Bianca Purath Foto: Kienzler

Faszination Sport: Berg- und Talfahrt - Zu Besuch bei der Ex-Rad-Weltmeisterin und Berufssoldatin Mit Video

Eine Ringdrossel müsste man sein. An einem warmen Spätherbstnachmittag wie der amsel- ähnliche Singvogel einfach zwischen Feldberg und Herzogenhorn zu segeln, auf Beutejagd zu gehen und sich dann auf einer Buche oder Fichte zu erholen.  Majestätisch. »Einfach wunderschön«, strahlt Bianca Purath etwas oberhalb der Todtnauer Hütte mit der Sonne um die Wette.

Auf gut 1300 Metern über dem Meer fühlt sich die frühere Junioren-Weltmeisterin im Rad-Zeitfahren aus Hubertshofen – einem Stadtteil von Donaueschingen – sichtlich wohl. Rosa Windjacke, rosa Trinkflasche, ein aufgeladenes Handy mit guter Kamera und – vor allem – das geliebte Mountainbike. Die Tour  kann beginnen. Einmal hoch zum Feldberg, dann vom höchsten Gipfel des Schwarzwaldes (1493 Meter) zum benachbarten Herzogenhorn (1415 Meter) und zurück zur Schwarzwaldkaserne in Todtnau-Fahl (1050 Meter). So sieht perfektes Workout für die 33-Jährige aus.

Einige, genauer vier Stunden zuvor. Auf dem Parkplatz vor der Arbeitsstätte der Berufssoldatin ist viel Platz. Nur zwei Autos sind  zu sehen. Knallgelbes Bundeswehr-Sportshirt mit dem Adler auf der Brust und  dem Deutschland-Schriftzug auf der Rückseite, dunkle  Sporthose und Turnschuhe. Bianca Purath wartet vor der Schwarzwald-Kaserne schon. "Heute sind fast alle ausgeflogen", lacht die frühere Weltklasse-Radfahrerin, bevor sich das schwere Eisentor langsam und mit einem Quietschen öffnet. Dahinter – die Wache. "In diesem Gebäude bin ich meistens", gibt die stellvertretende Leiterin der Sportfördergruppe Todtnau-Fahl preis.

Dort – eingerahmt zwischen Feldberg, Herzogenhorn, Belchen und  Schauinsland – stellten schon  Christof Duffner, Sven Hannawald, Martin Schmitt, Hansjörg Jäkle (alle Skispringen) oder Hans-Peter Pohl (Nordische Kombination) im Dienst der Bundeswehr die Weichen für ihre Olympiasiege. "Heute sind 61 Spitzensportler in unserer Fördergruppe, davon 20 Frauen", hat Bianca Purath im Aufenthaltsraum  schnell die aktuelle Liste parat. Karla Borger (Beachvolleyballerin, früher TV Villingen), Fabian Rießle (Nordische Kombination, Breitnau), Janina Hettich (Biathlon, Schönwald), Christin Maier (Biathlon, Urach), Marie-Laurence Jungfleisch (Hochsprung, VfB Stuttgart), Eva Rösken (Sportschießen, SSVg Brigachtal) oder   Marcel Nguyen (Kunstturnen/Straubenhardt) – die 33-Jährige könnte alle Namen der Todtnauer Sportsoldaten auswendig vortragen.

Insgesamt fördert die Bundeswehr in 15 Standorten 840 Spitzensportler. "Und in jedem gibt es drei bis fünf Bundeswehr-Angehörige, die sich um die Belange der Sportler kümmern." Die Durchführung der Betreuung, Förderung und Weiterbildung der Bundeswehr-Sportler, die Zusammenarbeit mit Leistungszentren und Olympiastützpunkten, die Überwachung des sportlichen Leistungstrainings in Zusammenarbeit mit den (Bundes-) Trainern, die Sicherstellung der Teilnahme der Sportler an nationalen und internationalen Wettkämpfen (innerhalb und außerhalb der Bundeswehr),  die Planung,   Vorbereitung und Durchführung von International Military Sports Council  (CISM)-Wettkämpfen ("Im Jahr 2015 war ich bei den CISM-World-Games in Südkorea dabei. Das war ein unglaubliches Erlebnis") oder die Bearbeitung von Personalangelegenheiten. Wenn Purath zwischen sieben und acht Uhr das Kasernentor öffnet, wird ihr bis zum Dienstende – zwischen 16 und 18 Uhr  – nicht langweilig.

