Evie Richards ist die amtierende Weltmeisterin im Cross Country. Foto: Küstenbrück

Es gibt viele Stars und Persönlichkeiten in der Mountainbike-Szene. Eine Minderheit stellen jedoch die dar, die permanent in der Öffentlichkeit stehen und auch die Boulevardblätter füllen. Doch bei Jolanda Neff und Evie Richards sieht das anders aus: Die Schweizerin und die Britin sind nicht erst seit ihren großen Erfolgen im Vorjahr in den Fokus der Medienwelt gerückt, sondern schon seit einigen Jahren im Blickpunkt der internationalen Journalisten.

Das sympathische Duo, das beim Trek Factory Racing Team unter Vertrag steht, hat sich diesen Status jedoch hart erarbeitet und erreichten beide 2021 jeweils den persönlichen sportlichen Höhepunkt: Neff wurde Olympiasiegerin, Richards triumphierte bei der WM. Natürlich wollen die Beiden auch beim Mercedes Benz UCI Mountain Bike World Cup in Albstadt wieder voll angreifen. Wir konnten uns mit Evie Richards im Vorfeld unterhalten.

Hallo Evie! Wie geht es dir? Du bist zuletzt in Chelva in die Saison gestartet, aber leider hast du in den Ergebnissen ein DNF stehen. Was ist passiert?

"Ich bin in der Woche davor das Med Epic gefahren und habe nicht wirklich bedacht, wie sehr das meinen Körper belasten würde. Ich hatte keinen Physiotherapeuten mit zum Rennen genommen und mein Rücken hat richtig zugemacht, so dass ich zu Beginn des Rennens in Chelva so starke Schmerzen hatte, dass ich kaum in die Pedale treten konnte. Zum Glück hatten wir jetzt in Girona einen fantastischen Physio dabei, der das Problem rechtzeitig vor Banyoles behoben hat."

Du hattest 2021 ein grandioses Jahr und wurdest Weltmeisterin. Aber nach der Saison warst du auch ziemlich erschöpft wie du im Interview mit Pinkbike erzählt hast. Macht der Erfolg auch müde?

"Durch Covid hatte ich seit zwei Jahren keine richtige Pause mehr. Ich hatte zwei MTB-Saisons und zwei Cross-Saisons hinter mir, dazu noch die Olympischen Spiele und ich wurde Weltmeisterin. Ich glaube, dass die Achterbahn der Gefühle eine entscheidende Rolle gespielt hat, dass ich so müde war. Aber auch aufgrund der ganzen Trainings und der Flüge hatte ich einfach einen gewissen Grad an Müdigkeit erreicht, bei dem mein Körper mir signalisierte, dass er sich ausruhen muss."

Du hast schon früh gezeigt, dass du sehr talentiert bist. Trotzdem hattest du in der U23 immer wieder Höhen und Tiefen, so dass der Weg an die Weltspitze nicht ganz einfach war. Was war rückblickend der entscheidende Moment in deiner Karriere, der dich zur Weltmeisterin gemacht hat?

"In meinen U23-Jahren hatte ich während der Rennen aufgrund von Angstzuständen mit Übelkeit zu kämpfen, was bedeutete, dass ich entweder auf dem Podium stand oder nicht ins Ziel kam. Als ich mir das Knie auskugelte, fing ich an, mit einem Psychologen zu arbeiten, der mir half, mit diesen Rennnerven umzugehen. Zudem habe ich jetzt einen Ernährungsberater, der mir geholfen hat, meine Periode zurückzubekommen und mich weiter zu professionalisieren. Zusätzlich begann ich mit zwei neuen Trainern zu arbeiten, die meine Sicht auf das Fahren völlig veränderten. Es war also nicht nur ein bestimmter Moment, sondern es waren Jahre, in denen ich all diese wunderbaren Menschen kennengelernt habe, die mir geholfen haben, meine Träume zu verwirklichen und mich nicht nur als Athletin sehen."

Gehen wir nochmals auf die mentale Komponente ein. Du arbeitest wie erzählt mit einem Psychologen zusammen. Wie wichtig ist das für dich und deinen Erfolg?

