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Insgesamt 240.000 Euro Schadensersatz bekommen vier ehemalige Sicherungsverwahrte.

Karlsruhe - Vier Ex-Sicherungsverwahrte bekommen Schmerzensgeld vom Staat für zu lange Haftzeiten. Das Landgericht Karlsruhe sprach den zwischen 55 und 65 Jahre alten Klägern am Dienstag insgesamt 240.000 Euro Entschädigung zu. Zahlen muss laut Urteil das Land Baden-Württemberg, aber auch der Bund könnte für Entschädigungen in die Pflicht genommen werden.

Das Urteil in erster Instanz könnte die Richtung für Dutzende ähnlicher Fälle auch in anderen Bundesländern weisen. Genaue Zahlen dazu gibt es nach Angaben aus dem Justizministerium aber nicht. Die vier Männer hatten insgesamt rund 400 000 Euro gefordert. „Wir werden das Urteil prüfen und gegebenenfalls Berufung einlegen“, sagte Oberstaatsanwalt Jürgen Gremmelmaier von der Generalstaatsanwaltschaft in einer ersten Stellungnahme.

Die vier verurteilten Gewalt- und Sexualstraftäter bekamen jeweils 49.000 Euro, 53.000 Euro, 65.000 Euro und 73.000 Euro zugesprochen. Für die Bemessung der Summe hatte sich Richter Eberhard Lang an den Maßstäben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) orientiert. Dieser hatte die rückwirkende Sicherungsverwahrung Ende 2009 für rechtswidrig erklärt und Schadensersatz in Höhe von rund 500 Euro pro Monat für angemessen erachtet.

Wegen Vergewaltigung und versuchten Mordes verurteilt

Die Kläger verbüßten unter anderem wegen Vergewaltigung und versuchten Mordes lange Haftstrafen und saßen danach die maximale zehnjährige Sicherungsverwahrung ab. Kurz bevor diese ablief, hatte ein Gesetz 1998 in Deutschland die unbefristete Sicherungsverwahrung ermöglicht. Statt entlassen zu werden, blieben die Männer weitere acht bis zwölf Jahre in Haft. Diese rückwirkende Sicherungsverwahrung erklärte der EGMR für rechtswidrig. Das Bundesverfassungsgericht folgte dem kurz darauf und revidierte damit seine frühere Auffassung.

Von einem Verschulden wurde das Land freigesprochen. Dem Land und der Justiz könne kein Vorwurf gemacht werden, betonte Richter Lang in der Urteilsbegründung. „Wir hätten gar nicht anders handeln können“, erklärte auch Oberstaatsanwalt Gremmelmaier. Die Sicherungsverwahrung nachträglich zu verlängern, sei damals geltendes Recht gewesen, was zunächst auch das Bundesverfassungsgericht abgesegnet hatte. Bislang habe im Bundesland neben den vier Klägern ein weiterer Ex-Sicherungsverwahrter Ansprüche angemeldet. Eine Klage habe dieser aber bislang nicht eingereicht.

Mit dem Urteil erhalten die Männer gut die Hälfte der ursprünglich geforderten Summe. Anwalt Ekkehard Kiesswetter hatte für seine drei Mandanten 25 Euro pro Tag der zusätzlichen Haft und Ernst Medecke 35 Euro pro Tag für seinen Mandanten gefordert. Kiesswetter hatte schon vor der Urteilsverkündung signalisiert, ein Urteil zu akzeptieren, dass sich an den finanziellen Vorgaben des EMGR orientiert. „Meine Mandanten sind nicht mehr jung. Für sie zählt jeder Tag.“

Mit dem Verfahren war erstmals in Deutschland die Frage geprüft worden, ob und wie viel Schadenersatz Straftätern zusteht, die nach ihrer verbüßten Haftstrafe zu lange in Sicherungsverwahrung waren. Experten erwarten, dass die Frage wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung bis zum Bundesgerichtshof (BGH) verhandelt wird. Bis zu einer solchen BGH-Grundsatzentscheidung könnten nach Einschätzung Kieswetters noch ein bis zwei Jahre ins Land gehen.