Ausländischen Fachkräften werden hierzulande nach wie vor einige Hürden in den Weg gestellt. Foto: Kraufmann

Rund 66­.000 Fachkräfte werden der Wirtschaft in der Region Stuttgart allein in diesem Jahr fehlen. Doch im internationalen Vergleich hinkt Deutschland beim Anwerben von qualifizierten Arbeitskräften, insbesondere aus Nicht-EU-Staaten, hinterher.

Rund 66.000 Fachkräfte werden der Wirtschaft in der Region Stuttgart allein in diesem Jahr fehlen. Doch im internationalen Vergleich hinkt Deutschland beim Anwerben von qualifizierten Arbeitskräften, insbesondere aus Nicht-EU-Staaten, hinterher.

Stuttgart - Golaleh Wehnert hat in Deutschland ihren Master in Bauingenieurwesen gemacht, hatte schnell ein perfektes Jobangebot in einem Unternehmen – Bauingenieurinnen sind gefragt. Eine Arbeitserlaubnis bekam die Iranerin aber nicht: Das Gehalt, das ihr für den Job angeboten wurde, war nach den Auflagen zu niedrig, obwohl es ein Berufseinsteigergehalt nach Tarif war. Die junge Frau versuchte es monatelang, ließ sich auf lange Diskussionen in der Ausländerbehörde ein, wurde immer wieder abgewiesen – ohne richtige Begründung, wie sie sagt. Erst als sie dann ihren deutschen Freund heiratete, bekam sie eine Aufenthaltsgenehmigung und konnte arbeiten.

Rund 66 000 Fachkräfte werden der Wirtschaft in der Region Stuttgart allein in diesem Jahr fehlen, bis zum Jahr 2030 werden es noch einmal fast 50 Prozent mehr sein. Doch im internationalen Vergleich hinkt Deutschland beim Anwerben von qualifizierten Arbeitskräften insbesondere aus Nicht-EU-Staaten hinterher, viele Unternehmen haben Probleme, genug Fachkräfte zu bekommen – und das nicht nur im Pflegebereich.

„Wir teilen die Auffassung der Landesregierung, dass unsere Wirtschaft von der Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU profitiert“, sagt Andreas Richter, Hauptgeschäftsführer der IHK Region Stuttgart. „Allerdings darf die aktuelle Debatte nicht verdecken, dass unsere Unternehmen auch gut ausgebildete Menschen aus Ländern außerhalb Europas beschäftigen möchten.“

Hier sieht die IHK in der Region noch Handlungsbedarf. Bisher kämen bei weitem nicht so viele Fachkräfte wie nötig – und das, obwohl 2012 mit der Einführung der „Blauen Karte EU“ zentrale Hürden für Hochqualifizierte und dringend benötigte Facharbeiter abgebaut wurden. So erhalten Ausländer aus Drittstaaten – also Nicht-EU-Staaten – heute relativ einfach eine Aufenthalts- und Arbeitsberechtigung, wenn sie Akademiker sind oder einen sogenannten Mangelberuf ausüben. Mit der neuen Beschäftigungsordnung vom Juli 2013 ist es zudem leichter geworden, ausländische Berufsabschlüsse in Deutschland anerkennen zu lassen und so mit einer abgeschlossenen Ausbildung in Deutschland zu arbeiten – zumindest in bestimmten Berufsfeldern.

„Seit diesen Reformen hat Deutschland eines der großzügigsten Einwanderungsrechte der Welt“, sagt Christine Langenfeld, Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Migration und Integration. Klassische Einwanderungsländer wie Kanada setzen sehr viel stärker auf Selbstversorgung wie selbstfinanzierte Gesundheitsversorgung, die USA vergeben Visa nach sehr hohen Kriterien und nach einem intransparenten System, sagt Langenfeld.

