Groß ist die Freude im baden-württembergischen Kunstministerium über den Oscar für den Dokumentarfilm über den russischen Oppositionellen Alexei Nawalny. Denn der Film hat eine starke baden-württembergische Note.
Gestern Hollywood, heute Mittnachtbau. Dort Glamour, hier Baustellenlärm. Der Kontrast ist erheblich. Der Freude über den Oscar tut das keinen Abbruch. Im Gegenteil. Staatssekretär Arne Braun empfing am Freitag im Kunstministerium Mitglieder der Film-Crew und andere Beteiligte des preisgekrönten Dokumentarfilms „Nawalny“, um auf den Erfolg anzustoßen.
Der russische Oppositionelle Alexej Nawalny, man erinnert sich, wurde im August 2020 Opfer eines Giftanschlags, den er nur knapp überlebte. Im Anschluss an die Behandlung in der Berliner Charité kurierte er sich in Ibach im Schwarzwald aus. Dort traf ihn der kanadische Regisseur Daniel Roher mit einem kleinen Filmteam. Der Kontakt war über das journalistische Recherchenetzwerk Bellingcat zustande gekommen. Bei den Filmaufnahmen ganz nah mit dabei: Tonmeister Marcus Vetter aus Stuttgart. Über viele Ecken war er zu dem geheimen Projekt gestoßen, das später für so viel Aufsehen sorgte.
Ein enges Verhältnis: der Tonmeister und Nawalny
Zwischen ihm und Nawalny entwickelte sich während der Dreharbeiten eine besondere Beziehung. Dazu trug bei, dass Vetter sich auf Russisch ausdrücken konnte und Nawalny zufällig Musik-Kompositionen des Tonmeisters kannte. Vetter, ein Multi-Ausprobierer und Kosmopolit mit Wurzeln in Gaildorf und Welzheim und Wohnsitz in Stuttgart und auf Bali, schildert Nawalny als „aufrichtigen und warmherzigen Typen“. Warum er nach Russland zurückgekehrt ist? „Er wollte Haltung zeigen.“ Nawalny sei der Meinung, dass er in Russland mehr zur Ablösung von Machthaber Putin beitragen könne als im Exil. Auch vom Gefängnis aus. Wie Nawalny, der in einem sibirischen Lager einsitzt, auf den Oscar reagierte, weiß Vetter nicht. Der Preis helfe jedoch, dass er nicht vergessen werde. Er könne eine Art „Lebensversicherung“ für den Kreml-Kritiker sein.
Zum Empfang im Kunstministerium ist der Tonmeister in einem weißen Batik-Anzug erschienen, den er sich auf Bali hat schneidern lassen. Auf dem Rücken prangt groß der Namen des Films „Nawalny“. Den Oscar hat er nicht dabei. Vetter verrät aber, wie die Statue sich anfühlt: „Griffig!“ Das Team selbst befindet sich noch in einer Art Schwebezustand. So richtig fassen können sie es nicht: „Das muss sich noch setzen.“
Den Gedanken, dass sie mit diesem Film etwas Außergewöhnliches geschaffen haben, hatten sie allerdings schon früher. Vetter berichtet von dem Schlüsselmoment, als Nawalny von einer angemieteten Villa in Freiburg aus vor laufender Kamera mit einem Geheimdienstmann telefonierte, der an dem Anschlag auf ihn mutmaßlich beteiligt war, und ihm ein Geständnis entlockte. „In dem Moment haben wir alle ins Leere gestarrt“, erzählt Vetter – bis Regisseur Daniel Roher sagte: „This is going to the Oscars!“
Die Mitglieder des Filmteams mussten regelmäßig ihre Handys wechseln
So kam es in der Nacht zum Montag dann auch. Der Lohn für ein Filmprojekt, das von Anfang bis Ende abenteuerlich ist, wobei der Begriff abenteuerlich noch eine Untertreibung darstellt. Die Mitglieder des Filmteams fühlten sich beschattet, mussten regelmäßig ihre Handys wechseln. „Das ist schon ein seltsames Gefühl, wenn einem nachts auf der Autobahn eine Stunde lang ein schwarzer Mercedes folgt“, erzählt Carsten Schuffert, Geschäftsführer von Bewegte Bilder Medien. Die Russen? „Ja, sie waren da!“ Aber auch das Bundeskriminalamt. Staatssekretär Braun, damals noch im Staatsministerium, kann sich erinnern, wie die Nachricht vom Aufenthalt Nawalnys bei Ministerpräsident Winfried Kretschmann eintraf. Von einem persönlichen Besuch habe man abgesehen, um keinen Wirbel zu verursachen.
Der Großteil des Films entstand in Baden-Württemberg
Der Oscar für „Nawalny“ kommt nach Meinung Brauns auch dem Filmstandort Baden-Württemberg und der Medien- und Filmgesellschaft (MFG) zugute. Denn die US-Produktion hat eine starke baden-württembergische Note. Laut Braun trägt der Film das Siegel „Made in the Länd“. An der Realisierung beteiligt waren neben Tonmeister Vetter auch der Herbolzheimer Felix Angermaier (Klangbild Filmproduktion), Motiv-Aufnahmeleiter Mutlu Acar aus Mannheim, das Film- und Postproduktionshaus Bewegte Bilder Medien aus Tübingen und die Firma Licam Kamera- & Tonverleih aus Stuttgart. Der Großteil des Film entstand in den Black Forest Studios in Kirchzarten, wo Nawalny nach den Worten von Geschäftsführer Sebastian Weiland seinen vorerst „letzten Abend in Freiheit verbracht hat“.