Kino ist nicht nur zur Ablenkung da, es kann auch Lebenshilfe leisten. Das beweist das Fantasy-Filmfest, bei dem es auf gewohnt unorthodoxe Weise um die Unterdrückung weiblicher Lebenslust geht, um Flüchtlingshorror und um die Sehnsucht nach dem ewigen Leben.
Wie können Menschen Grenzen überwinden, Armut, Furcht, Krankheiten und sogar den eigenen Tod? Solchen universellen Fragen, die unter dem Eindruck von Krieg und Klimawandel noch dringlicher werden, widmet sich der vielschichtige Katalog des diesjährigen Fantasy-Filmfests. 33 Spielfilme und die Kurzstreifenrolle „Get Shorty“ zeigen, welche Themen Filmschaffende aus aller Welt aktuell umtreiben.
Um Ringelpiez mit Anfassen geht es da eher selten, ein Tummelplatz für hartgesottene Pessimisten ist die 37. Ausgabe der 1987 in Hamburg gegründeten Schau aber auch nicht. Die meisten Filme entwickeln Strategien, mit mal alltäglichem, mal übernatürlichem Grauen umzugehen. Sie ermutigen dazu, auch dann nicht aufzugeben, wenn der Zombie von nebenan schon die Haustür demoliert hat und nun danach trachtet, seine Zähne in Menschenfleisch zu schlagen.
Ein starkes Beispiel für Widerstandskraft, Tapferkeit und Mut gibt die malaysische Filmemacherin Amanda Nell Eu. In ihrem mit sanften Body-Horror-Elementen angereicherten Coming-of-Age-Drama „Tiger Stripes“ geht es um die zwölfjährige Zaffa, die mit dem Eintritt in die Pubertät eine seltsame Verwandlung durchläuft.
Der Film bedient sich zwar bekannter, allerdings abgemilderter Motive aus Genreklassikern wie „Carrie“ oder „Der Exorzist“ – außergewöhnlich ist er aber in seiner Darstellung vom Alltag eines muslimischen Dorflebens mit meist desinteressierten, abwesenden Männern und Frauen. Die kontrollieren sich dafür in vorauseilendem Gehorsam gegenseitig umso strenger und pochen auf die Wahrung eines überkommenen Moralkodex.
Das Mädchen Zaffa widersetzt sich frech der Tradition. Sie streift Kittel und Schleier ab, wenn sie im Fluss toben will, und sie tanzt ausgelassen zu lauter Popmusik. Als die Dorfgemeinschaft einen Exorzisten für Zaffa bestellt, wird es brenzlig für das Kind.
Schwerpunkt zum Tierhorror
Ein Leben im Dauerausnahmezustand zeigt auch der moderat unheimliche Horrorthriller „Raging Grace“. Er erzählt von einer illegal in London lebenden Hausangestellten namens Joy, die ihre Tochter während der Arbeit in einem alten Herrenhaus im Schrank verstecken muss und täglich in Furcht vor Abschiebung lebt. Tochter Grace will sich nicht abfinden mit ihrem Illegalen-Status. Die Rebellion des Mädchens gibt den Titel für diesen modern interpretierten Gothic-Horror um das mit historischen Artefakten vollgestopfte Luxusanwesen, in dem Joy einen vermeintlich komatösen älteren Herrn und dessen Nichte bedienen muss. Regisseur Paris Zarcilla, Sohn aus Ostasien nach England migrierter Eltern, beschäftigt sich mit den Folgen des britischen Kolonialismus und der Abschiebepraxis westlicher Länder, die sich angesichts wachsender Krisen immer strikter vom globalen Süden abzuschotten versuchen.
Neben weiteren Erzählungen über widerstandsfähige und wehrhafte Frauen – darunter die Barbarinnenfantasie „Conann“ und das Endzeitgleichnis „The Survival of Kindness“ – gibt es in diesem Jahr neben einem Schwerpunkt zum Tierhorror („Animal Kingdom“, „Vermin“, „Mad Cats“) auch mehrere Werke, die sich mit der Überwindung des physischen Todes auseinandersetzen. Bei den Filmfestspielen von Venedig ist gerade Giorgos Lanthimos’ emanzipatorische Frankenstein-Variante „Poor Things“ mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet worden.
Der Tod als Endzustand ist abgeschafft
Das beliebte Motiv greift auch die Amerikanerin Laura Moss auf in „Birth/Rebirth“. Darin erwecken zwei Frauen ein verstorbenes Kind mit den Mitteln moderner Medizin wieder zum Leben. Mary Shelley, die Schöpferin der historischen Frankenstein-Monstergeschichte, mahnte noch, die Naturgesetze zu respektieren. Es ist eine interessante Frage, zu welcher Einschätzung Laura Moss mit ihrer neuen Adaption gelangt.
In der tschechischen Science-Fiction-Dystopie „Restore Point“ ist der natürliche Tod als Endzustand schon abgeschafft, während der Franzose Quarxx in „Pandemonium“ eine Schreckensvision des metaphysischen Hades entwickelt. Wer wie Elon Musk statt ins Jenseits lieber ins Weltall reist, um einen möglichen Ernstfall in der Zukunft zu proben, kann das mit dem Science-Fiction-Trickfilm „Mars Express“ tun oder in „The Moon“ einer koreanischen Crew auf großer Mission folgen.
Paranoia und soziale Ruppigkeit als Langzeitfolgen der Pandemie verarbeiten schließlich Filme wie „The Harbinger“ und „Vincent Must Die“. Hoffnung versprühen Werke dieser Kategorie eher nicht – aber sie feiern einen ungebrochenen Überlebenswillen in harten Zeiten.
Programm
Festival
Das Fantasy-Filmfest zeigt vom 20. bis 27. September im EM-Kino in Stuttgart 33 Produktionen aus Europa, Asien und den USA. Zur Eröffnung läuft Luc Bessons „Dog Man“ (20.9., 19. Uhr), der regulär am 12.10. in den deutschen Kinos startet.
Filme
Das Festival bietet unter anderem Dystopien wie „The Survival of Kindness“ (22.9., 17.15 Uhr), chinesische Fantasy wie „New Gods: Yang Jian“ (26.9., 15.30 Uhr) und feministischen Horror wie „Perpetrator“ (21.9., 22.15 Uhr). Außerdem gibt es auch die satirische Untoten-Komödie „We Are Zombies“ (21.9., 20.15 Uhr) zu sehen – und in „Slotherhouse“ (24.9., 22 Uhr) ein ebenso niedliches wie blutrünstiges Faultier.