Für Betriebe wird es immer schwieriger, an Auszubildende zu kommen. Die Kippenheimer Firma Neugart ist da keine Ausnahme. Ausbildungsleiter Alexander Obergföll erklärt, dass die Suche und auch die Ausbildung selbst immer mehr Bemühungen erfordern.
Im Ausbildungsbereich des Kippenheimer Getriebeherstellers Neugart ist einiges los. Dort tüfteln Azubis in Feinarbeit an Gewerken und bedienen die Ausbildungsmaschinen. Momentan üben sie noch und produzieren „für den Müll“, erklärt Ausbildungsleiter Alexander Obergföll, doch bald schon wird es für sie ernst und sie arbeiten an Produkten, die in den Verkauf gehen. Dann kommt es auf jeden Hundertstel-Millimeter an. Zwischen 55 und 60 Auszubildende beschäftigt Neugart, doch dies ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Wie fast alle Unternehmen muss Neugart um Auszubildende kämpfen.
Schüler werden aufs Studium getrimmt
„Noch vor fünf, sechs Jahren waren die Schulungsräume komplett gefüllt mit Bewerbern“, erinnert sich Obergföll. Seit 2012 ist er beim Getriebehersteller in der gewerblich-technischen Ausbildung tätig und hat seitdem einen Wandel miterlebt. „Die Schüler bewerben sich nicht mehr in praktischen Berufen“, sagt er. Ein Grund dafür liegt für ihn im Bildungssystem: „Die Schüler werden immer mehr aufs Studium getrimmt.“ Praktische Aspekte würden weniger im Fokus stehen. So hätten sich früher bei Neugart regelmäßig Realschüler und auch Gymnasiasten beworben. Das sei heute kaum noch der Fall, schildert Obergföll. Die meisten gingen in Richtung Studium.
„Das merken wir jetzt“, erzählt der Ausbildungsleiter weiter. Inzwischen kämen die meisten Bewerbungen von Hauptschülern. Das sei zwar prinzipiell kein Problem – „wenn man aufgeweckt ist, bekommt man die Chance“, sagt Obergföll –, doch er merke, dass es bei vielen Auszubildenden an den Grundlagen fehlt. „Wenn die Azubis Lücken haben, müssen diese geschlossen werden. Wir sind im Betrieb mittlerweile auch Lehrer“, beschreibt er eine Entwicklung in seiner Tätigkeit, die vor allem durch die Corona-Krise noch einmal an Fahrt aufgenommen habe.
Lücken in Mathematik
Um beispielsweise als Zerspanungsmechaniker die Maschinen zu bedienen, müssen die Auszubildenden mathematische Formeln umstellen, können dies jedoch teilweise nicht. Im „betrieblichen Unterricht“, wie Obergföll die Nachhilfe nennt, bringe man den Azubis bei, was sie für ihren Job brauchen. Auch die Grundrechenarten und Bruchrechnen sind Thema. „Das müsste eigentlich die Schule schon leisten“, kritisiert der Ausbildungsleiter. Unter anderem aufgrund dieses höheren Betreuungsaufwands habe man bei Neugart in der Ausbildung eine zusätzliche Stelle geschaffen.
Obergföll betont dabei jedoch, dass er das Vorurteil einer „Null-Bock-Generation“ nicht bestätigen kann. Die meisten „kommen schon zum Schaffen“, sagt er. Das Praktische sei nicht das Problem. Allerdings seien manche Azubis nur wenig motiviert, die Theorie zu lernen und würden Regeln etwas locker sehen. „Zu spät kommen oder das Berichtsheft vergessen – das hat man sich früher gar nicht getraut“, erinnert sich Obergföll an seine eigene Ausbildungszeit bei der Kippenheimer Firma.
Um diesem Trend entgegenzuwirken und mehr Auszubildende auch von der Realschule oder vom Gymnasium anzuwerben, investiert Neugart viel Zeit. „Wir gehen viel in Schulen“, sagt Obergföll. Bei Berufsinformationsveranstaltungen wie kürzlich in Lahr und Friesenheim präsentieren Mitarbeiter das Unternehmen. „Das trägt jetzt schon Früchte“, sagt der Ausbildungsleiter. Allgemein habe man die Bemühungen seit der Corona-Krise deutlich erhöht: „Wir haben früher nur Produktmarketing betrieben. Jetzt machen wir auch Arbeitgebermarketing“. Dazu nutzt die Firma auch Soziale Medien wie Instagram, Tiktok und Snapchat, die von der Zielgruppe häufig genutzt werden.
Etwa die Hälfte kommt nach einem Praktikum
Beim Anwerben gehe es nicht nur um Azubis, sondern auch um Praktika. „Etwa die Hälfte aller Azubis kommt nach einem Praktikum“, sagt Obergföll. Dies habe für das Unternehmen den Vorteil, dass man mitbekommt, wie die Praktikanten arbeiten. „Man lernt den Menschen kennen.“ Wenn es menschlich passt, seien auch die Noten zweitrangig. Auch über die Weiterempfehlung durch Freunde kämen viele Azubis zu Neugart.
Obergföll denkt, dass Ausbildungsberufe allgemein keineswegs ein Image-Problem, sondern eher ein Bekanntheitsproblem haben. Viele wüssten beispielsweise gar nicht genau, was ein Zerspanungsmechaniker macht. Schüler würden nur den Industriemechaniker kennen. Auch deswegen sei die Präsenz in den Schulen und bei Aktionen wie dem „Tag der Ausbildung“ wichtig. Dabei wolle man auch jene Schüler ansprechen, die ein Studium anstreben, denn die Modelle müssten sich nicht gegenseitig ausschließen. „Eine Ausbildung kann auch das Sprungbrett für ein Studium sein“, sagt Obergföll. Absolventen, die zuvor schon praktische Erfahrungen gemacht haben, seien für Arbeitgeber später attraktiver.
Tag der Ausbildung
Zum zweiten Mal veranstaltet die Kippenheimer Firma Neugart am Samstag, 18. März, einen „Tag der Ausbildung“. Beim letzten Mal waren 800 Besucher da. Der Tag sei richtig gut angekommen, freut sich Ausbildungsleiter Alexander Obergföll. Auf ähnliche Zahlen hofft die Firma Neugart auch in diesem Jahr.