Die Turnerin Kim Bui beendet nach den Europameisterschaften in München ihre sportliche Laufbahn.
Die Stuttgarter Turnerin Kim Bui geht bei den European Championships in München an den Start. Danach beendet sie im Alter von 33 Jahren ihre Karriere.
Frau Bui, wann haben Sie beschlossen, den Schlussstrich zu ziehen?
Ganz sicher nicht beim Frühstück am Tag der Verkündung.
Davon gehen wir mal aus.
Sehen Sie, das ist ja auch kein Entschluss, den man von heute auf morgen fasst. Das hat sich schon länger angebahnt und ist in den letzten Monaten in mir gereift. Ich habe mir schon früher in meiner Laufbahn immer mal wieder Gedanken darüber gemacht. Aber da hat es sich für mich nie so ganz gut angefühlt. Man muss bereit dazu sein. Und das bin ich jetzt.
Kurz vor den Europameisterschaften mit zahlreichen Disziplinen in München haben Sie es mitgeteilt. War das Absicht?
Nun, ich habe mir gedacht: Wir haben ja diese tolle Heim-EM mit neun Sportarten im Olympiapark, und das ist natürlich sensationell. Zu Hause vor heimischem Publikum, mit Familie und Freunden noch mal einen Wettkampf zu turnen in dem vollen Bewusstsein, dass das jetzt auch der letzte sein wird, das finde ich reizvoll. Alle sollen bei meinem Abschied dabei sein. Das letzte Kapitel in meiner Sportlerkarriere wollen wir gemeinsam schreiben und erleben. Ich wollte nicht rausgehen, den Wettkampf turnen – und mich danach einfach absetzen und sagen: Okay, Freunde, das war’s.
Lust auf eine Medaille
Was haben Sie sich für den Abschied sportlich vorgenommen?
Unser Ziel ist es, das Teamfinale zu erreichen. Und im Einzel möchte ich in so viele Finals wie möglich kommen.
Was ist mit Bronze zum Abschluss? Und vielleicht noch ein bisschen mehr?
Würde ich nehmen.
Wenn München vorbei ist, betreten Sie dann nie wieder eine Turnhalle?
Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Es wird sicher nicht der Fall sein, dass ich die Turnhalle nie wieder betrete. Aber ich werde mich erst mal ein bisschen erholen, Pause machen – und dann schauen wir mal, was das Leben noch so für mich übrig hat.
Sie haben fast ihr ganzes Leben in Turnhallen verbracht und Magnesia an den Händen gehabt.
In der Tat. Mit vier Jahren habe ich mit dem Kinderturnen angefangen. Wir sprechen da also von 29 Jahren Turnhalle.
Da muss die Leidenschaft aber groß gewesen sein.
Absolut. Turnen ist für mich die schönste Sportart der Welt. Doch um solch eine Strecke zurückzulegen, gehört wahnsinnig viel Disziplin dazu, viel Leidenschaft, viel Power.
Ein Auf und Ab
Wie oft haben Sie sich während ihrer Laufbahn gesagt: Also heute habe ich aber überhaupt keine Lust auf den Stufenbarren.
Natürlich gab es diese Phasen. Das Leben ist ein Auf und Ab, so ist es auch mit der Motivation fürs Training. Aber die Freude dranzubleiben war in gewisser Weise immer größer. Deshalb habe ich nicht schon früher das Handtuch geschmissen.
Sie sagten, Sie wollen schauen, was das Leben für Sie noch bereithalten könnte. Haben Sie eine Vorahnung?
Erst einmal hat das Leben ganz viel Zeit für mich übrig. Der Leistungssport bringt viele Entbehrungen mit sich, deshalb freue ich mich darauf, wenn ich morgens aufstehe und nicht mehr diesen Trainingsplan vor mir habe. Ich will das Leben ohne Termine einfach mal genießen.
Sie haben in technischer Biologie ihren Masterabschluss gemacht. Werden Sie sich nach der selbst verordneten Pause in diesem Metier engagieren?
Ich habe momentan keinen Masterplan. Ich lasse es auf mich zukommen. Ich werde mich ja auch erst einmal neu sortieren müssen, weil es eine ungewohnte Situation ist, aus etwas herauszugehen, dass man sein Leben lang gemacht hat. Das Turnen war immer da – alles andere wie etwa das Studium lief im Prinzip nur so nebenher.
Von den Eltern unterstützt
Als Turnerin verdient man im Vergleich zu Fußballprofis extrem wenig, ist angewiesen auf Fördergelder. In den meisten anderen olympischen Sportarten ist das auch so. War ihr Lebensweg bis zu diesem Zeitpunkt beschwerlich?
Einfach war er definitiv nicht. Ich hatte aber das Glück, dass ich von meinen Eltern unterstützt worden bin und sehr lange zu Hause gewohnt habe. Da konnte ich mir einiges an Mietkosten sparen.
Hat sich zuletzt ihr Körper gemeldet, sodass Sie weniger trainieren konnten?
Das war nicht so, eher umgekehrt. Es ist im Hinblick auf meinen Körper über die letzten Jahre sogar viel besser geworden. Weil ich ein sehr gutes Team von Athletiktrainern und Physiotherapeuten um mich herum gefunden habe. Einer der Gründe, weshalb ich trotz meines etwas fortgeschrittenen Turnalters so lange auf diesem Niveau turnen kann, ist, dass ich sehr gut für meinen Körper sorge. Da geht es um Regeneration, Ernährung, Physiotherapie – einfach alles.
Corona bringt den Neuanfang
Sie gehörten dem Team an, das 2021 erstmals die Ganzkörperanzüge präsentiert hat. Nach wie vor eine gute Sache?
Ich stehe voll dahinter. Es geht darum, dass jeder das anziehen kann, worin er sich wohlfühlt. Ich will nicht darauf reduziert werden, langbeinig zu turnen, sondern ich möchte die Wahl haben. Wenn ich kurzbeinig turne, turne ich kurzbeinig. Und wenn ich langbeinig turne, dann ist das auch okay.