Nichts ist, wie es scheint: Damian Lewis und Claire Danes in „Homeland“. Foto: Showtime

Der Fernsehpreis Emmy ist im 21. Jahrhundert angekommen: Der Psychothriller „Homeland“ hängt „Mad Men“ ab.

Die 1960er-Jahre-Reklameserie „Mad Men“ hat vier Jahre in Folge den TV-Preis Emmy dominiert. An diesem Sonntag gingen Don Draper und Co. erstmals leer aus. Gewinner des Abends war die Thrillerserie „Homeland“, die mit insgesamt vier Preisen ausgezeichnet wurde.

Das Kino kann sich an der Weite der Landschaft, am endlosen Horizont berauschen, sich mit spektakulären Kamerafahrten in die Welt hinabstürzen. Das Fernsehen ist dagegen auch im Zeitalter hochauflösender Bilder immer noch dann am besten, wenn es nicht die Weite, sondern die Enge sucht, wenn es ganz nah dran ist am Empfinden seiner Protagonisten. Selten war Fernsehen deshalb besser als im Finale der US-Thrillerserie „Homeland“.

Nicholas Brody (Damian Lewis) ist ein Sergeant der US-Armee, der 2003 im Irak gefangen genommen, gefoltert wurde und viele Jahre allein in einem trostlosen Verließ verbracht hat. Acht Jahre später befreit ihn zwar ein Einsatzkommando. Doch Brody ist nicht mehr der Mann, der er einmal war. Er gilt zwar nach seiner Rückkehr als Held, die CIA-Agentin Carrie Mathison (Claire Danes) misstraut ihm aber, glaubt, dass er nun selbst ein El-Kaida-Terrorist ist und einen Anschlag plant. Und so kommt es, dass Brody im Finale der ersten „Homeland“-Staffel erneut eingesperrt ist. Zusammen mit der gesamten US-Politelite ist er nach einem missglückten Attentat in einen Bunker geflohen. Es ist kaum zu ertragen, die psychischen Qualen mitanzusehen, die Brody erleidet.

Die Serie, die auf der israelischen TV-Produktion „Hatufim“ beruht, gewann vier Preise

Die erschütternde Bunker-Szene hat Damian Lewis am Sonntag in Los Angeles den Emmy als bester Hauptdarsteller in einer Dramaserie eingebracht. Eine Szene, die in ihrer hochempfindlichen Zurschaustellung von Intimität, Klaustrophobie und Leiden genau das Gegenteil von dem inszeniert, was man von Don Draper (John Hamm) und der Serie „Mad Men“ kennt, die in den letzten Jahren mit ihrer Coolness das Maß aller Dinge in Sachen anspruchsvoller Fernsehunterhaltung war. Viermal in Folge war die in den 1960er Jahren spielende Serie um eine Werbeagentur an der Madison Avenue in Manhattan als beste Dramaserie ausgezeichnet worden. Auch in diesem Jahr war „Man Men“ großer Favorit bei der Verleihung der Emmy-Fernsehpreise und insgesamt 17. Mal nominiert – ging am Ende aber leer aus. „Homeland“ gelang dagegen der große Coup: Die Serie, die auf der israelischen TV-Produktion „Hatufim“ beruht, gewann vier Preise. Damian Lewis als bester Hauptdarsteller, Claire Danes als beste Hauptdarstellerin, die Serie wurde fürs beste Drehbuch sowie als beste Dramaserie überhaupt ausgezeichnet.

Tatsächlich ist „Homeland“ in vielen Aspekten ein Gegenentwurf zu „Mad Men“, einer Serie, die nonchalant zwar stil- und geschmackssicher die 1960er Jahre porträtiert und mit herausragenden Akteuren wunderbar ambivalente Charakter geschaffen hat, aber zum Eskapismus einlädt, sich nicht auf das Hier und Jetzt, die gesellschaftliche Realität im 21. Jahrhundert, einlassen muss.

„Homeland“ hat den Mut, die Rollen von Gut und Böse nicht ganz eindeutig zu verteilen

Genau das macht dagegen „Homeland“. Nicht nur indem sie Claire Danes („Romeo + Juliet“) und Damian Lewis („Life“) zwei Charaktere spielen lässt, die in ihrer inneren Zerrissenheit aufeinanderprallen. Mutig stellt sie auch den Common Sense der US-amerikanischen Gesellschaft drastisch infrage, wagt die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus, mit El Kaida, mit der Bespitzelung der eigenen Bevölkerung unter dem Vorwand der Gewährleistung der eigenen Sicherheit. Und „Homeland“ hat dabei sogar den Mut, die Rollen von Gut und Böse nicht ganz so eindeutig zu verteilen, wie sich das die meisten US-amerikanischen Politiker wünschen würden.

Obwohl „Homeland“ allein schon wegen der hochdramatischen Inszenierung, wegen der differenzierten Charakterzeichnung, wegen der verblüffenden erzählerischen Wendungen den Preis als bestes Drama verdient gehabt hätte, ist die Entscheidung der Emmy-Jury durchaus auch politisch zu verstehen, als Plädoyer für Aufgeschlossenheit.

Diese implizite Forderung nach Toleranz setzt sich konsequent in der Entscheidung in der Kategorie Beste Comedyserie fort, die am Sonntag in Los Angeles zum dritten Mal in Folge „Modern Family“ gewann: eine Serie, der es gelingt, Homosexualität ganz selbstverständlich und nebensächlich zu behandeln.

Die Pro Sieben Sat 1 Media AG hat sich im März die Senderechte für „Homeland“ gesichert, ein Ausstrahlungstermin steht noch nicht fest; die Serie wird am 31. Oktober auf DVD und Blu-ray veröffentlicht.