Familiengerichten droht Ansturm: Geschiedene Männer können beantragen, den Versorgungsausgleich neu aufzurollen – mit unabsehbaren Folgen.

Berlin - Eigentlich wollte die Union mit der verbesserten Mütterrente für mehr Zufriedenheit sorgen und den Familien etwas Gutes tun. Doch nun stellt sich heraus, dass die vermeintliche Wohltat in etlichen Großfamilien neuen Unmut stiften und alte Wunden aufreißen wird. Womöglich werden die Koalitionäre mit ihrem umstrittenen Gesetz sogar einen Ansturm auf die Familiengerichte auslösen.

In diesen Tagen, da Deutschland über die Mütterrente diskutiert, trudeln in der Sache viele Zuschriften auch in unsere Redaktion ein. In der Regel sind die Verfasser männlich, haben Kinder und haben in den letzten Jahren eine Scheidung hinter sich gebracht. Dabei hat das Gericht einen sogenannten Versorgungsausgleich vorgenommen.

Konkret heißt das, dass die Männer meist einen Teil ihrer Ansprüche an die Altersvorsorge – sei es in der gesetzlichen Rente, Betriebsrente, bei Lebensversicherungen oder berufsständischen Versorgungswerken – an die geschiedene Ehefrau abtreten mussten. Vielfach hatte die Ehefrau in glücklicheren Zeiten des Paares beruflich zurückgesteckt oder ganz pausiert, um den gemeinsamen Nachwuchs zu betreuen. Wie das Leben so ist: Wenn die Liebe erst einmal zu Ende ist und man sich vor dem Scheidungsrichter getroffen hat, haben beide Seiten hinterher das Gefühl, finanziell schlecht weggekommen zu sein. Meist haben sich die Ex-Ehepartner mit den finanziell schlechteren Aussichten fürs Alter inzwischen arrangiert,viele zähneknirschend.

Nun aber liefert die Politik einen Anlass, alte Rechnungen zu begleichen. Ein Leser schreibt: „Meine Ex-Frau hat nach dem Versorgungsausgleich keine Renteneinbußen mehr durch die Kindererziehung.“ Die während der Ehe erworbenen Ansprüche seien gerecht aufgeteilt worden. Seinem „Gerechtigkeitsempfinden“ würde es widersprechen, wenn die Ex-Gattin nun auch noch den zusätzlich zu verteilenden Rentenpunkt bekäme. Und weiter: „Deshalb bin ich der Meinung, dass ein weiterer Rentenpunkt mir zusteht.“ In seinem Fall geht es zwar derzeit nur um gut 28 Euro monatlich. Wenn aber zwei, drei oder mehr Kinder erzogen wurden, läppert es sich. Und vielen geht es wohl einfach ums Prinzip.

Und nun? Die Rechtslage sieht so aus: Den Zuschlag zur Rente bekommt derjenige, dem bereits ein Jahr für die Erziehung des Kindes auf seinem Rentenkonto gutgeschrieben wurde. In der Regel ist das die Frau.

Wenn nach einer Scheidung mit Versorgungsausgleich der Mann meint, er sei benachteiligt, muss er das nicht hinnehmen. Er kann prüfen lassen, ob er Chancen hat, vor einem Familiengericht den alten Versorgungsausgleich wieder neu aufrollen zu lassen. Wie seine Chancen stehen, hängt von mehreren, recht komplizierten Faktoren ab. Ein Rechtsanwalt muss sich jeden Fall genau anschauen und kann erst dann eine Bewertung abgeben. Männer, die entschlossen sind, noch einmal gegen ihre Ex-Gattin vor Gericht zu ziehen, seien aber gewarnt. Ihr Vorhaben kann tückisch sein.

Heinrich Schürmann, Richter am Oberlandesgericht Oldenburg und Vize beim Deutschen Familiengerichtstag, sagte unserer Zeitung: „Seit September 2009 gilt eine neue Rechtslage beim Versorgungsausgleich. Alle, die noch nach altem Recht geschieden wurden, müssen wissen, dass der Schuss auch nach hinten losgehen kann.“ Der neue Versorgungsausgleich würde in jedem Fall nach neuem Recht vorgenommen.

Mit möglicherweise unabsehbaren Folgen. Denn: Die Rechtslage ist nicht einfach. Klar ist, dass vor allem diejenigen Ex-Ehepaare, die nicht nur Ansprüche an die Gesetzliche Rentenversicherung haben, sondern auch noch aus einer Betriebsrente, berufsständischen Versorgungswerken oder Lebensversicherungen, eine böse Überraschung erleben könnten. Sie bekämen vielleicht einen halben Entgeltpunkt je Kind von ihrer Ex-Ehefrau bei der auf ihrem Rentenkonto gutgeschrieben. „Bei einem Rentenplus von 28 Euro pro Kind können die Männer damit rechnen, an der Hälfte der Erhöhung beteiligt zu werden.“ Dieses Gefühl der Genugtuung müssten sie aber womöglich bitter bezahlen: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass ihnen die Regelung bei der Betriebsrente wieder um die Ohren fliegt“, so Richter Schürmann.