Riege junger Filmschaffender: Harry Styles, Gemma Chan, Chris Pine (v.l.) spielen in Olivia Wildes (r.) neuem Film „Don’t Worry Darling“ mit und posierten in Venedig. Foto: dpa/Joel C Ryan

Stars und Filmgrößen auf dem Roten Teppich vor den Premieren. Auf die Jury der 79. Filmfestspiele von Venedig warten schwere Entscheidungen. Wir stellen die aussichtsreichsten Kandidaten für die Filmtrophäen vor.

Old-School in Form eines klassischen Westerns war bei Walter Hills „Dead for a Dollar” außer Konkurrenz auf den 79. Internationalen Filmfestspiele von Venedig geboten. Ein Kopfgeldjäger in Person des gewohnt linkisch agierenden Christoph Waltz, ein Outlaw (Willem Dafoe), der mit ihm eine Rechnung offen hat. Eine Frau (Rachel Brosnahan), die ihren gewalttätigen Ehemann (Benjamin Bratt) verlassen hat und mit einem afroamerikanischen Soldaten durchgebrannt ist. Ein Saloon, Poker und Whisky, Shootouts und weite Panoramaaufnahmen wie bei John Ford – und natürlich Budd Boetticher, dem der Film gewidmet ist.

Der Moderne verpflichtet, obwohl in den 1950ern verortet, ist „Don’t Worry Darling“ von Olivia Wilde. „Die Truman Show“ trifft auf „Die Frauen von Stepford“, etwas läuft gewaltig schief in Suburbia. Die Männer fahren in ihren chromblitzenden Schlitten zur streng geheimen Arbeit, die Frauen sorgen strahlend für ein blitzblankes Heim mit gut bestückter Hausbar. Trügerische Idylle zur beschwingten Musik von Perry Como und Perez Prado, elegant choreographierte Tanzeinlagen, in leuchtenden Farben von Matthew Libatique gefilmt.

Styles entzückt Teenies, Pugh ist zickig

Florence Pugh („Little Women“) und Pop-Superstar Harry Styles – amüsant-trefflicher O-Ton: „Der Spaß an der Schauspielerei besteht für mich darin, dass ich dabei das Gefühl habe, überhaupt nicht zu wissen was ich gerade tue.“ – geben das Ehepaar-Dreamteam. Doch mit der utopischen Harmonie ist es bald vorbei. Die gelackte Oberfläche bekommt Risse. Packend, aber eher dank des Stils als des Inhalts. Den kreischenden Teenies am Roten Teppich war das bei Styles Auftritt egal. Hysterie pur. Filmpartnerin Pugh hingegen zog sich den Groll der Journalisten zu, erschien sie doch nicht zur obligatorischen Pressekonferenz, bestach dafür abends bei der Gala mit glitzernder, hochgeschlitzter, schwarzsilberner Robe.

Überhaupt war das Star-Aufkommen vor den Premieren, die bei angenehmen Temperaturen und gutem Wetter stattfanden, groß. So gaben sich etwa Isabelle Huppert als Whistleblowerin Maureen Kearney in „La syndicaliste“, Colin Farrell als plötzlich verstoßener Kumpel und Saufkumpan von Brendan Gleeson in „The Banshees of Inisherin” – mit rekordverdächtigen 15 Minuten Standing Ovations belohnt – von Martin McDonagh („Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“), Tilda Swinton, die in Joanna Hoggs Geisterfilm „The Eternal Daughter“ in einer Doppelrolle als Mutter und Tochter zu sehen war, Penélope Cruz („L’immersitá“) und Virginie Efira („Other People’s Children“) die Ehre. Allesamt sind sie potenzielle Preisträgerinnen und Preisträger.

Heiß erwartet wurde Brendan Fraser („Die Mumie“), um den ist in den vergangenen Jahren etwas ruhiger geworden ist. Wer die Coppa Volpi als bester Darsteller gewinnen will, muss wohl an ihm vorbei. Er glänzt in Darren Aronofskys „The Whale“ als zurückgezogen lebender Englischlehrer. Mit Vorliebe für – was wohl? – „Moby Dick“, der wegen seiner extremen Fettleibigkeit, nur noch via Internet seine Kurse abhält. Schwer krank setzt er alles daran, sich mit seiner entfremdeten Tochter – Publikumsliebling Sadie Sink aus „Stranger Things“ – auszusöhnen. Ein Kammerspiel nach dem Theaterstück von Samuel D. Hunter, der auch das Skript schrieb. Eine One-Man-Show, der es an dramatischer Fallhöhe fehlt, was vom Spiel des (Anti-)Helden und den Bildkompositionen Libatiques wettgemacht wird.

Kammerspiel, Polit-Thriller, Liebesfilm

Ebenfalls zu überzeugen wusste Ricardo Darín als dauerrauchender Chefankläger Julio Strassera im Polit-Thriller „Argentina, 1985“. Santiago Mitre zeichnet den gleichermaßen schwierigen wie gefährlichen Prozess gegen die Militärchefs der ehemaligen Junta-Regierung nach. Gedeckte Farben, lange Schatten, schleichende Musik. Costa-Gavras („Z“) ist mit seinen Werken Pate gestanden. Menschenrechte, Gleichstellung und Freiheit sind Thema, böse Witze sorgen für Entspannung. Der Jury um Chefin Julianne Moore könnte das gefallen.

Als einfache, schnörkellose Geschichte besticht „Love Life“ des Japaners Koji Fukada. Der Titel verrät’s: Eine Liebesgeschichte um zwei Paare, die sich verlieren und wiederfinden. Optisch klar, einfach strukturiert, in allen handwerklichen Belangen perfekt umgesetzt. Für alle, die schon einmal eine Trennung durchlaufen haben, nachvollziehbar. Auf weitere Filme aus Fernost hat dieses ruhige Beziehungsdrama Lust gemacht. Aus China allerdings, sonst regelmäßig vertreten, war laut Festivalchef Alberto Barbera keine Produktion zu bekommen. Die Corona-Pandemie trug sicherlich dazu bei. Hauptgrund ist seiner Meinung nach jedoch, dass die Zensurmaßnahmen im Reich der Mitte erneut verschärft wurden und man unliebsame, kritische Filmemacher einfach mit Berufsverbot belegt, ihre Projekte nicht finanziell unterstützt oder gleich verhaftet. Bleibt nur auf Besserung hoffen.