Erstmals seit Juli 2011 erhöht die Europäische Zentralbank die Zinsen im Euroraum. Der Schritt fällt angesichts der Rekordinflation höher aus, als zunächst erwartet. Das ist vor allem für Sparer eine gute Nachricht.
Die Rekordinflation zwingt die Euro-Währungshüter zu einem höheren Tempo bei ihrer ersten Zinserhöhung seit elf Jahren. Die Zinsen steigen um jeweils 0,50 Prozentpunkte, wie die Notenbank am Donnerstag in Frankfurt mitteilte. Damit entfällt zur Freude der Sparer der Negativzins von minus 0,50 Prozent für geparkte Gelder von Geschäftsbanken. Viele Institute gaben diese Belastung in den vergangenen Jahren an Privatkunden als sogenanntes Verwahrentgelt weiter. Der Leitzins, zu dem sich Kreditinstitute bei der EZB Geld leihen können, steigt von null Prozent auf 0,50 Prozent. Für die nächsten Sitzungen kündigte die EZB weitere Zinserhöhungen an.
Den Kurswechsel hatte der EZB-Rat bereits bei seiner vorherigen Sitzung im Juni angebahnt, allerdings einen kleineren Zinsschritt von jeweils 0,25 Prozentpunkte in Aussicht gestellt. „Der EZB-Rat hielt es für angemessen, einen größeren ersten Schritt auf dem Weg zur Normalisierung der Leitzinsen zu tun, als er auf seiner letzten Sitzung angekündigt hatte“, teilte die Notenbank nun mit. Diese Entscheidung beruhe auf der aktualisierten Einschätzung der Inflationsrisiken durch den EZB-Rat.
Zinswende kommt nach Ansicht von Kritikern zu spät
Kritiker werfen der EZB vor, die Zinswende viel zu spät einzuleiten. Die Teuerung im Euroraum zieht seit Monaten auf Rekordniveau an. Zugleich haben sich die Wirtschaftsaussichten wegen des Krieges in der Ukraine verschlechtert. Hebt die EZB die Zinsen in diesem Umfeld zu rasch an, könnte das vor allem für hochverschuldete Staaten in Südeuropa zur Belastung werden.
Um sicherzustellen, dass Zinserhöhungen Länder wie zum Beispiel Italien nicht über Gebühr belasten und um eine Fragmentierung des Währungsraums zu verhindern, legt die EZB ein neues Anti-Krisen-Programm auf, das sogenannte Transmission Protection Instrument (TPI).
„Das TPI wird das Instrumentarium des EZB-Rats ergänzen und kann aktiviert werden, um ungerechtfertigten, ungeordneten Marktdynamiken entgegenzuwirken, die eine ernsthafte Bedrohung für die Transmission der Geldpolitik im Euroraum darstellen“, erklärte die Notenbank. „Der Umfang von Ankäufen im Rahmen des TPI hängt von der Schwere der Risiken für die geldpolitische Transmission ab. Die Ankäufe sind nicht von vornherein beschränkt.“
EZB ist in der Kritik
Experten verweisen jedoch darauf, dass die EZB in rechtlich gefährliches Fahrwasser geraten könnte, sollte beispielsweise Italien inmitten einer akuten Regierungskrise gestützt werden. Dies wäre Wasser auf die Mühlen all jener Kritiker, besonders in Deutschland, die der EZB verkappte Staatsfinanzierung vorwerfen. Gegner früherer EZB-Anleihen-Kaufprogramme waren bis vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gezogen.
Die Arbeiten an diesem neuen Anti-Krisen-Instrument hatte die EZB nach Unruhen an den Finanzmärkten Mitte Juni forciert. Der Renditeabstand - der Spread - zwischen Staatsanleihen aus Deutschland und denen höher verschuldeter Euroländer, insbesondere Italiens, hatte sich nach der EZB-Ankündigung einer ersten Zinserhöhung im Sommer ausgeweitet. Heißt: Für Länder wie Italien wird es teurer, sich frisches Geld zu besorgen. Das könnte für solche Staaten angesichts schon gewaltiger Schuldenberge zum Problem werden.
Inflation zwingt EZB zum Handeln
Doch die hartnäckig hohe Inflation zwingt die EZB zum Handeln. Der Prozess der Normalisierung der Geldpolitik werde „entschlossen und nachhaltig fortgesetzt werden“, hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde Ende Juni gesagt. Andere Notenbanken wie die US-Fed und die Bank of England haben ihre Zinssätze bereits mehrfach angehoben.
Im Juni lagen die Verbraucherpreise im Euroraum um 8,6 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Die EU-Kommission rechnet für das Gesamtjahr 2022 mit durchschnittlich 7,6 Prozent Inflation im Währungsraum der 19 Länder. Das wäre ein historischer Höchstwert und weit über dem von der EZB angestrebten stabilen Preisniveau mit einer jährlichen Teuerungsrate von zwei Prozent. Eine höhere Inflation schmälert die Kaufkraft von Verbraucherinnen und Verbrauchern, weil sie sich dann für einen Euro weniger leisten können.
Treiber der Inflation sind seit Monaten deutlich gestiegene Energie- und Lebensmittelpreise. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Lage verschärft.