Sexspielzeug, Reizunterwäsche, Erotik- Literatur – die Branche hat vieles zu bieten und hat sich in den letzten Jahren zu einem salonfähigen Markt gewandelt Foto: Fotolia

Sexspielzeug, Erotik-Bücher – die Branche präsentiert sich salonfähig. Einblicke in Stuttgarts Szene.

Stuttgart - Es ist schummrig im Sexshop in der Marienstraße in Stuttgart. Draußen scheint die Mittagssonne, während der schwarze Boden, die schwarzen Wände und die schwarze Decke dem Laden einen halbseidenen Anstrich geben. Eindrücke aus Zeiten, in denen die Erotikbranche einen schlechten Ruf hatte. Doch der Schein trügt. „Heute sind unsere Läden immer pärchenfreundlicher“, sagt die Verkäuferin, die ihren Namen nicht veröffentlicht haben will. „Es gibt Parkettböden, rote und weiße Wände, alles ist einfach einladender.“

Der Stuttgarter Sexshop hinkt da etwas hinterher. Er ist noch nicht umgebaut. Die gesellschaftliche Anerkennung zeigt sich daran, dass auch mittags Kunden hereinkommen, die ihre Mütze nicht tief ins Gesicht gezogen haben. „Klar gibt es immer noch Leute, die mit roten Ohren hier reinlaufen, aber das ist normal“, sagt die Verkäuferin. Im Erdgeschoss hängen Dildos an den Wänden. Sexpuppen warten auf ihre neuen Besitzer, und erotische Literatur steht in vielen Variationen in den Regalen. Den neuesten Bestseller „Shades of Grey“ (12,99 Euro) der schottischen Schriftstellerin E. L. James führt der Stuttgarter Erotikladen noch nicht. Dabei haben viele in der Branche die Hoffnung, dass er das Geschäft der Sexindustrie ankurbeln könnte.

In den Vereinigten Staaten von Amerika hat das schon perfekt geklappt. „Shades of Grey“ erzählt die Geschichte einer 21-jährigen Studentin, die einen nur wenig älteren Milliardär kennenlernt. Der reiche Knabe verliebt sich in sie und macht sie zu seiner Sadomasosklavin. 18 bis 20 Millionen Mal wurden das Buch und die anderen beiden Bände – mittlerweile ist es eine Trilogie – bisher in Amerika verkauft, teilt der Goldmann-Verlag mit. In Deutschland liegt die Startauflage bei 500 000 Exemplaren.

„Die Neugier ist größer als früher“

In den USA steigt seitdem die Nachfrage nach allem, was zu Fessel- und Peitschenspielen gehört, schreibt die New York Post. Ob sich in Deutschland ein ähnlicher Wirbel entfachen lässt, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Seit Ende Juni liegt der erste Band in den Regalen der Buchhändler. Wie beim Stuttgarter Buchhaus Wittwer. Dort finden sich seit April sogar alle drei Teile – in der englischen Originalausgabe.

Eine Frau Mitte 30 hält ihren kleinen Sohn an der Hand und greift zu. „Ach, da ist es ja“, sagt sie. Sie habe darüber gelesen, dass es gut sein soll, und wolle mal reinschauen. „Normalerweise lese ich keine erotische Literatur“, fügt sie hinzu. Ist ihr das Buch peinlich? Nein, sagt sie. Es klingt ehrlich. Viele Kunden reagierten anders, sagt Hans Diehm, der in der Taschenbuchabteilung des Buchhändlers arbeitet. „Heutzutage geht vieles übers Internet“, erzählt er. Wer einen E-Book-Reader habe, könne dann anonym lesen. Deshalb hätten die Verkäufe erotischer Literatur beim Stuttgarter Händler auch abgenommen. Zudem würden die Verlage weniger Auswahl bieten. „Viele unserer Kunden, die erotische Romane kaufen, legen sie mit dem Titelblatt nach unten auf den Tresen und schämen sich“, sagt Diehm. Bei Wittwer sind erotische Romane und Bildbände trotzdem weiter ein Bestandteil im Sortiment. „Von ,Shades of Grey‘ verkaufen wir täglich 20 bis 30 Stück“, sagt Diehm.

Doch die Sexindustrie in Deutschland besteht aus mehr als aus Literatur. Allein für den Kauf von Pornofilmen machen die Kunden hierzulande 350 Millionen Euro jährlich locker, sagen Experten aus dem Video- und Medienfachhandel. Während Sexshops früher hauptsächlich Artikel für Männer verkauften, ist das Produktangebot nach dem Imagewandel nun breiter, sagt Doreen Schink. Sie ist Sprecherin der Erotikkette Beate Uhse. „Sexspielzeuge sind heute häufig kleine Designobjekte und sprechen Frauen an“, sagt sie. „Die Neugier ist größer als früher, vor allem aber die Bereitschaft, neue Dinge zu kaufen und auszuprobieren. Bei uns sind über 50 Prozent der Kunden Frauen.“ Dagegen fänden sich Videos heute meist zum kostenlosen Herunterladen im Internet. Damit sind DVDs in Sexshops und Online-Geschäften nicht mehr die wichtigste Produktschiene. „Bei uns machen Spielzeuge und Dessous einen sehr hohen zweistelligen Prozentbereich des Umsatzes aus“, sagt Schink.

