Arte zeigt Dominik Grafs sinnliche Erich-Kästner-Adaption „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“, ein filmkünstlerisches Pendant zur brillanten Serie „Babylon Berlin“.
Im Berlin des Jahres 1931 finden Fabian und Cornelia zu einer fast schmerzhaften Innigkeit, die sie vom Wahnsinn des brodelnden Sündenpfuhls abschirmt. Nichts und niemand kann so einer Liebe etwas anhaben – außer den Liebenden selbst.
Fabian ist als „Moralist“ gekennzeichnet
Erich Kästners Roman „Fabian“, erschienen 1931, ist ein hellsichtiges Sittengemälde der Weimarer Republik kurz vor dem Untergang. Der als „Moralist“ gekennzeichnete Jakob Fabian betextet ohne Lust Tabakreklame und begleitet sarkastisch die Wirtschaftskrise, extremistische Umtriebe und hedonistische Exzesse. Als er selbst arbeitslos wird, verliert er den Boden unter den Füßen.
Der Filmregisseur Dominik Graf („Tatort – Der rote Schatten“) macht daraus eine wilde, sinnliche Collage mit vielen Ebenen. Tom Schilling, schon in „Werk ohne Autor“ mitten in der deutschen Geschichte, verleiht dem tragischen Fabian die Aura eines fassungslosen Melancholikers und Romantikers, der eine sexsüchtige Anwaltsgattin (Meret Becker) auf Distanz hält, vom letzten Geld ein Geschenk für die Geliebte kauft und ohne Geld einem Arbeitslosen ein Essen im Restaurant spendiert.
Saskia Rosendahl, in „Werk ohne Autor“ die exzentrische Tante und in „Babylon Berlin“ eine rebellische Generalstochter, verkörpert als Cornelia unbedingte Daseinsfreude – und den tiefen Zwiespalt einer jungen Frau in den Fängen eines schmierigen Filmproduzenten. Albrecht Schuch macht aus Fabians bestem Freund Labude einen rastlosen Stimmungswandler. Mal führt er mit Grandezza Nazis an der Uni vor, die bereits die Fakultäten unterwandern, dann vergräbt er sich wieder tagelang in seinem Zimmer, um sich seiner Verzweiflung über die rücksichtslose Welt hinzugeben. In Labudes elterlicher Villa am See baden die drei, schießen Tontauben, trinken bis zum Morgengrauen, genießen unbeschwerte Stunden. Doch das Unheil braut sich längst zusammen.
Es wird exzessiv gesoffen und geraucht
Graf schöpft die Mittel des Kinos in Bild und Ton voll aus. Dialoge und eingesprochene Textpassagen lassen Kästners präzise, beißend ironische Sprache lebendig werden. Was macht ein Junge aus der Provinz in Berlin? „Blumigen Unsinn schreiben, damit die Menschheit noch mehr Zigaretten raucht als bisher“, denkt Fabian. Graf arbeitet mit geteilter Leinwand, Zeitlupen und Standbildern, etwa wenn es im Kabarett zur Schlägerei kommt oder wenn eine Frau Rauch ausstößt, während sie über eine unterirdische Darbietung lacht.
Es wird exzessiv gesoffen und geraucht, Kristallgläser mit langen Stielen, verlaufene Schminke und zerzauste Frisuren dekorieren die gesellschaftlichen Erosion, den rauschhaften Tanz am Abgrund.
In kurzen Albtraumsequenzen begegnet Fabian einem entstellten Weltkriegsveteranen wie aus einem Gemälde von Otto Dix. Martialische Wahlplakate zieren die Häuserwände. An ausgewählten Schauplätzen blitzen Schlaglichter aus der Gegenwart auf, die an die historische Katastrophe erinnern, die 1933 begann. „Fabian“ war den Nazis ein Dorn im Auge, bei ihrer Bücherverbrennung warfen sie auch Kästners Werke in die Flammen.
Die Stimmung in „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ ähnelt jener in der Serie „Babylon Berlin“, aber Dominik Graf nähert sich dem Ende der ersten deutschen Demokratie mit den assoziativen Mitteln der Filmkunst. Spielfilm und Serie ergänzen einander, auf ihre Weise kreisen beide um ein Motiv aus der Offenbarung des Johannes, das der Autor Alfred Döblin in seinem Roman „Berlin Alexanderplatz“ (1929) explizit bearbeitet hat: „Die große Hure Babylon“, die ihre Kinder frisst. Da ist selbst die größte Liebe machtlos.
Fabian oder der Gang vor die Hunde. Arte, 7. April, 20.15 Uhr.