Lipödem-Patienten leiden unter dicken Armen und Beinen. Die Fettstörung ist oft mit Schmerzen verbunden. (Symbolbild) Foto: staras - stock.adobe.com

Spahn will Operation zur Kassenleistung machen. Betroffene Frauen kämpfen mit Vorurteilen. Patientin schildert Erfahrung.

Region - Seit sich Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für eine von der Krankenkasse bezahlte, operative Behandlung von Lipödem einsetzt, ist die Krankheit in aller Munde. Eine der Betroffenen ist Marina Wiesler aus Wieden (Kreis Lörrach). Sie leidet unter Lipödem, seitdem sie in der Pubertät ist. Sie hat nicht nur mit starken Schmerzen zu kämpfen, sondern auch mit Vorurteilen.

 

Das Schlimmste sei, so Marina Wiesler, dass die Leute immer noch denken, das Fett sei "angefuttert". Ihr wurde immer wieder gesagt, sie solle besser auf ihre Ernährung achten und mehr Sport treiben. Die unzähligen Diäten, die unweigerlich im Jo-Jo-Effekt endeten. Die qualvollen Schmerzen in Armen und Beinen, während jeder Bewegung. Die verschiedenen Sportarten, die sie ausprobierte und abrechen musste. Dies alles, sah niemand. 

Die 29-Jährige leidet seit sieben Jahren an Lipödem im Stadium zwei. Als wären die "unerträglichen Schmerzen" nicht schon genug, muss sich die junge Frau mit Vorurteilen herumschlagen und sich immer wieder für ihre Krankheit rechtfertigen.

Durch den Vorstoß von Gesundheitsminister Spahn ist die Krankheit erst richtig in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Spahn fordert, dass den Betroffenen schneller geholfen wird - und zwar mit einer Fettabsaugung. In Fachkreisen nennt sich das Liposuktion. Diese Maßnahme wird nicht von den Krankenkassen übernommen. Grund dafür sei laut dem Gemeinsamen Bundesauschuss (G-BA), das bisher zu wenig wissenschaftliche Belege über die Vor- und Nachteile einer Liposuktion vorliegen. Der G-BA ist das höchste Beschlussgremium im deutschen Gesundheitswesen. Er bestimmt, welche Leistungen Kassenversicherte bezahlt bekommen. Um eine Entscheidung zu treffen, ob diese Operation künftig von der Kasse bezahlt wird, hat der G-BA eine Studie angefordert. Im Gespräch ist aber nur, Patientinnen im Stadium drei von drei zu helfen. Für Frauen im Stadium eins und zwei soll eine mögliche Kostenübernahme erst nach Abschluss dieser Studie erfolgen.

Nicht jeder hat Verständnis

Vor allem in den sozialen Medien, entwickelte sich die Situation schnell zu einem regelrechten lawinenartigen Auftreten negativer Kritik gegenüber den betroffenen Frauen - auch in unserer Leserschaft. Die Kommentare reichten von bösen Bemerkungen bis hin zu ernsthaften Anschuldigungen, die Frauen würden sich das Fett nur "anfressen". Betroffene Wiesler schätzt, der Gesellschaft fehle es einfach an Verständnis für das Krankheitsbild.

Lipödem trifft in der Regel Frauen und zeichnet sich dadurch aus, dass gerade bei jungen Patientinnen der Oberkörper sehr schlank bleibt, aber die Beine völlig disproportional dick werden. Später bekommen die Frauen Ödeme, Wassereinlagerungen, neigen stark zu blauen Flecken und haben häufig starke Schmerzen.

Die Ursache von Lipödem ist bisher unbekannt. Die Erkrankung tritt meistens nach hormoneller Veränderung auf, beispielsweise in der Pubertät oder nach einer Schwangerschaft. Neben hormonellen Einflüssen wird auch eine genetische Veranlagung vermutet, da nicht selten mehrere Frauen in einer Familie betroffen sind.

In den vergangenen Jahren verzeichnete die Földiklinik bei Hinterzarten (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald) einen Anstieg von Patientinnen, bei denen Lipödem diagnostiziert wurde. Die Klinik ist spezialisiert auf die Behandlungen von Erkrankungen des Lymphgefäßsystems.

