Verfassungsrechtler Kirchberg über Politik nach Kassenlage und Grenzen des Euro-Rettungsschirms
Berlin/Karlsruhe - Bundestag und Bundesrat sollen den Fiskalpakt an diesem Freitag gemeinsam mit dem dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM verabschieden. In Kraft treten wird das Gesetz über den Fiskalpakt allerdings dann noch nicht. Bundespräsident Joachim Gauck hat angekündigt, mit der Unterzeichnung noch zu warten. Denn das Bundesverfassungsgericht hat angesichts einer Klage durch die Linkspartei Zeit zur Prüfung des Vorgangs erbeten.
Herr Kirchberg, Karlsruhe wird sich sicher bald mit dem Beschluss zu Fiskalpakt und Rettungsschirm befassen. Hat der Deutsche Bundestag überhaupt das Recht, Budgetrechte an Instanzen abzugeben, deren Vertreter kein Deutscher gewählt hat?
Dieses Recht hat er grundsätzlich nicht oder nur sehr eingeschränkt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen jüngsten Entscheidungen zu diesem Thema ausdrücklich betont, dass vor allem eine automatische Übertragung des Budgetrecht an außerstaatliche Einrichtungen grundsätzlich nicht vom Grundgesetz gedeckt ist.
Aber passiert das nicht gerade?
Das ist genau die Frage, die Karlsruhe klären muss: ob nämlich ESM und Fiskalpakt einen solchen Automatismus einschließen.
Der Gouverneursrat, der den ESM leiten soll, wird de facto kaum einer Kontrolle unterliegen.
Vorgesehen sind immerhin nationale Vorbehalte bei einer Erhöhung des Stammkapitals, das sich zunächst auf 700 Milliarden Euro beläuft. Aber es trifft zu, dass die Vergabe der Mittel der parlamentarische Kontrolle durch die Vertragspartner enthoben ist. Es kann durchaus sein, dass Karlsruhe bereits dieses als Verletzung der Haushaltsautonomie ansieht.
Andersherum kann auch von anderen Staaten gegen Deutschland auf Verletzung des Fiskalpakts geklagt werden. Warum darf überhaupt von außen gegen die finanzpolitischen Entscheidungen des deutschen Parlaments rechtlich angegangen werden?
So ungewöhnlich ist das nicht. Es hat ja schon wiederholt Klagen der EU-Kommission gegeben, weil sich die Bundesrepublik nicht an bindende Vorgaben des europäischen Rechts gehalten hatte. Der Klageweg zum Europäischen Gerichtshof ist durchaus der richtige Weg, um Souveränitätskonflikte auszutragen.
Wo zieht denn das Verfassungsgericht in seiner bisherigen Praxis rote Linien?
In seinen aktuellen Entscheidungen – etwa zur Griechenland-Hilfe, dem Euro-Rettungsschirm und zu den Informationspflichten der Regierung gegenüber dem Bundestag – hat das Gericht immer die Botschaft gesendet: bis hierhin und nicht weiter. Ob nun bei Fiskalpakt und ESM die Grenze endgültig überschritten wird, hängt von der Beantwortung der Frage ab: Wird jedenfalls dadurch endgültig das Königsrecht des Parlaments, das Budgetrecht, per Automatismus auf fremde Institutionen zwischenstaatlicher Art übertragen.
Die Politik diskutiert gerade, ob eine weitere Vertiefung der Zusammenarbeit in der EU durch ein Referendum abgesegnet werden müsste. . .
Das Grundgesetz enthält keinen anschließenden Katalog, wann Volksabstimmungen oder Referenden abzuhalten sind. Wenn es um Änderungen der Verfassung geht, enthält es aber eine sogenannte Ewigkeitsgarantie. Bestimmte Vorgaben des Grundgesetzes können durch den Gesetzgeber nie geändert werden. Dazu zählt auch die Zuständigkeit des Bundestags für die Haushaltspolitik. Nicht ausgeschlossen ist aber, dass sich das deutsche Volk insgesamt eine neue Verfassung gibt, die einen Teil seiner Souveränitätsrechte, etwa in der Wirtschafts-,Finanz-, Außen- oder Sicherheitspolitik, an zwischenstaatliche Institutionen überträgt. Für die Annahme einer solchen neuen Verfassung, die an die Stelle des Grundgesetzes treten würde, wäre nach allgemeiner Auffassung eine Volksabstimmung erforderlich.
Wer bestimmt denn, ob es sich um eine ganz neue oder nur eine geänderte Verfassung handelt.
Wenn in beachtlichem Umfang Souveränitätsrechte an übernationale Instanzen abgetreten werden sollen, kommt man mit dem derzeitigen Grundgesetz nicht mehr aus.