Wie gegen das drohende Fahrverbot in Stuttgart vorgehen? Ministerpräsident Kretschmann (r) und Vize Strobl finden keine gemeinsame Linie. Foto: Lg /Willikonsky, Zweygarth

Während die Stuttgarter streiten, könnte andernorts ein Urteil fallen: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wird am 22. Februar darüber urteilen, ob Städte mit Zusatzschildern Umweltzonen schaffen dürfen.

Stuttgart - Die grün-schwarze Landesregierung hat am Freitag unerwartet zweieinhalb Stunden über das Vorgehen gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu umfassenden Fahrverboten in Stuttgart gestritten. Danach strebten die Koalitionäre, an der Spitze Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), frustriert und „ergebnisoffen“ auseinander. Angesetzt war nach einer „begründeten Einschätzung“, so Regierungssprecher Rudi Hoogvliet, nur eine Stunde. Die Gespräche würden fortgesetzt, sagte Hoogvliet. Er verneinte die Frage nach einer Koalitionskrise. Manchmal dauerten Verhandlungen eben länger, versuchte er den Zwist kleinzureden: „Man wird zusammenfinden“, so der Sprecher.

Dafür bleiben noch 72 Stunden. Wegen des Feiertages am 3. Oktober muss die Regierung ihre Entscheidung dem Gericht spätestens am kommenden Montag bis 23.59 Uhr bekannt geben. Der Termin gilt auch für den Kläger Deutsche Umwelthilfe (DUH), der sich aber über das Urteil hochzufrieden zeigt. „Bei einem der wichtigsten Themen hat diese Koalition nicht die Kraft, eine Lösung zu finden“, kommentierte dagegen SPD-Landtagsfraktionschef Andreas Stoch das Zerwürfnis.

Grüne und CDU streiten über das Rechtsmittel – also, ob gegen die zum 1. Januar 2018 verfügten Fahrverbote in ganz Stuttgart für Diesel unter Euro 6 und Benziner unter der Euronorm 3 vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim Berufung eingelegt wird. Oder ob diese zweite Instanz übersprungen und die Sprungrevision vor dem Bundesverwaltungsgericht Leipzig gewählt wird. Das würde etwa ein Jahr sparen. In Leipzig würde das Urteil allerdings nicht mehr inhaltlich geprüft werden. Auf diese inhaltliche Prüfung pochen Vize-Regierungschef Thomas Strobl und CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart. Die CDU-Fraktion hatte beiden allerdings in einem einstimmigen Beschluss am Mittwoch auch den Weg zur Sprungrevision eröffnet. Die Grünen wollten diesen Kompromiss eingehen.

Kommt das Geld nicht aus Berlin, müsste es aus dem Landeshaushalt fließen

Strobls Sprecherin sagte nach den festgefahrenen Verhandlungen, es gebe diverse Maßnahmen, die die Regierung zur Schadstoffminderung ergreifen wolle. Diese könnten in einem Berufungsverfahren gewichtet werden und das Urteil verändern. In der Sprungrevision würden sie keine Rolle spielen. Das Maßnahmenpaket, das die Regierung neu auflegen will, und für das sie sich rund 400 Millionen Euro aus dem Bundesfonds für nachhaltige Mobilität erhofft, umfasst neue Expressbuslinien, einen dichteren Takt bei Bus und Schiene, neue Fahrzeuge für die Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) und Zuschüsse für die Umstellung von Flotten auf E-Mobilität in Stuttgart.

Die Liste aus dem Haus von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sei mit den von der CDU geführten Ministerien Inneres und Wirtschaft abgestimmt worden, so ein Sprecher Hermanns. Kommt das Geld nicht aus Berlin, müsste es aus dem Landeshaushalt fließen. Wolfgang Reinhart zeigte sich auf dem Weg zur Dienstlimousine verärgert darüber, dass die mögliche Einigung auf eine Sprungrevision bereits vor zwei Tagen in der Presse stand. Die Entscheidung falle erst noch, so Reinhart. Ob Städte, so wie es das Verwaltungsgericht Stuttgart entschieden hat, mit eigens konzipierten Verkehrsschildern Fahrverbote aus Umweltschutzgründen erlassen können, könnte bereits am 22. Februar in Leipzig entschieden werden. Dann wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf überprüft. Das Gericht war der DUH in seinem Urteil von September 2016 gefolgt und hatte Beschilderungs-Vorschläge gemacht. Auch ohne Blaue Plakette hätten die Städte nicht nur die Möglichkeit, sondern sogar die Pflicht, den Gesundheitsschutz durchzusetzen. So argumentierte Anfang September 2017 auch das Verwaltungsgericht Stuttgart.

In der Straßenverkehrsordnung (StVO) ist ausschließlich das Umweltzonen-Zeichen mit den farbigen Plaketten für ein zonales Fahrverbot vorgesehen. Der Bundesgesetzgeber habe zwar bisher nur drei Plaketten für Fahrverbote in der Umweltzone zur Verfügung gestellt, er habe damit aber keine weiteren Verbote verhindern wollen. Das wäre auch rechtswidrig, so die Stuttgarter Richter, denn der Gesundheitsschutz stehe über allem. Wenn der Bund nicht tätig werde, müssten dies die Länder tun. Würde das Düsseldorfer Urteil am 22. Februar bestätigt werden, könnte das unmittelbare Auswirkungen auf Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in der gesamten Republik haben. Diese drohen nicht nur in Stuttgart, sondern auch in München und Hamburg.

Bei dieser aktuellen Entwicklung wird für die DUH noch bedeutsamer, was der Geschäftsführer Jürgen Resch auch dann gefordert hätte, wenn sich die Koalition auf die Sprungrevision verständigt hätte: eine Art Notprogramm, mit dem sichergestellt wird, dass schon in diesem Winter der Schadstoffausstoß deutlich sinke.

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