Doch natürlich gibt es auch Pausen. Diese verbringt die frühere Gesamtsiegerin der Straßenrad-Bundesliga gerne im geräumigen Aufenthaltsraum.  Rotbraunes Stoffsofa, niedrige Holztische, ein Fernseher, eine Hifi-Anlage – zuvor lief Madonna – und der grandiose, unverbaute Blick auf den Fahler Skiweltcup-Hang: Hier lässt es sich gut aushalten. "Ich habe es nicht schlecht erwischt", fühlt sich Purath in und rund um der Schwarzwaldkaserne sichtlich wohl.

Ein Stockwerk tiefer wird es zum ersten Mal an diesem Tag etwas sportlich. Ein Tischkicker lädt zum Spielen ein. Doch viel Zeit haben wir nicht, den Ball zwischen den  Plastikmännchen tanzen  zu lassen. Es geht weiter in Richtung ehemaliges Hirschgehege. "Bis ins Jahr 1999 hielten hier Soldaten freilaufende  Hirsche  als Standort-Maskottchen", lacht Purath. Heute erinnert  daran nur noch ein verfallenes Futterhäuschen. "Hier wird allgemein gerade viel saniert", sagt die stellvertretende Leiterin der Sportfördergruppe im Fitnessraum wenig später. Außer der mit Hanteln, Trampolin ("Das mache ich am liebsten"), Butterflymaschinen und Co. gut ausgerüsteten "Muckibude" gibt es noch eine Sauna. Sonst fällt kaum auf, dass in der Schwarzwald-Kaserne eine Sportförderkompanie untergebracht ist.

"Ja – aber dies liegt eben daran, dass heute keine Sportler hier sind. Dies ist aber die Ausnahme", betont Purath. Trainieren würden die Aktiven im  Nordic-Center am Notschrei,  auf den Schanzen in Hinterzarten und Neustadt oder in anderen Sportstätten. Also nutzen wir doch diese Ausnahmesituation. Die 33-Jährige hat noch etwas Zeit, schlägt uns bei diesem Traumwetter einen Trip zur Todtnauer Hütte vor.  Also werden Blöcke, Diktiergerät, Objektive, normale Videokamera, Bodycam und Co. im Auto verstaut. Unterdessen schlüpft Bianca Purath schnell in die  Radklamotten, packt ihr Mountainbike in das Auto.

Los geht es über zahlreiche enge Kehren in Richtung Todtnauer Hütte. Wenige Meter oberhalb thront der Feldbergturm, auf der anderen Seite zeigt sich der  Herzogenhorn-Gipfel in seinem ganzen Glanz. "Lasst uns noch weiter hoch  gehen. Man kann von dort oben sogar die Alpen sehen", zieht es Purath immer weiter bergauf. Apropos Alpen. Die Gipfel des mitteleuropäischen Gebirges ziehen die Berufssoldatin fast magisch an. Bianca Purath hat mit ihrem Mann zusammen das Bergsteigen als neues Hobby entdeckt. "Ich bin einfach ein Outdoor-Mensch. Auch Regen hält mich nicht auf", kann sie es kaum abwarten, wieder die Steigeisen herauszuholen. "Eigentlich war die Besteigung des Mont Blanc unser großer Traum. Aber dort gibt es eben oft zu viele Menschen. Und viele davon haben nicht die Kondition oder  die technischen Fähigkeiten, den höchsten Berg der Alpen zu erklimmen", zeigt Purath mit der Hand auf einen etwas verschwommenen Punkt am Horizont.

Der Mont Blanc versteckt sich heute. Dabei ist unterhalb des Feldbergs weit und breit keine Wolke in Sicht. Egal. Dafür gibt es ja den fast 140 Kilometer  langen Hochschwarzwald-Gipfeltrail, der  auf schmalen, naturbelassenen Strecken  durch die schönsten Orte des Hochschwarzwaldes führt. Schilder weisen den Mountainbikern genau den Weg. An diese Vorgaben sollten sich die Radsportler im Naturschutzgebiet Feldberg  genau halten.

