Ein Satire-Star aus dem Fernsehen beim Rockfestival: Was soll das denn? Und wer will das hören? Über einen verblüffenden Abend.
Bringt’s das? Ein Satiriker, der regelmäßig mit seinen Sprüchen und Aktionen aneckt und bundesweite Debatten auslöst, auf der Bühne des Southside? Zwischen Rock, Pop und Rap? Da gab es in Neuhausen genau zwei Meinungen. Die einen fanden das einfach nur blöd und ignorierten den Tausendsassa. Die anderen fanden das einfach nur großartig – und feierten Böhmermann frenetisch. Das waren erstaunlich viele, vor der Green Stage. Sehr, sehr viele.
Böhmermann ist schuld. Wer sonst
Schon vor dem Gig setzt Böhmermann (44) seine Duftmarke: „Böhmermann ist schuld“ steht auf einem riesigen, knallroten und bühnenfüllenden Transparent. An was er schuld ist? Vermutlich an allem. Wie immer.
Erstklassiges Orchester
Das Transparent fällt, das Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld füllt die Bühne. Die Combo, die den TV-Star bei seinen freitäglichen Auftritten spätnachts beim ZDF Magazin Royale musikalisch begleitet. In der Glotze darf die spritzige Band immer nur wenige Minuten in Tasten und Saiten hauen. Beim Southside glänzt sie nun 90 Minuten lang – und das mit Feiersound, der den Zuschauern sofort in die Beine geht.
Einfach nur hässlich
Dann rollert Böhmermann heran, mit ekelhaft hässlichem Regenponcho, auf einem Elektroroller. Mit dem ist er auch schon durch Deutschland gefahren, für eine seine meist polarisierenden Shows.
Gegen Nazis und Faschisten
„Wir sind gekommen, Euch zu politisieren!“, ruft er den Fans vor der Bühne zu. Und das Versprechen hält er. In und vor allem zwischen den Songs packt er seine Keulen aus und peitscht die Zuhörer ein: „Ganz Deutschland – hasst die AfD!“
Er sagt vor – und die Masse vor der Bühne skandiert das nach. Immer wieder, gegen Nazis und Faschisten, gegen Polizeigewalt und die großen sozialen Netzwerke wird gewettert.
Noch unverschämter als im TV
Man spürt, beim Blick in de Menge: Da sind sehr viele seiner Meinung. Und alle Bösen werden, Pardon, „gefickt“: Trump natürlich, Google, X, AfD, alle, die auch in seiner TV-Show geprügelt werden. Aber in Neuhausen, live, ist Böhmermann noch eine Spur schärfer unterwegs. Deutlicher, frecher, unverschämter. Und die Fans feiern ihn dafür. Es gibt ständig reichlich Beifall, die Zuhörer grölen laut und begeistert mit.
Wer ist schon betrunken?
Böhmermann kann aber nicht nur Politiksatire, sondern natürlich auch Klamauk. Er fragt das Feiervolk, wer denn schon besoffen sei und wer grade „mal muss“. Viele Hände recken in die Höhe, er spielt mit dem Publikum und zeigt seine Qualitäten als Entertainer.
Tuttlingen muss leiden
Tuttlingen, die Kreisstadt nahe des Festivals, bekommt auch ihr Fett ab. Sein Auto-Hasser-Song über den Radweg, der „einfach aufhört“, passe auf die Stadt, findet er – und holt sich damit den nächsten Beifall ab. Ob er wirklich durch Tuttlingen geradelt ist, bleibt unklar, aber die Zuhörer aus der Umgebung stimmen ihm heftig zu. Radeln in Tuttlingen ist wirklich kein Spaß.
Festival kann er
Zu Schluss haut er noch sein Liebeslied an den kleinen Bremer Ortsteil Vegesack raus, wo er herstammt. Auch der zündet, wie eigentlich alles bei diesem Auftritt. Nach gut eineinhalb Stunden wissen alle vor der Bühne: Böhmermann kann auch Festival. Und das erstaunlich souverän, hochpolitisch und wie immer rotzfrech.