Sadomaso-Hochburg Stuttgart

Dessous befinden sich im Stuttgarter Sexladen in der Marienstraße im Obergeschoss, direkt neben der Pornofilm-Abteilung. Dort sehen sich zwei Grauhaarige mit Dreitagebart die neuesten DVDs an. Der eine hat seine Schirmmütze tief ins Gesicht gezogen. Der andere trägt schließlich eine DVD zur Kasse, als hätte er einen Märchenfilm für seine kleine Tochter gekauft. „Die Kunden verhalten sich unterschiedlich“, sagt die Verkäuferin. „Noch geht nicht jeder offen damit um, dass er hier einkauft.“

In der Dessousabteilung gibt es eine eigene Fetisch-Ecke. Dort finden Sadomaso-Liebhaber à la „Shades of Grey“ fast alles in Lack und Leder, was ihr Herz begehrt. Brustwarzenklemmen und Handschellen für zehn Euro, Peitschen für 13 Euro, Fessel-Sets für 50 Euro. „Was besonders beliebt ist, kann man nicht sagen“, sagt die Verkäuferin. „Das kommt auf die Kunden an.“ Auch eine bestimmte SM-Fetisch-Altersgruppe gebe es nicht. „Das Publikum ist sehr gemischt.“

Auch in Stuttgart leben viele Menschen, die sich einem Partner gern und freiwillig unterwerfen. „Stuttgart ist eine Sadomaso-Hochburg“, sagt Lady Arachne, die Leiterin eines von vier großen SM-Studios in Stuttgart. Pro Tag kämen 18 bis 20 Gäste in die vier Studios, um sich entweder einer Domina zu unterwerfen oder sich für ein paar Stunden eine Sexsklavin zu halten. „Der Schwabe ist dafür bekannt, dass er das mag“, sagt die Lady. „Historisch haben wir eine große Szene. Auch privat gibt es Treffen. Dazu muss man nicht in einen Club.“ Sogar ein großes Stuttgarter Modehaus sei einmal auf den Zug aufgesprungen und habe Handschellen mit Strasssteinen angeboten. Warum so viele Frauen Fantasien haben, sich einem stärkeren Mann zu unterwerfen? Lady Arachne versucht es zu erklären: „Das hat biologische Gründe. Frauen hatten schon immer masochistische Züge und wollten sich quasi dem Alphamännchen unterwerfen. Das ist nun mal weibliche Erotik.“ Das kann man glauben oder nicht.

Sexindustrie freut sich über jeden weiteren Leser

Für Arne Hoffmann jedenfalls ist es mehr als das. Er hat ein SM-Lexikon (Passion Publishing) geschrieben und beschäftigt sich seit langem mit dem Thema. Für ihn sind die 20 Millionen „Shades of Grey“-Leser und Leserinnen nicht nur 40-jährige Mütter, die ihre sexuellen Träume ausleben wollen. „Unterwerfungsfantasien gibt es durchaus auch bei Männern“, sagt er.

Amerikanische Soziologen versuchen den Erfolg des Buchs mit der Unzufriedenheit der Frau zu erklären, die sich aus ihrem Alltag in die schützenden Hände eines Mannes stürzen will und sich dabei zu seiner Sklavin macht. „Sicher ist das nicht falsch“, sagt Hoffmann. „Sie können mit erotischer Literatur von einem aufregenden Abenteuer träumen. Aber beide Geschlechter tauchen gern mal aus dem Alltag ab.“ Wie viele Paare tatsächlich gemeinsam ihre SM-Fantasien ausleben – und nicht nur davon träumen –, weiß er nicht. „Dazu müsste man zuerst die Frage klären, wo Sadomasochismus anfängt. Sicher nicht erst bei Ketten, Haken und Andreaskreuzen, aber auch noch nicht bei harmlosen Kratzern.“ Er glaubt, dass 20 Prozent der Deutschen schon „Erfahrungen mit irgendwelchen Spielen haben“.

Suche nach einem Dildo

Und so freut sich die Sexindustrie über jeden weiteren Leser von E. L. James’ Bestseller, der, neugierig gemacht, Sexartikel kauft. „Wir erwarten auf jeden Fall eine Steigerung des Kundeninteresses“, sagt die Verkäuferin in der Marienstraße.

Eine junge Frau kommt in den Laden. Sie sucht einen Dildo. Die Verkäuferin berät sie, erklärt die Vorzüge einzelner Geräte. Schmuddelimage? Das war gestern.