"Die Rancher schauen genau nach, dass kein Biker die ausgezeichneten Strecken verlässt", weiß Bianca Purath, dass die Feldberg-Wächter auch schon mal ein "Knöllchen"  verteilen. "Regeln muss man eben einhalten", schiebt die Hubertshofnerin natürlich ihr Gefährt wenig später einen schmalen Weg hinauf, auf dem Radfahren verboten ist.  "Was macht denn ihr hier?" Ein Wanderpaar – samt neugierigem Hund – wundert sich dennoch, weshalb Purath das Bike schultert.  Purath hat schnell einen  weiteren Grund  parat. "Noch ein paar Höhenmeter, dann können wir das ganze Bergpanorama genießen."  Und da ist – der magische Moment, den die 33-Jährige uns versprochen hat. Viel mehr Schwarzwald geht nicht.

Kein Wunder, dass sich Bianca Purath bei diesem Weitblick an ihren größten sportlichen Erfolg zurückerinnert. "Zum Frühstück gab es Bagels und Cookies", blickt sie auf den 7. Oktober 2003 zurück.  Wenig später stand im kanadischen Hamilton – rund 70 Kilometer südwestlich von Toronto am Westende des Ontariosees – das WM-Einzelzeitfahren der Juniorinnen auf dem Plan. 15,4 Kilometer auf einem Rundkurs waren gefordert. "Ich hatte mir nicht so viel ausgerechnet", schaute die Hubertshofenerin mit großen Augen wenige Stunden später in Richtung Anzeigetafel, die sie auf dem ersten Rang auswies.

Das Warten auf die weiteren Fahrerinnen begann. "Und dann war klar, dass ich Weltmeisterin bin. Unglaublich", wird Bianca Purath  diesen Moment nie vergessen. "Sie fuhr das Rennen ihres Lebens, hat all ihre Kraft in das Zeitfahren gepackt", erkannte Mutter Angelika schon wenig später die sportliche Dimension. Klar, dass die damals gerade 18  Jahre alte Radfahrerin am Abend mit ihren Teamkolleginnen auf den überraschenden Triumph mit einem Glas Sekt anstieß.  Mehr aber nicht. Immerhin stand noch das Straßenrennen auf dem Programm. "Dort habe ich als Vierte nur ganz knapp eine weitere Medaille verpasst. Dafür holte meine deutsche Teamkollegin Sabine Fischer Bronze."

So langsam naht die Dämmerung. Die wärmende Herbstsonne wird gleich hinter dem Herzogenhorn verschwinden. Das ständige  Auf und Ab  eben. "So war es auch in meiner sportlichen Karriere", betont Bianca Purath. Nach ihrem WM-Titel erkrankte die Berufssoldatin wenig später an Pfeifferschem Drüsenfieber. Damals schien sogar  die Fortsetzung der Laufbahn  gefährdet. "Das war ein großer Rückschlag", kostete  die tückische Krankheit der Hubertshofenerin fast zwei Wettkampfjahre. "Mein Tipp an alle Sportler. Wenn es euch über eine  lange Zeit schlecht geht, lasst euch auf diesen  gemeinen Virus untersuchen", stellt Purath klar.

Es sollte nicht der letzte Rückschlag bleiben. Ein Jahr nach dem Gewinn der Bundesliga-Gesamtwertung (2009) zog sich die Vierte der Marathon-Mountainbike-EM von 2008 im US-amerikanischen Philadelphia nach einem schweren Sturz  einen vierfachen Beckenbruch zu. Der Unfall hatte  sich in der zweiten Runde bei den Liberty-Classics, dem größten Frauen-Radrennen der USA, ereignet. "Zudem habe ich es  geschafft, bei einem anderen Sturz einmal beide Handgelenke auf einmal zu brechen", kann die 33-Jährige mit einiger Zeit Abstand schon wieder über diese  Missgeschicke lachen.

Heute fährt Bianca Purath also nur noch zum Spaß Rad. "Ich bewege mich gerne in der Natur", stellt die mehrfache MTB-Nachwuchsmeisterin Deutschlands klar. Also noch schnell noch ein Schluck aus der (rosa) Wasserflasche, die (rosa) Windjacke übergezogen und dann verschwindet Bianca Purath auf einem Feldweg. Noch einmal eben hoch zum Feldberg, dann vom höchsten Gipfel des Schwarzwaldes (1493 Meter) zum benachbarten Herzogenhorn (1415 Meter) und zurück zur Schwarzwald-Kaserne in Todtnau-Fahl (1050 Meter). Da ist selbst die  Ringdrossel etwas neidisch.