Der Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber ist nach Brüssel gezogen, um gegen sinnlose Bürokratie vorzugehen. Er will den Unmut über Europa wieder durch Begeisterung für Europa ersetzen.
Der Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber ist nach Brüssel gezogen, um gegen sinnlose Bürokratie vorzugehen. Er will den Unmut über Europa wieder durch Begeisterung für Europa ersetzen.
München - Herr Stoiber, warum mögen Sie keine Schnuller?
Ich habe nichts gegen Schnuller. Wie kommen Sie darauf?
Sie empfehlen, einer EU-Vorschrift den Garaus zu machen, die 52 eng bedruckte Seiten, acht Kapitel, jeweils bis zu 40 Unterpunkte umfasst . . .
. . . und die die Sicherheit von Schnullerketten regeln soll. Ja, Herrschaftszeiten, das ist doch ein Irrsinn. Ein Beispiel für intelligente Gesetzgebung ist das ganz bestimmt nicht.
Einen Beitrag, auch solche Gesetze zu entrümpeln, leisten Sie als ehrenamtlicher Chefberater der Kommission für Abbau von Bürokratie in der Europäischen Union. Warum tun Sie sich so etwas nach einem erfüllten Leben als Politiker überhaupt an?
Als mich Kommissionspräsident José Manuel Barroso vor sieben Jahren fragte, ob ich dieses Amt übernehmen würde, war für mich ausschlaggebend: Allein 40 Prozent der Deutschen verbinden mit der EU einen Bürokratie-Moloch. Da will ich meinen Beitrag leisten, den Unmut über Europa wieder durch die Faszination Europa zu ersetzen. Ein Europa der überzogenen Regelungen lädt nicht dazu ein, sich für Europa zu begeistern.
Bleiben wir noch bei der Schnullerkette. Warum werden solche Vorschriften überhaupt erlassen?
Weil sie für ein Baby im Extremfall zur Strangulierungskette werden kann. Die Menschen reagieren pausenlos auf Unfälle, auf Unglücksfälle, auf Katastrophen. Und stellen erst einmal die Frage: Haben die Behörden geschlampt? Fehlen Gesetze? Muss man nicht viel öfter, viel strenger, viel genauer prüfen?
Fragen, die ja auch nicht von der Hand zu weisen sind.
Lassen Sie es mich deutlicher machen: Damit Ihnen die Hose nicht rutscht, schnallen Sie einen Gürtel um. Das reicht in aller Regel. Jetzt gibt es aber Leute, die ganz sichergehen wollen. Und die greifen dann noch sicherheitshalber zu Hosenträgern. Und für den Fall, dass auch die versagen, kommt in den Hosenbund noch eine Sicherheitsnadel.
Europa ist also das rechte Maß verloren gegangen?
So ist es. Denken Sie an den Verbraucherschutz, das Lebensmittelrecht oder an das Arzneimittelrecht: Etwa 85 Prozent aller Gesetze, Normen und sonstige Rechtsakte, die unser Leben bestimmen, kommen letztendlich aus Europa. Darunter auch eine Menge Unsinn.
Zum Beispiel?
Nehmen Sie die an sich richtige Vorschrift, dass ein Lastwagenfahrer neun Stunden fahren darf und nach der Hälfte der Zeit eine Pause machen muss. Um das zu kontrollieren, muss in jedem Lkw über 3,5 Tonnen ein digitaler Tachograf eingebaut sein. Der kostet immerhin bis zu 4000 Euro. Übersehen haben die Politiker, dass von dieser Regelung auch der Schreinermeister aus Ulm betroffen ist, der vielleicht einmal im Monat einen Schrank nach Stuttgart liefert. Das braucht’s nicht.
Sie klingen so engagiert wie auf dem Politischen Aschermittwoch.
Ich will etwas bewegen. Sehen Sie: Alleine dass wir für Betriebe umgesetzt haben, dass elektronische Rechnungen bei der Mehrwertsteuer innerhalb der EU akzeptiert werden, hat zu einem geführt: Etwa 23 Millionen Firmen in Europa können im Jahr rund 18,4 Milliarden Euro Kosten sparen. Das ist ein gigantisches Konjunkturprogramm, ohne dass es gegenfinanziert werden muss.
Trotzdem überrascht Ihr Engagement. Sie galten als Kritiker Europas. Sie haben davor gewarnt, den Euro nach Griechenland zu geben.
Es geht doch nicht darum, ob ich recht habe oder nicht. Wir können doch nicht mehr zurück. Manche politische Entscheidungen kann man nicht so mir nichts dir nichts abwickeln, die Uhr zurückstellen. Wir können Länder wie Griechenland auch nicht so einfach aus der Euro-Zone rauswerfen, wie sich das manche vorstellen. Das hätte unabsehbare ökonomische und politische Konsequenzen, auch für uns. Die EU und der Euro sind Realität. Und das ist die Grundlage für politisches Handeln.
Was ist dann die Lösung?
Der Euro sollte die Hefe Europas werden. Durch ihn sollte Europa aufgehen. Aktuell laufen wir Gefahr, dass der Euro zur Spaltung Europas beiträgt. Deshalb müssen sich viele Länder wirtschaftlich modernisieren. Auch durch Bürokratieabbau. Da müssen wir den Mut haben, auch mal etwas ungeregelt zu lassen.
In der deutschen Öffentlichkeit kommen viele Vorschriften aus Brüssel ja erst an, wenn die Diskussionen auf der EU-Ebene abgeschlossen sind.
Dann berichten Sie doch mehr über Europa. Fragen Sie sich doch, wie viele Korrespondenten die Stuttgarter Nachrichten in Brüssel haben und wie oft sie über die Debatten im EU-Parlament berichten.
Das Dilemma liegt ja wohl nicht nur bei den Medien.
Selbstverständlich nicht. Es ist auch eine der wichtigsten Aufgaben der EU-Kommission, die Politik in und für Europa anders darzustellen – auch vor Ort in den Mitgliedstaaten und in deren Sprache! Ein Beispiel dazu: Pep Guardiola will unbedingt Deutsch mit seinen Spielern sprechen, weil er sie und die Öffentlichkeit nur so wirklich erreichen kann. Natürlich kommt es da schon einmal zu neuen Sprachbildern bei der Pressekonferenz, wenn er sagt: „Thomas Müller hat eine große Nase.“ Große Aufregung. Gemeint hat der Trainer: Müller hat einen guten Riecher für torgefährliche Situationen.
Wenn wir schon beim Fußball sind: Wer wird Weltmeister?
Brasilien hat mit dem Heimvorteil beste Chancen.