Sie eilt von einem Wahlsieg zum nächsten: Marine Le Pen, Chefin des Front National, am Wahlsonntag bei einem Auftritt vor den Medien. Foto: dpa

Die Frau hat ein Ziel: Marine Le Pen will Präsidentin in Frankreich werden. Nach dem Triumph ihrer rechtsextremen Front National setzt die Parteichefin auf das Konzept eine gegen alle.

Die Frau hat ein Ziel: Marine Le Pen will Präsidentin in Frankreich werden. Nach dem Triumph ihrer rechtsextremen Front National setzt die Parteichefin auf das Konzept eine gegen alle.

Paris - Ein Schock, ein politisches Erdbeben, ein Hurrikan: Am Tag nach den Europawahlen rangen die Kommentatoren in Frankreich um immer neue dramatische Beschreibungen der Lage – und die abgestraften Parteien um angemessene Reaktionen. Mit einem Viertel aller Stimmen, die der rechtsnationale Front National auf sich vereinigen konnte, setzte er sich erstmals seit seiner Gründung im Jahr 1972 als stärkste politische Kraft durch, noch vor der bürgerlichen UMP mit 20,8 Prozent. Weit abgeschlagen dahinter landeten die regierenden Sozialisten mit nur 13,9 Prozent, dem schlechtesten Ergebnis bei Europawahlen. Von deren Schwäche profitierten weder die Grünen mit 8,9 Prozent noch die Linksfront mit 6,3 Prozent, die einen Anti-EU-Wahlkampf gemacht hatte.

Bei der Bewertung der Ergebnisse herrschte nirgendwo Zweifel daran, dass es sich um eine direkte Abstrafung des glücklosen Präsidenten François Hollande handelte. Lautstark forderte Rechtspopulistin Marine Le Pen Neuwahlen. Auch aus der Regierungspartei hieß es, es müssten Konsequenzen gezogen werden – nur welche? Mit einer Kabinettsumbildung und einer Neubesetzung des Regierungschefs nach den Kommunalwahlen im März hat Hollande seine Munition verschossen.

Am Montagmorgen versammelte er einen engeren Ministerkreis zu einer Krisensitzung. Selbst äußerte er sich zunächst nicht öffentlich zu dem Debakel. Premierminister Manuel Valls hatte noch am Wahlabend in ernstem Ton erklärt, es handle sich um einen „schweren Moment für Frankreich“, schloss aber einen Rücktritt oder einen Politikwechsel aus. Nachdem er kurz vor den Europawahlen noch Steuererleichterungen in Höhe von einer Milliarde Euro für einkommensschwache Haushalte angekündigt hatte, versprach er weitere Schritte in diese Richtung und einen drastischen Modernisierungskurs. „Wir dürfen keine Minute mehr verlieren, um Frankreich zu reformieren.“

Le Pen erwiderte, Valls’ Rede klinge „wie von einem anderen Planeten“: „Das französische Volk will seine Souveränität zurück!“ Im Wahlkampf kritisierte sie die Fremdbestimmtheit durch Brüssel und sprach sich für einen Ausstieg aus dem Euro und dem Schengen-Raum aus. Sie wolle die EU „blockieren“, erklärte Le Pen, die selbst seit 2009 im Straßburger Parlament sitzt. Der Front National dürfte dort künftig 25 der 74 französischen Abgeordneten stellen.

Das Resultat bedeutet einen persönlichen Sieg für die 45-Jährige auf ihrem Weg, den Front National aus der Isolation zu holen und ihre Machtbasis Schritt für Schritt auszubauen. Besonders viele junge Leute, aber auch einfache Arbeiter und Arbeitslose stimmten für ihn. Erfolgreich präsentiert sich Marine Le Pen damit als Fürsprecherin der „kleinen Leute“, der von den Volksparteien Enttäuschten. Sie profitiert auch von der Schwäche der UMP in der Opposition, in der ideologische Unklarheit nicht nur in der Europapolitik herrscht. Und so zieht die FN-Chefin von Erfolg zu Erfolg. Ihr Ziel: die Präsidentschaftswahl 2017.

Für Norbert Wagner von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Paris erntet die FN damit Früchte einer Politik von Sozialisten und UMP, „die schon seit Jahren die politische Realität negiert“. Reformen blieben aus oder würden beim geringsten Widerstand wieder zurückgenommen. Da es bei der EU-Wahl nach Meinung vieler Franzosen „nur um Brüssel“ gegangen sei, stimmte laut Wagner jeder Vierte für eine Partei, „die außer Protest nichts anzubieten hat“.

Die Führung der UMP gestand zwar die Niederlage ein, argumentiert aber, gemeinsam mit der Zentrumsbewegung „Mouvement démocrate“ (MoDem), die sich abgespalten hatte, läge man bei 30 Prozent: „Die erste daraus zu ziehende Konsequenz lautet: sich zusammenzutun“, appellierte der frühere Premierminister Alain Juppé an die Kollegen. Das Abtreten von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy hat einen internen Kampf um die Führung in der Partei entfacht, der diese an die Zerreißprobe bringt.

Ein neuer Finanzskandal schwächt den ohnehin umstrittenen Vorsitzenden Jean-François Copé, dem bei einem Spitzentreffen heute die Ablösung droht. Sein schärfster Rivale, François Fillon, hat angekündigt, ein „tief greifender Wechsel“ sei notwendig. Ein Befund, der für die gesamte französische Parteienlandschaft gilt.