Alexander Blessin ist seit 19. Januar Trainer des italienischen Erstligisten FC Genua. Foto: imago/Danilo Vigo

Mit 47 Jahren hat Alexander Blessin erstmals eine Erwachsenen-Mannschaft trainiert. Nur eineinhalb Jahre später trifft er mit dem FC Genua in der italienischen Serie A in seinem ersten Auswärtsspiel auf José Mourinho. Was steckt hinter diesem Aufstieg?

Genua/Stuttgart - Manchmal müsse er sich schon kneifen, um zu glauben, dass das alles in diesem Raketentempo so steil nach oben ging. Im Alter von 47 Jahren trainierte Alexander Blessin erstmals in seinem Leben eine Erwachsenen-Mannschaft. Nur eineinhalb Jahre später trifft der gebürtige Stuttgarter an diesem Samstag in einem Punktspiel auf José Mourinho, einen der erfolgreichsten Vereinstrainer der Welt. „Das ist schon surreal“, sagt Blessin vor dem Duell in der Serie A bei Mourinhos AS Rom, ergänzt aber auch selbstbewusst: „Ich werde garantiert nicht vor Ehrfurcht erstarren.“

 

Seit dem 19. Januar trainiert Blessin den Genoa Cricket and Football Club, kurz FC Genua, den 1893 von englischen Einwanderern gegründeten ältesten Fußballverein Italiens. Er ist damit nach Rudi Völler erst der zweite deutsche Trainer in der Serie A. „Und Tante Käthe hielt es 2004 dann auch nur vier Spiele beim AS Rom aus. Ich hoffe, ich bin länger im Amt“, sagt der über die Historie bestens informierte Blessin mit einem Schmunzeln.

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In einer Nacht- und Nebelaktion hatte ihn Johannes Spors vom belgischen Erstligisten KV Oostende zum Tabellenvorletzten nach Italien geholt. Genuas Geraldirektor ist nach eineinhalb Jahren bei Vitesse Arnheim selbst erst seit Dezember im Amt, nachdem zuvor im September die US-Investorengruppe 777 Partners aus Miami den Verein gekauft hatte. Spors und Blessin kennen und schätzen sich aus gemeinsamen Zeiten bei RB Leipzig. Dort arbeitete Spors, ein gebürtiger Heidelberger, wie schon bei der TSG Hoffenheim und beim Hamburger SV als Chef-Scout, Blessin fungierte bei RB von 2012 bis 2020 als U-17- und U-19-Trainer. Erst danach übernahm er im Juni 2020 in Oostende erstmals ein Erwachsenenteam – mit beachtlichem Erfolg. Aus dem Abstiegskandidaten von der windigen Nordseeküste machte er einen Europacup-Aspiranten, die Auszeichnung zum Coach of the Year in der belgischen Jupiler League sprach für sich.

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Als nun aber das Angebot kam, die Nachfolge des früheren ukrainischen Weltklasse-Stürmers Andriy Shevchenko in Genua anzutreten, musste er nicht lange überlegen. Seinen Co-Trainer, den Ex-Ulmer Profi David Zdrilic, brachte er mit. Ob der Torwart-Trainer Eberhard „Ebbo“ Trautner nachfolgt, ist noch offen. „In einer der Top-Fünf-Ligen in Europa zu arbeiten ist eine Riesensache für mich“, sagt Blessin voller Stolz.

Warum er so ein Spätstarter ist? Der Fußball-Lehrer, der unter anderem für den VfB Stuttgart, die Stuttgarter Kickers und die TSG Hoffenheim stürmte, muss für die Antwort nicht lange überlegen: „Ich spielte sehr lange Fußball, ließ es erst mit 36 beim SV Bonlanden und SSV Reutlingen auslaufen, arbeitete zwischendurch auch bei der Allianz, und die wichtigen Trainerscheine machte ich erst mit 39“, erklärt der dreifache Familienvater, der wie schon in Leipzig und Oostende auch in Genua alleine lebt. Seine Frau Charlotte sowie die Töchter Franziska (18), Victoria (16) und Patricia (11) bleiben weiterhin im heimischen Haus in Altenriet am Schönbuchrand wohnen.

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Doch regelmäßige Besuche sind fest geplant. Zumal die 650 000-Einwohner-Stadt auch ein attraktives Ambiente mit Meerblick und Bergpanorama bietet. Blessins Premiere ließ sich zumindest die Gattin nicht entgehen. Es reichte zwar auch im 13. Heimspiel hintereinander (Club-Negativrekord) zu keinem Sieg für den FC, doch der spielerische Aufwärtstrend war nach davor leblosen Auftritten beim 0:0 gegen Udinese Calcio unverkennbar. „Die Mannschaft hat meine Idee von Fußball schon gut umgesetzt, und die Fans haben das mit viel Beifall honoriert, sie haben sogar meinen Namen gerufen“, erzählt Blessin.

Überhaupt die italienischen Tifosi. Im Zentrum der ligurischen Hauptstadt drücken die meisten Fußballfreunde dem alteingesessenen Traditionsclub FC die Daumen. Eher am Stadtrand und im Umland hat das 1946 gegründete Fusionsprodukt Sampdoria Genua seine Anhänger. „Das Derby wird bestimmt ein Mega-Highlight“, freut sich Blessin auf das Duell im 36 500 Zuschauer fassenden Stadion Luigi Ferraris, in dem beide Rivalen ihre Heimspiele austragen. „Derby della Lanterna“ nennt sich diese Prestigeangelegenheit, benannt nach dem Leuchtturm am Hafen der bedeutenden Seefahrerstadt. Doch dieses brisante Stadtderby steht erst am 1. Mai auf dem Spielplan. Zunächst gilt die volle Konzentration der Aufgabe beim Tabellensechsten AS Rom. Das Spiel bei Mourinhos Elf wird der bisherigen Karriere-Höhepunkt für Alexander Blessin. Vor allem dann, wenn ihm „The special One“ nach dem Duell im Olympiastadion zu drei wichtigen Punkten im Kampf gegen den Abstieg gratulieren würde.

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