Jedes Kilo bringt mehr Schmerzen

Als Marina Wiesler mit 22 Jahren in der Földiklinik die Diagnose Lipödem im Stadium zwei in Kombination mit Lymphödem erhielt, war sie zwar erleichtert, aber auch verunsichert. "Ich hatte endlich Klarheit, woher die immer dicker werdenden Beine und Arme, verbunden mit starke Schmerzen, kamen, aber auch das Gefühl, jemand hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen", sagt die junge Frau.

Wiesler begann mit einer konservativen Behandlung, die vor allem aus Lymphdrainagen und Kompressionsstrümpfen besteht. Sie besuchte eine Reha Klinik und wirkt der Krankheit zusätzlich mit Aqua-Fitness und einer diätfreien Ernährung so gut es geht entgegen. Wiesler nimmt auch die horrenden Kosten in Kauf, um ein Leben zu führen, das nicht von Schmerzen bestimmt wird. 

Nach jahrelanger Ungewissheit weiß Marina Wiesler jetzt zwar, wie sie mit der Krankheit umgehen kann, aber was sie bis dato ihrem Körper angetan habe, sei nicht mehr rückgängig zu machen. "'Weight Watchers', "Schlank im Schlaf", Kalorienzählen, Kohlenhydrate am Abend weglassen bis hin zu dem Versuch, gar nichts mehr zu essen. Ich glaube, ich habe alles versucht, um abzunehmen", sagt sie. Auch der psychische Druck sei enorm hoch gewesen: "Hätte ich meine Familie nicht gehabt, hätte ich vielleicht schon längst aufgegeben", blickt die 29-Jährige zurück.

Konservative Behandlung reicht oft nicht aus

Vor ihrer Diagnose hat sich Wiesler von ihren Ärzten im Stich gelassen gefühlt: "Nie hat mich auch nur ein Arzt auf meine Krankheit aufmerksam gemacht." In Hannover hat die Lipödem-Patientin dann doch noch einen Arzt gefunden, der ihr vor allem beim Thema Liposuktion zur Seite steht. Slobodan Reba ist Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie und führt auch Liposuktionen durch. Zwar schlägt die konservative Behandlung nach Erfahrungen von Reba gerade bei jungen Patientinnen häufig gut an: "Durch diese Therapie kann schon eine leichte Beschwerdelinderung erreicht werden."

Wenn aber die Erkrankung schlimmer wird, hilft nach Rebas Erfahrung irgendwann nur noch eins: eine Fettabsaugung. Die sei sehr wirksam, sagt er. "Es gibt Untersuchungen, dass nach einer Operation 60 Prozent der operierten Damen komplett beschwerdefrei sind und bei 40 Prozent eine Beschwerdelinderung erreicht werden kann", sagt der Mediziner. Die OP ist sehr teuer: Bis zu 12.000 Euro kostet so eine Behandlung. Und bisher übernehmen die Krankenkassen davon nichts. Dass eine Liposuktion nur eine Möglichkeit ist, auf Kosten der Kasse eine Fettabsaugung vorzunehmen, dementiert Reba. "Lipödem ist eine Krankheit. Man kann sie nur nicht messen, wie es bei Fieber oder Bluthochdruck der Fall ist. Kritiker sehen die Schmerzen der Frauen nicht. Trotzdem muss den Patientinnen geholfen werden. Und eine Liposuktion ist ein medizinischer Eingriff, auch wenn sich die Operation nicht grundsätzlich von der Ästhetischen Chirurgie unterscheidet", erklärt der Mediziner.     

Marina Wiesler hat bisher keine Fettabsaugung vornehmen lassen. Sie wolle warten, bis der Eingriff zur Kassenleistung wird. "Zur Not würde ich aber auch einen Kredit aufnehmen, weil ich nicht länger mit dieser Krankheit und den damit verbundenen Einschränkungen leben möchte", stellt sie klar. Sie fordert: "Liposuktion für jede betroffene Frau, egal in welchem Stadium, zur Kassenleitung machen!" Dadurch könne man den Betroffenen viel Leid ersparen. Den Vorstoß von Gesundheitsminister Spahn sieht sie als guten Anfang.

Egal wie diese politisch-medizinische Diskussion ausgehen wird: Wiesler ist einfach froh, dass die Erkrankung Lipödem öffentlich diskutiert wird. Den betroffenen Frauen möchte sie Mut machen: "Man darf sich nie unterkriegen lassen."