"Manchmal frage ich mich, ob ich immer noch Rennen fahren würde, wenn ich nicht Rich, meinen Psychologen, getroffen hätte. Er hat meine Einstellung zum Radsport völlig verändert und mir geholfen, auf und neben dem Rad ein fröhlicher Mensch zu sein. Ich arbeite alle zwei Wochen mit ihm zusammen, aber ein sehr wichtiger Teil dieser Treffen ist auch die Einbeziehung meines Trainers, damit wir alle zusammen ehrliche und offene Gespräche führen können, damit ich eine bessere Sportlerin und ein besserer Mensch werden kann."

Lass uns einen Blick auf die letzte Saison werfen: Du hast sicher davon geträumt, eines Tages Weltmeisterin zu werden. Hast du damit gerechnet, dass es schon 2021 so weit sein könnte?

"Nein, ganz und gar nicht! (lacht) Ich habe in einem Interview mit Redbull gesagt, dass ich eines Tages, bevor ich aufhöre, Weltmeisterin sein werde. Aber ich hätte nicht in einer Million Jahren gedacht, dass ich jetzt schon Weltmeisterin sein werde (lacht)."

Du hattest schon vor der WM 2021 starke Ergebnisse erzielt. Trotzdem warst du nicht die Top-Favoritin. War das ein Vorteil für dich oder hast du schon geschaut, wie die Konkurrenz drauf ist? Kannst du deine Konkurrentinnen vor einem Wettkampf komplett ausblenden?

"Natürlich sind da all die anderen Damen gegen die ich antrete, aber die kann ich nicht kontrollieren. Ich kann nur kontrollieren, wie ich selbst fahre, also konzentriere ich mich voll auf mich. Aber natürlich: Wenn man als Underdog in ein Rennen geht, hat man viel weniger Druck. Auch die anderen Damen haben nicht erwartet, dass ich so stark bin, also konnte ich das Rennen viel freier gestalten, da alle Augen auf die Anderen gerichtet waren."

Schauen wir nach vorne: Du willst sicherlich wieder zu den schnellsten Frauen der Welt gehören. Was sind deine Ziele für diese Saison?

"Mein Hauptziel sind die Weltmeisterschaften in diesem Jahr. Wenn ich das Regenbogentrikot einmal getragen habe, möchte ich es nie wieder ausziehen (lacht). Aber natürlich wäre es auch toll, einen Weltcup bzw. Short Track zu gewinnen!"

Aus deutscher Sicht interessieren wir uns natürlich auch für deine Ambitionen beim Weltcup in Albstadt. 2017 hast du dort bereits in der U23 gewonnen. Was sind deine Ziele für dieses Jahr?

"Abgesehen von den Weltmeisterschaften habe ich keine spezifischen Ziele für die einzelnen Weltcuprennen. Ich bin noch nie mit dem Ziel gefahren, eine bestimmte Position zu erreichen. Ich fahre mit dem Ziel, meine letzte Leistung zu verbessern. Allerdings würde ich gerne bei so vielen Weltcups wie möglich auf dem Podium stehen!"

Abschließend auch an dich noch eine Frage, die den Radsport nicht direkt betrifft: Was sind deine Ziele neben der Wettkampfstrecke?

"Ich mag ein einfaches Leben, ich fahre gerne Rad und verbringe Zeit mit den Menschen, die mir nahestehen. Mein größtes Ziel während des Rennens ist es, einfach nur glücklich zu sein. Ich denke, im Sport gibt es diese Mentalität des „Gewinnens um jeden Preis“, aber ich möchte andere junge Athletinnen und Athleten dazu inspirieren, dass sie die Besten der Welt sein können ohne ihre Freunde zu verlieren oder meilenweit von ihrer Familie wegzuziehen."

INFO:

Evie Richards: „Nicht in einer Million Jahre dachte ich, dass das jetzt passieren würde!“

Der 28. August 2021 geht in die Geschichtsbücher des Mountainbikes ein. Warum? – Aus zwei Gründen: Zum einen wurde an jenem Tag Evie Richards eine der jüngsten Weltmeisterinnen überhaupt, zum anderen war der Sieg gleichbedeutend mit dem ersten britischen Weltmeistertitel in der Cross-Country-Disziplin. Spannen wir an dieser Stelle den Bogen zu Jolanda Neff, die wir zuvor ausführlich vorgestellt haben, dann lassen sich in den Karrieren der beiden sympathischen Sportlerinnen einige Parallelen feststellen, die aufzeigen, dass der Weg zum ganz großen Erfolg alles andere als einfach ist.

