Im Januar kündigte der Franziskanerorden eine Studie über Missbrauch in seinen Klöstern an. Zwar haben sich schon Betroffene gemeldet, doch Wissenschaftler gehen von noch mehr aus.
Der von Franz von Assisi (1181-1226) gegründete Franziskanerorden ist heute nach den Jesuiten und Benediktinern weltweit mit rund 13.600 Mitgliedern der drittgrößte Orden der katholischen Kirche. Wie in vielen Ordensgemeinschaften und im weltlichen Klerus sind auch bei Franziskanern zahlreiche Fälle von sexuellen Missbrauch durch Ordensmitglieder aufzuarbeiten.
Beauftragte Experten suchen nach Betroffenen
Der Wille der Ordensleitung, die Aufklärung in die Tat umzusetzen, ist da. Doch es hapert an ganz praktischen Problemen. Nach der Ankündigung der Franziskanermönche in Deutschland, Missbrauchsfälle in ihren Klöstern mit einer Studie aufarbeiten zu wollen, suchen Wissenschaftler nach Betroffenen.
Mehr als 40 Meldungen sind nach Angaben von Institutsleiterin Helga Dill seit 2010 beim federführenden Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) in München eingegangen, das unter anderem schon Missbrauchsfälle im katholischen Bistum Essen und im oberbayerischen Kloster Ettal aufgearbeitet hat. Doch die Experten gehen von weiteren Betroffenen aus.
„Der Großteil der als Täter beschuldigten Brüder ist bereits verstorben“, schreibt die deutsche Ordensleitung auf ihrer Homepage. „Als Ordensgemeinschaft stellen wir uns der dunklen Seite unserer Geschichte und übernehmen die Verantwortung für das erlittene Unrecht.
Tatorte vor allem im Bistum Essen und in zwei Internaten
Allein seit der jüngsten Veröffentlichung eines entsprechenden Aufrufs durch das IPP sind vier Meldungen hinzugekommen. Weitere Menschen, die Opfer sexueller Gewalt durch Franziskanermönche wurden, sollen sich beim IPP melden.
Bisher hätten die Forscher vor allem Interviews mit Ordensleuten geführt, die über den Umgang mit sexualisierter Gewalt berichteten. Akten wurden ausgewertet – ebenso Dokumente über Ordensmitglieder, die des Missbrauchs beschuldigt werden.
Nach bisherigen Erkenntnissen fanden die Taten vor allem in den Jahren 1950 bis 1970 statt. Die Tatorte lagen in Nordrhein-Westfalen. „Die Internate Vossenack und Großkrotzenburg waren Orte, von denen wir wissen, dass dort Gewalt und auch sexualisierte Gewalt stattgefunden hat“, erklärt Dill. Ein Großteil der bislang bekannten Betroffenen sei männlich und zum Zeitpunkt der ersten Tat zwischen 10 und 14 Jahren alt gewesen.
Studie soll 2025 veröffentlicht werden
Nach Angaben des Leiters der Deutschen Franziskanerprovinz Markus Fuhrmann von Januar wurden bis dato bereits rund 500.000 Euro an Anerkennungsleistungen an Betroffene ausgezahlt, die im Bereich des Ordens sexuelle Gewalt erfahren haben.
Ziel der IPP-Studie, deren Ergebnisse im nächsten Jahr vorliegen sollen, sei auch, herauszufinden, „wo sich ähnliche Phänomene finden und wo es Unterschiede zwischen Bistümern und uns als Ordensgemeinschaft gibt“, erläutert Provinzialvikar Stefan Federbusch.
Eigene Studie zum Franziskaner-Kloster in Würzburg
Zuvor hatten bereits die Franziskaner Klosters in Würzburg einen Untersuchungsbericht zum Missbrauch in den eigenen Reihen in Auftrag gegeben. Dem im Juni 2024 veröffentlichten Bericht zufolge wird neun Brüdern sexualisierte Gewalt vorgeworfen. Ein Großteil der Fälle soll zwischen Anfang der 1960er und Ende der 1980er Jahre von nur drei Brüdern begangen worden sein.
Für die Untersuchung im Auftrag der Franziskaner führten die auf Aufarbeitung von Missbrauch spezialisierten Anwältinnen Petra Ladenburger und Martina Lörsch zwischen Oktober 2022 und Juni 2024 rund 40 Gespräche mit Beteiligten, Betroffenen und Zeugen. Zwei Beschuldigte hätten dabei ein Gespräch verweigert, drei Beschuldigte seien interviewt worden.
Jungen und Mädchen zwischen 10 und 18 Jahren jahrelang missbraucht
Die Beschuldigten sollen Jungen und Mädchen zwischen 10 und 18 Jahren wie auch junge Erwachsene zum Teil über Jahre missbraucht haben. Zahlreiche Fälle wären laut Bericht zum damaligen Zeitpunkt strafbar gewesen, gegen die Leitlinien der Ordenskonferenz verstießen sie demnach alle.
Viele der Betroffenen leiden dem Bericht zufolge bis heute an der Folgen des Missbrauchs. So beschrieben sie etwa Auswirkungen wie Depression, Beziehungsprobleme, Panikattacken oder Gefühle von Einsamkeit.
Die Verantwortlichen des Ordens sollen zwischen 1971 und 2020 immer wieder von Missbrauchsfällen erfahren haben. Deren Umgang damit sei bis auf zwei Ausnahmen im Jahr 2002 aber vor allem durch Vertuschung, Verharmlosung, Hilflosigkeit und Desinteresse gekennzeichnet gewesen.
Hauptbeschuldigte alle „charismatische Persönlichkeiten“
Zur Ermöglichung des Missbrauchs schreiben die Anwältinnen zu den drei Hauptbeschuldigten, sie würden als charismatische Persönlichkeiten mit einer großen Strahlkraft beschrieben. „Hierdurch und durch ihre große Beliebtheit außerhalb des Ordens konnten sie sich einen Nimbus der Unangreifbarkeit geben.“
Provinzialminister Bruder Andreas Murk teilte zu der Untersuchung mit: „Sofern es nach solchen Verbrechen überhaupt Gerechtigkeit geben kann, so hoffen wir, dass diese Untersuchung auch denjenigen hilft, die aufgrund der Taten einiger und des zu langen Wegschauens anderer in ihrem Leben geschädigt wurden.“ Die Aufarbeitung habe geholfen, „eine Unkultur des Schweigens zu durchbrechen.“ Es werde eine bleibende Herausforderung sein, Strukturen zu schaffen und jeweils neu anzupassen, damit potenzielle Täter keine Chance haben.
Derzeit leben 50 Brüder in dem Kloster
Im Würzburger Kloster leben derzeit 40 Brüder in 6 Konventen. Sie sind unter anderem auch im Kloster Schwarzenberg bei Scheinfeld, im Kloster Maria Eck im Chiemgau und im Kloster Schönau bei Gemünden am Main tätig. Früher bestanden auch Konvente in Bonn und Ratingen in Nordrhein-Westfalen.
Die Deutsche Franziskanerprovinz, die ihren Hauptsitz in München hat, besteht nach eigenen Angaben derzeit aus 212 Mitgliedern. 40 der Mönche sind jünger als 60, 172 älter. Das Durchschnittsalter beträgt 73 Jahre.