Gabi Zimmer ist Spitzenkandidatin der Linken für die Europawahl Foto: Leif Piechowski

Gabi Zimmer, Spitzenkandidatin der Linken bei der Europawahl, fordert einen Dialog aller Beteiligten zur Lösung der Ukraine-Krise. In den Köpfen vieler herrsche noch immer ein Blockdenken.

Gabi Zimmer, Spitzenkandidatin der Linken bei der Europawahl, fordert einen Dialog aller Beteiligten zur Lösung der Ukraine-Krise. In den Köpfen vieler herrsche noch immer ein Blockdenken.
 
Stuttgart - Frau Zimmer, haben Sie schon einen Mitgliedsantrag bei den Grünen gestellt?
Nein. Weshalb?
Weil Sie laut der Online-Plattform „Wahl-O-Mat, bei der man herausfinden kann, welche Partei inhaltlich am ehesten zu einem passt, den Grünen näher stehen als Ihrer eigenen Partei.
Ich habe den Grünen, die meine Positionen mittragen, angeboten, dass sie gerne zu uns kommen können. Im Ernst: Das Ergebnis beim Wahl-O-Mat, ist keine Überraschung weil die 38 Fragen sich im Wesentlichen mit Themen befasst haben, bei denen wir fast übereinstimmen. Die Unterschiede beginnen an anderen Stellen, insbesondere bei Fragen nach einem sozialen Europa, einer Sozialunion und bei der Entmilitarisierung.
Ein Alleinstellungsmerkmal hat die Linke bei der Ukraine-Politik. Die EU habe „alles falsch gemacht, was falsch zu machen war“, haben Sie gesagt.
Wir haben zwar seit 2004 die Osterweiterung in der EU, aber nach meinem Eindruck ist Europa kulturell immer noch in Ost und West gespalten. Wir haben die Zeit nicht genutzt, um eine Brücke zu bauen, die bis nach Russland reicht. Ich kritisiere vor allem die Nachbarschaftspolitik mit Ländern außerhalb der EU, wie Weißrussland, Moldawien oder der Ukraine. Die zielt vor allem darauf ab, dort unsere eigenen Märkte und den Absatz unserer Produkte zu sichern. Dann dienen diese Länder vor allem als Puffer zu Russland. Das halte ich für den falschen Ansatz. Man hätte Russland einbinden und stärker auf die wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen reagieren müssen.
Und das hätte die Ukraine-Krise verhindert?
Ein Land, das so gespalten ist, wie die Ukraine, in russlandorientiert und westlich-orientiert, darf man nicht vor die Entscheidungsalternative stellen: Entweder ihr macht was mit denen, oder ihr macht was mit uns. Es wurde völlig übersehen, wie groß die sozialen Unterschiede sind, dass sich eine kleine Schicht von Oligarchen das gesamte Vermögen unter den Nagel gerissen hat und große Teile der Bevölkerung in bitterster Armut leben. Warum haben sich die EU, Russland und die Ukraine nicht an einen Tisch gesetzt und versucht, die jeweiligen Interessen wirklich miteinander zu verknüpfen?
Hat diesen möglichen Gesprächsfaden nicht schon der vormalige ukrainische Präsident Janukowitsch zerschnitten?
Ja, weil er unter Druck gesetzt worden ist. Er hat lange laviert und geschaut, wo er am meisten rausholen kann. Die Reaktion hätte ein offenes Angebot zur Kooperation sein müssen, statt zu schauen, wer wen an den Rand drücken kann. Das ist immer noch das alte Blockdenken der Konfrontation, noch immer herrschen die alten Feindbilder vor. Aber wir gehören in Europa nun mal kulturell zusammen. Wir können nur dieses eine Europa aufbauen und das geht nicht gegeneinander. Es war eine Mischung aus Naivität und Provokation – auch seitens der Europäischen Union. Das liegt aber nicht daran, dass es bei der EU zu wenig Leute gäbe, die sich in Russland und der Ukraine auskennen. Es standen schlichtweg politische Interessen von Regierungen und von Einzelpersonen im Vordergrund.
Sie sagen, die EU sei nicht „per se ein Friedensgarant“. Die baltischen Staaten wie auch Polen dürften die EU derzeit sehr wohl als Friedens- und Stabilitätsgarant sehen.
Meinen diese Länder die EU, die Nato oder die USA? Da muss man sehr genau hinsehen. Ich kann nachvollziehen, dass die osteuropäischen Staaten mit Blick auf die Geschichte Sicherheitsgarantien haben wollen. Ich kann aber auch nachvollziehen, dass Russland eine Garantie haben will, dass die Ukraine blockfrei bleibt. Die EU sollte diese Sicherheitswünsche aller Seiten berücksichtigen. Aus unserer Geschichte haben wir gelernt, dass die Konfrontation nichts bringt. Militär deeskaliert nicht, sondern spitzt zu. Deshalb fordern wir für die Ukraine: Keine Nato, keine russischen Truppen und Verhandlungen mit allen Beteiligten. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass die Menschen in der Ukraine selbstbestimmt und demokratisch entscheiden können, wie sie leben wollen.
Sie kritisieren den Euro-Rettungskurs von Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble. Was hätten Sie anders gemacht?
Es muss um die Beseitigung der Ursachen der Krise gehen. Das sind nicht in erster Linie die Fehler in Griechenland wie Korruption oder ein mangelhaftes Steuersystem gewesen. Verursacht wurde die Krise wohl eher durch die deregulierten Finanzmärkte und die Spekulationen von Banken, die nicht einmal über die notwendige Kapitalausstattung verfügten. Die Großbanken haben sich meilenweit von ihrem Kerngeschäft entfernt. Wir brauchen eine striktere Regulierung der Finanzmärkte und ein Verbot bestimmter Spekulationsgeschäfte.
Ist die Gemeinschaftswährung gescheitert?
Sie hat zumindest nicht das gebracht, was sie bringen sollte. Das Krisenmanagement ist in die falsche Richtung gegangen. Wir haben eine „Armutsreproduktion“. Die Armutsstrukturen in der EU haben sich verfestigt, die Langzeitarbeitslosigkeit hat zugenommen, die Jugendarbeitslosigkeit steigt und die Kinderarmut wächst. Wir brauchen Investitionen in eine nachhaltige ökonomische, ökologische und soziale Entwicklung. Dazu braucht es neben der Wirtschafts- und Finanzkoordinierung auch eine Sozialunion. Die soziale Entwicklung ist für die Stabilität einer Währung unabdingbar, wurde aber bisher völlig außen vor gelassen.
Ist die EU also doch mehr Bedrohung als Chance für den Einzelnen?
Viele Menschen empfinden die EU als Bedrohung. Ich bin aber nach wie vor überzeugt, dass die EU große Chancen bietet, insbesondere die globalen Herausforderungen zu meistern: den Kampf gegen den Klimawandel, gegen die Umweltzerstörung, gegen den Hunger und für einen fairen Welthandel. Für die Menschen in der EU geht es vor allem um die Durchsetzung der sozialen und Freiheitsrechte, die Abschaffung jeglicher Form von Diskriminierung. Das kann der Mehrwert der Europäischen Union sein, dafür müssen gemeinsame Strategien entwickelt werden.