Richards stammt aus Malvern, das im Westen Englands liegt. Die heute 25-Jährige verfolgte schon früh das Ziel, eines Tages bei den Olympischen Spielen am Start zu stehen. Viele Sportarten habe sie ausprobiert, erzählte sie einst in einem Interview bei Pinkbike. Schlussendlich blieb sie beim Hockey hängen und auf der Suche nach einer Ausgleichssportart, mit der sie sich im Winter fit halten konnte, fand sie den Weg zum Radsport. Die Erfolge kamen unerwartet, waren allerdings äußerst beachtlich: 2014 trat sie bei der Junioren-WM in Hafjell (Norwegen) auf Platz sechs erstmals international in Erscheinung. Spezialisiert hatte sie sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf diesen Sport.

Mit weiteren starken Ergebnissen und der damit verbundenen Möglichkeit, die Welt zu bereisen und zu entdecken, fiel es Richards schließlich leicht, das Mountainbiken professioneller zu betreiben. 2015 wurde sie schließlich Vizeweltmeisterin bei den Juniorinnen, 2016 überzeugte sie im U23-Weltcup – unter anderem mit Platz zwei beim Rennen im Albstädter Bullentäle – und mit dem U23-Weltmeistertitel im Cyclocross. Der Weg für eine erfolgreiche Karriere war damit geebnet.

2017 unterschieb die Britin ihren ersten Profivertrag bei Trek, einem Branchenriesen, der beste Voraussetzungen schafft, um auch zukünftig auf dem allerhöchstens Niveau unterwegs sein zu können. Gleichzeitig mischten sich in die Reihe der Erfolge aber auch immer wieder größere Enttäuschungen. Im Cyclocross ließ Richards zwar immer wieder aufhorchen, im Cross-Country-Weltcup konnte sie die hohen Erwartungen, die durch ihre starken Auftritte in der Vergangenheit aufkamen, nicht immer erfüllen.

Nach den ersten großen Erfolgen im U23-Weltcup zog sie nach Manchester, um sich weiter zu professionalisieren. Doch daraus wurde nichts wie sie im Nachgang unter anderem bei Pinkbike berichtete. Krank habe sie sich während der Rennen und im Training gefühlt, gepaart mit einer unglaublichen Nervosität, die für sie nicht einzuordnen war.

Sie arbeitete akribisch, verzichtete auf Sozialkontakte, trainierte mehr als ihr die Trainer anordneten und versuchte ständig, Gewicht zu verlieren. Erst eine schwere Verletzung am Knie sorgte für einen Wendepunkt in ihrer Karriere, den sie als entscheidend für ihre heutigen Erfolge aufführt. Richards war gezwungen, das Bike in die Ecke zu stellen und musste sich Zeit für die Genesung geben. Von nun an arbeitete sie mit einem Psychologen zusammen, der auch eine Erklärung für ihre Übelkeit und Nervosität in und um die Rennen fand – Ängste, die die junge Britin beim Fahren der Rennen massiv beeinflussten.

In der Folge ging es für Richards wieder stetig bergauf. 2019 sicherte sie sich einen Sieg im U23-Weltcup, 2020 überraschte sie in der Elite, als sie die beiden Short Track-Rennen in Nove Mesto gewinnen konnte. Und im vergangen Jahr folgte dann die triumphale Fahrt zu WM-Gold im Val di Sole.

Anmerkung: Wir konnten uns mit Evie Richards kurz nach dem Rennen in Chelva zu Beginn der Saison unterhalten. Zuvor stand sie beim Mediterranean Epic, einem mehrtägigen Etappenrennen, am Start, danach absolvierte sie unter anderem das hochdotierte HC-Rennen in Banyoles, das sie gewann. Beim Weltcupauftakt in Petropolis belegte sie im Short Track Rang drei, im XC-Rennen musste sie wie Neff aufgrund von Magen-Darm-Problemen auf einen Start verzichten.