Joshua Kimmich (rechts) macht Karriere. Foto: AP

Beim VfB ausgemustert, in der Nationalelf Stammspieler. Die Karriere von Joshua Kimmich (21) ist atemberaubend – und wirft ein schlechtes Licht auf die Schwaben.

Hannover - Sollte der DFB eines Tages einen neuen Kapitän, Mannschaftssprecher oder Integrationsbeauftragten benötigen – Sami Khedira brächte auch dank seines präsidialen Auftretens beste Voraussetzungen mit. Mit warmen Worten hieß er dieser Tage den lange verletzten Ilkay Gündogan wieder im Mannschaftskreis willkommen („Ein sehr fleißiger Junge, für den es mich auch persönlich freut“); er verteilte ein Kompliment an seinen Chef („Joachim Löw ist ein moderner Fußballtrainer geworden“). Und natürlich vergaß Khedira auch nicht, sich lobend über die Nachwuchskraft Joshua Kimmich zu äußern.

Er kenne ihn ja schon länger, sagte der Italien-Legionär über seinen Teamkollegen, und wisse daher, dass Kimmich „ein großartiger Spieler“ sei, der „immer hart arbeitet und den Beruf an erster Stelle sieht“. Kein Wunder, sagte Khedira, „wir sind ja beide aus dem gleichen Ausbildungsverein“. Es klang, als handele es sich um einen Dorfclub von der Schwäbischen Alb, den sowieso keiner kennt. Doch war natürlich der VfB Stuttgart gemeint, bei dem man nun gebannt aus dem Untergeschoss der zweiten Liga verfolgt, wie sich das nächste Eigengewächs daran macht, im Stile seines Mentors die Fußballwelt zu erobern. Zum Weltmeister, Champions-League-Sieger und Meister in drei verschiedenen Ländern hat es Khedira gebracht. Und auch bei Kimmich, in Stuttgart einst für nicht reif genug betrachtet, um in der zweiten VfB-Mannschaft zu spielen, dürfte es nicht bei dem Doublegewinn bleiben, der bereits jetzt in seiner jungen Vita steht.

Die Entdeckung der EM

In atemberaubendem Tempo setzt er sich fort, der Aufstieg des Joshua Kimmich (21): Mit zwölf zum VfB gekommen, mit 18 an RB Leipzig ausgeliehen, mit 20 für 8,5 Millionen Euro an den FC Bayern verkauft, mit 21 auf den letzten Drücker für die EM nominiert. In Frankreich avancierte er zur großen Entdeckung im deutschen Team, als er im letzten Gruppenspiel gegen Nordirland (1:0) erstmals als rechter Verteidiger aufgeboten wurde und an Philipp Lahm erinnerte, den seit vielen Jahren vielleicht besten Außenverteidiger der Welt.

Wenn es an diesem Dienstag (20.45 Uhr/RTL) in der WM-Qualifikation in Hannover zum nächsten Duell mit Nordirland kommt, dann ist Kimmich keine Entdeckung mehr. Sondern ein unumstrittener Stammspieler der deutschen Nationalmannschaft. „Er hat sich auf der rechten Verteidigerposition festgespielt“, das hatte Joachim Löw schon vor dem 3:0-Sieg am vergangenen Samstag gegen Tschechien verkündet, bei dem Kimmich wieder so überzeugend und souverän aufspielte, als sei es nicht sein siebtes Länderspiel gewesen, sondern sein siebzigstes.

Kimmich, der neue Torjäger

Es war die nahtlose Fortsetzung der berauschenden Wochen, die hinter dem 1,76 Meter großen Musterschüler liegen. Zuletzt ist Kimmich gar zum Torjäger geworden. Im DFB-Trikot gelang ihm beim 3:0-Sieg Anfang September in Norwegen sein Premierentreffer; bereits drei Bundesligatore erzielte er in dieser Saison für die Bayern (beim 1:1 zuletzt gegen Köln sogar per Flugkopfball) und traf auch in der Champions League. „Im Moment springen mir die Bälle vor die Füße – dieses Gefühl, Tore zu schießen, kannte ich vorher nicht“, sagt Kimmich. Allein an Glück und Zufall freilich liegt es nicht, dass er immer öfter trifft und immer stärker wird.

Auf idealtypische Weise paaren sich in seinem Fall Talent und Mentalität. Er verfügt über eine perfekte Technik und ein Höchstmaß an Spielintelligenz; abseits des Spielfelds tritt er bescheiden, höflich und zurückhaltend auf – und ist nicht wiederzuerkennen, wenn der den Platz betritt und unbändigen Siegeswillen ausstrahlt. „Wenn ich irgendetwas mache, dann mache ich das zu hundert Prozent“, sagt Kimmich: „Selbst nach einem verloren Trainingsspiel brauche ich ein paar Minuten, manchmal auch Stunden, um das zu verarbeiten.“

Geduld dürfte also nicht zu seinen größten Tugenden gehören, doch benötigt sie Kimmich in der Nationalmannschaft. Während er bei den Bayern, bei denen er in der Vorsaison auch mal als Innenverteidiger aushalf, inzwischen auf seiner Lieblingsposition im Mittelfeld spielen darf, ist beim DFB die Abwehrseite für ihn vorgesehen. Im Mittelfeld ist der Konkurrenzkampf weitaus größer als hinten rechts, das weiß der gebürtige Rottweiler („Es ist völlig egal, wo ich spiele. Hauptsache, ich darf auf dem Platz stehen“). Gleichzeitig dürfte Joshua Kimmich auch wissen, dass alle Wünsche irgendwann von allein in Erfüllung gehen, wenn er so weitermacht wie bisher.