker so schwierig, den richtigen Zeitpunkt für den Rücktritt zu finden?
Ich habe mich nach einigen Überlegungen überzeugen lassen, noch einmal für den Bundestag zu kandidieren. Meine Frau sagt, ich hätte mich gern überreden lassen. Wenn die Bürger es so wollen, werde ich für vier weitere Jahre gewählt. Und wenn meine Gesundheit und der liebe Gott mitspielen, werde ich das Mandat ausüben. Ich mache das gern, das ist auch wahr.