Die Zahl der Krankheitsfälle durch psychische Belastungen steigt. Das hat negative Auswirkungen auf das Unternehmen und auf Mitarbeiter. Zwei Experten zeigen, welche Faktoren maßgeblich zum Problem beitragen und welche Folgen sie haben.
Oft fängt es mit Konzentrationsschwierigkeiten, Motivationsverlust, Stress und Schlafstörungen an – enden kann es in Depressionen, Sucht, Angststörungen und Herzkreislauferkrankungen. Die Rede ist von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz.
Doch wie kommt es soweit und wie können sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber vor dem Teufelskreis schützen? Facharzt für Arbeits- und Allgemeinmedizin Dr. Olaf Otto aus Starzach und Diplom Arbeits- und Organisationspsychologin Antje Nikiel geben Einblicke in die Problematik in der Region und wie die Negativspirale gestoppt werden kann. Der Bericht ist in zwei Teile unterteilt – die Gründe für psychische Belastungen am Arbeitsplatz und Lösungen. Das ist der erste Teil und beschäftigt sich mit Ursachen.
Drei Hauptgründe für Erkrankungen
Die Experten unterteilen die Ursachen für psychische Belastungen in drei Hauptgründe – Gesellschaft, Kontext des Unternehmens und persönliche Faktoren.
Gesellschaft Aktuell sei es gesellschaftlich herausfordernd, zeigen sie. „Die Wirtschaft sorgt für Arbeitsunsicherheit bei vielen Menschen. Auf der einen Seite werden Stellen abgebaut und auf der anderen Seite gibt es in einigen Branchen Personalmangel. Gleich viel Arbeit wird auf weniger Schultern verteilt“, beschreibt die Expertin Antje Nikiel die Lage.
Dies führe zu Leistungs- und Zeitdruck. „Wer früher mal Experte auf seinem Gebiet war, muss sich immer mehr fachfremden Aufgaben widmen.“ Darunter leide die Qualität und vor allem die psychische Gesundheit, so Nikiel. In unserer Region sei besonders die Automobilindustrie betroffen, erklärt Psychologin Antje Nikiel.
Corona habe „geboostert“
Außerdem steige das Tempo und die Komplexität in den meisten Branchen an. Durch diese Veränderungen gebe es einen Anstieg der psychischen Belastungen.
Zudem kommen langsam die Corona-Generationen in die Arbeitswelt und es treffen sich viele verschiedene Generationen mit unterschiedlichen Bedürfnissen in den Unternehmen. Corona habe die Zahlen der psychischen Belastungen noch einmal „geboostert“, so Nikiel weiter.
Kontext des Unternehmens Am Arbeitsplatz gibt es verschiedene Bereiche zu beachten – den psychischen und den physischen. Zu den physischen Belastungen zählen Dinge wie Lärm und Ergonomie, erklärt Olaf Otto. Das führe zu zusätzlichem Stress. „Das eine führt zum anderen.“ Außerdem spiele die Personal- und Wirtschaftslage im jeweiligen Unternehmen – wie im Punkt „Gesellschaft“ – eine Rolle. Womöglich werden Stellen nicht nachbesetzt oder ähnliches. Außerdem sei die Kommunikation essenziell, sind sich die beiden Experten einig. Gibt es eine offene Kommunikationskultur? Gibt es ein gutes Netz im Unternehmen, an das sich Mitarbeiter wenden können?
Nicht jeder erträgt gleich viel Stress
Persönliche Faktoren Außerdem sei jeder Mensch und auch jede Generation ein wenig anders, zeigt Nikiel auf. Nicht jeder ertrage Stress in gleichem Maße oder könne gleich viel Leistung erbringen. Es gebe stets einen Unterschied zwischen leisten können und leisten wollen. Manchen falle es auch schwer „nein“ zu sagen. Denn: Irgendjemand müsse schließlich die Arbeit machen. Zudem könne es neben den beruflichen Aspekten auch persönliche Gründe für Stress geben, die die Umstände auf der Arbeit noch schlechter erträglich machen würden.
Rückzug ist ein Warnsignal
Diese Gründe alleine ergeben meist aber noch keine psychischen Probleme, erläutern die beiden Experten. Erst eine Kombination aus verschiedenen Faktoren über einen längeren Zeitraum würden zu einer Erkrankung führen. „Die Erkrankung ist nur die Spitze des Eisberges“, sagt Antje Nikiel.
Doch ab wann merken Betroffene, dass sie ein Problem haben und etwas dagegen tun sollten? In den meisten Fällen wirken sich psychische Belastungen zunächst in Form von Schlaflosigkeit, Motivationsdefiziten und vor allem Rückzug aus dem sozialen Leben aus. Das sollten bereits Warnsignale sein. Denn als erstes würden die eigenen Interessen zurück gestellt werden, so Nikiel.
Zweiter Teil gibt Lösungen
Was Arbeitnehmer und vor allem auch Arbeitgeber tun können, damit die Negativspirale gestoppt werden kann oder erst gar nicht entsteht, wird im zweiten Teil erläutert. Dabei geht es um Tipps zur Prävention, Lösungsansätze und was sich die Experten in Zukunft wünschen.
Zahlen und Fakten
Zunahme der Arbeitsunfähigkeit durch psychische Belastungen
Laut einer Studie von der „IGES“ nehmen Erkrankungen und Arbeitsausfälle auf Grund von psychischen Belastungen in den letzten Jahren stark zu. Innerhalb von zehn Jahren haben sich die Fälle um mehr als 50 Prozent gesteigert. Das bestätigen auch die Daten der Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse DAK-Gesundheit. Während 1997 noch 76,7 Arbeitsunfähigkeitstage je 100 Mitarbeiter auf Grund von psychischen Belastungen zu verzeichnen waren, sind es 2022 bereits 301,1 Tage.
Umsatzeinbußen
Das hat nicht nur Folgen für die Arbeitnehmer, sondern auch für die Firmen. „Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin schätzt, dass die volkswirtschaftlichen Produktionsausfälle durch Arbeitsunfähigkeit im Jahr 2023 etwa 128 Milliarden Euro betrugen, darunter 20,5 Milliarden Euro durch psychische und Verhaltensstörungen, zeigen die Experten auf. Eine Studie des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen ergab, dass die deutsche Wirtschaft 2023 ohne den hohen Krankenstand um 0,5 Prozent gewachsen wäre, anstatt um 0,3 Prozent geschrumpft zu sein.