Die deutschen Erleichterungen für qualifizierte Drittstaaten-Zuwanderer haben allerdings auch Einschränkungen: Die Bundesagentur für Arbeit stellt regelmäßig eine Positivliste für Berufe zusammen, in denen Fachkräfte gesucht werden – das gilt für Pflegeberufe, in Baden-Württemberg mittlerweile aber beispielsweise auch für den IT-Bereich, das Ingenieurwesen oder Installateure. Nur, wer eine Ausbildung in diesem Bereich nachweisen kann, bekommt ohne Weiteres eine Arbeitsberechtigung. Dazu kommt: Wer wie Golaleh Wehnert zu wenig Geld verdient, bekommt keine Genehmigung. In den Mangelberufen müssen ausländische Fachkräfte ein Bruttojahresgehalt von knapp 37 000 Euro erzielen, mit Hochschulabschluss sogar ein Gehalt von 47 600 Euro – das sind Monatsgehälter von über 3000 Euro. Und noch immer spielen bürokratische Probleme eine Rolle, sagt Langenfeld. Die Zuständigkeiten beispielsweise für die Anerkennung von Berufsabschlüssen seien sehr zersplittert, auf Länderebene fehlten oftmals noch konkrete Regelungen.

Die IHK sieht Deutschland im internationalen Wettbewerb insbesondere aufgrund der Sprachbarriere im Nachteil gegenüber englischsprachigen Einwanderungsländern. Gerade deshalb müsse sich Deutschland besonders bemühen und in anderen Bereichen für Ausländer attraktiver werden. „Deutschland vermittelt allerdings nicht den Eindruck, dass ausländische Fachkräfte wirklich willkommen sind“, sagt Richter.

Durch die fehlende Willkommenskultur sei Deutschland bislang nur mäßig attraktiv für Hochqualifizierte aus dem Ausland, die eher schwache Resonanz auf die Blue-Card zeige dies deutlich. Etwa 10 000 Blaue Karten wurden seit Mitte 2012 von den Arbeitsagenturen vergeben.

Um den tatsächlichen Bedarf an gut ausgebildeten Kräften auch zukünftig decken zu können, müsse sich dringend etwas ändern: „Wo wir wirklich stehen, zeigt die jüngste Debatte über die Freizügigkeit von Rumänen und Bulgaren. Die Tendenz, sich abzuschotten, wie sie sich in der Schweiz entwickelt, sollten wir vermeiden“, so Richter. In der Diskussion werden aber immer wieder auch Bedenken geäußert: Vor kurzem erst hatte CDU-Fraktionschef im Landtag Peter Hauk angemahnt, man müsse auch Erwartungen an die Menschen formulieren, die man integrieren wolle. Es gebe Sorge und Unsicherheit bei den Bürgern, die man ernst nehmen müsse.

Lange hat sich Deutschland mit einer restriktiven Zuwanderungspolitik nach außen abgeschottet. Das abschreckende Image wirkt noch heute im Ausland nach, zu dem Schluss kam auch die jüngste Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Die Migrations-Sachverständige Langenfeld sieht hierin große gesellschaftliche Herausforderungen: „Anders als Deutschland sind Länder wie Kanada oder die USA in ihrer Identität untrennbar mit Einwanderung verbunden. Auch die deutsche Gesellschaft muss sich hier langfristig wandeln.“

Auf Widerstand ist auch die 44-jährige Georgia (Name geändert) aus Griechenland gestoßen. Als Erzieherin wollte die Diplom-Psychologin und Philologin in einem Stuttgarter Kindergarten tätig werden, 19 Jahre hatte sie zuvor in Griechenland mit Schulkindern gearbeitet. Die Anerkennung ihres Abschlusses war die erste Hürde, zog sich hin. Als sie schließlich in einem städtischen Kindergarten arbeiten konnte, schlugen ihr von Kollegen Vorurteile entgegen. „Ich wurde zum ersten Mal in meinem Leben ausgeschlossen“, sagt die Griechin. „Es gibt viele Stellen für Erzieherinnen, der Fachkräftemangel ist groß, aber wenn man so etwas erlebt, macht es wenig Sinn hierzubleiben.“