Stacheldraht: Flüchtlinge an der polnisch-belarussischen Grenze. Foto: AFP

Die Europäische Union versucht seit der Flüchtlingskrise 2015, sich auf einen funktionierenden Asylpakt zu einigen. Nun soll beim Sondergipfel in dieser Woche ein neuer Anlauf genommen werden.

Die Migrationspolitik ist eine der ganz großen Baustellen in der Europäischen Union. Seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 ist es der Gemeinschaft trotz mehrerer Anläufe nicht gelungen, sich auf einen funktionierenden Asylpakt zu einigen. Nun kocht das Thema erneut hoch, was nicht nur damit zusammenhängt, dass die Zahl der Migranten in Richtung Europa zuletzt wieder zugenommen hat. Aus diesem Grund treffen sich die 27 EU-Staaten an diesem Donnerstag erneut in Brüssel zu einem Sondergipfel, um nach Lösungswegen zu suchen.

Mit Spannung erwartet wird, wie sich Italien positionieren wird, denn Giorgia Meloni ist zum Gesicht einer neuen, härteren Politik gegenüber den ankommenden Flüchtlingen geworden. Die italienische Regierungschefin hat im Wahlkampf dafür geworben, die irreguläre Migration über das Mittelmeer einzudämmen. Zuletzt ist die ultrarechte Politikerin nach Libyen gereist, um dort bei einem Treffen mit Regierungschef Abdul Hamid Dbaiba über eine engere Zusammenarbeit der beiden Länder zu sprechen. Vereinbart wurde, dass Italien und Libyen künftig noch konsequenter gegen Bootsmigranten vorgeht.

Im Pakt Italien-Libyen sieht die EU offenbar kein Problem

In Brüssel sieht man in diesem Pakt offenbar kein Problem. EU-Ratspräsident Charles Michel erklärte nach einem Gespräch mit Giorgia Meloni, in dem sie ihm die Lage in Italien darlegte, dass für den Schutz der EU-Außengrenzen Vereinbarungen mit nordafrikanischen Staaten wichtig seien. Diese Position bleibt aber nicht ohne Kritik. Die kommt etwa von den Grünen im Deutschen Bundestag. Innenpolitiker Julian Pahlke zweifelt, dass die Migranten in Libyen eine menschenwürdige Aufnahme finden würden. „Mit solchen Alleingängen möchte Meloni in Italien als starke Entscheiderin dastehen“, sagte der Grünen-Abgeordnete, der vor seinem Einzug in den Bundestag 2021 in der zivilen Seenotrettung aktiv war. Dafür nehme sie in Kauf, „dass Menschen in die libyschen Folterlager zurückgebracht werden“.

Auch die aktuelle schwedische Ratspräsidentschaft hat das Thema Migration ganz oben auf die Liste der Prioritäten gesetzt. Geschuldet ist das wohl der Tatsache, dass die Regierung in Stockholm von der Unterstützung durch die rechtspopulistischen Schwedendemokraten abhängt. Beim ersten Treffen der EU-Innenminister unter schwedischer Regie ging es jüngst denn auch um die schnellere Abschiebung ausreisepflichtiger Migranten. „Wir haben eine sehr niedrige Rückführungsquote, und ich sehe, dass wir hier erhebliche Fortschritte machen können“, sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson in Stockholm. Umstritten ist allerdings, wie viel Druck die EU auf Herkunftsländer ausüben sollte, mit denen die Zusammenarbeit schwierig ist, und wie stark andererseits Anreize für Zusammenarbeit geschaffen werden sollten. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach sich dagegen aus, die EU-Visapolitik offensiv als Druckmittel zu verwenden. Andere Länder forderten dagegen, den sogenannten Visahebel häufiger zu nutzen.

Auch die Ampel will mehr Menschen abschieben

Die EU versucht seit Jahren, mehr Ausländer ohne Bleiberecht abzuschieben, kommt aber kaum voran. 2021 befand der Europäische Rechnungshof, das bestehende System sei ineffizient und bewirke „das Gegenteil dessen, was es eigentlich soll: Statt abzuschrecken, leistet es illegaler Migration Vorschub.“ In Zahlen sieht das so aus: 2019 lag die Quote ausreisepflichtiger Menschen, die die EU tatsächlich verließen, bei 29 Prozent. 2021 waren es – wohl auch coronabedingt – nur 21 Prozent. Dabei hatte die EU-Kommission noch 2018 ein Ziel von rund 70 Prozent ausgerufen. Auch die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP kündigte im Koalitionsvertrag eine „Rückführungsoffensive“ an. Mehr Rückführungen wären aus Sicht vieler EU-Staaten auch deshalb wichtig, weil die Asylsysteme vieler Länder völlig überlastet sind. Die Zahl der Asylanträge stieg im vergangenen Jahr um fast 50 Prozent auf 924 000. Viele Menschen hätten kein Recht auf internationalen Schutz und überlasteten die Aufnahmekapazitäten, so Johansson. Hinzu kommen die rund vier Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die in der EU kein Asyl beantragen müssen.

Konservative fordern ein schärferes Asylverfahren

Auch die Konservativen im Europaparlament haben das Thema Migration für sich entdeckt. So fordert der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, einen grundlegenden Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik der EU. „Die EU-Staaten schlafwandeln in eine neue, große Migrationskrise hinein“, sagte der stellvertretende CSU-Vorsitzende in diesen Tagen in einem Interview. Vor dem EU-Sondergipfel zur Migration in dieser Woche schlug Weber einen Drei-Punkte-Plan vor, der Zäune an den Außengrenzen, Asylanträge außerhalb der EU und eine Neuauflage der europäischen Seenotrettung vorsieht. Zäune seien immer „das letzte Mittel“, erklärte Weber, „aber wir brauchen sie überall dort, wo Schlepperbanden erfolgreich versuchen, europäisches Recht zu umgehen“.

Weber forderte zudem „substanzielle Änderungen bei den Asylverfahren“, die nicht zwingend in der EU stattfinden müssten. Er schlug die Eröffnung von EU-Büros etwa in Tunesien oder Ägypten vor, in denen Menschen aus Afrika Asyl in Europa beantragen können. Als dritten Punkt nannte der CSU-Politiker die Seenotrettung, die auch im Mittelmeer „eine hoheitliche Aufgabe des Staates“ sei und nicht zivilen Hilfsorganisationen überlassen werden dürfe.

Empörung über den Vorschlag, Mauern an den Grenzen zu bauen

Birgit Sippel, Europaabgeordnete der SPD, ist darüber empört. In der Migrationspolitik würden wieder „die altbekannten Ideen aus der Mottenkiste“ geholt, schreibt sie auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Was Europa brauche, sei ein humanes und effektives Migrationsmanagement. Auch die zuständige EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hält etwa den Bau von Mauern für keine gute Idee. Ungeachtet des Drucks mehrerer Länder werde die Europäische Kommission den Bau von Zäunen oder Mauern entlang der EU-Außengrenze gegen unerwünschte Migration nicht bezahlen. Die Schwedin betonte: „Der Bau von Mauern und Stacheldraht um die Europäische Union ist aus vielen Gründen keine gute Lösung.“ Wenn man Migration tatsächlich steuern wolle, müsse man sich darum kümmern, lange bevor die Menschen die EU erreichten.

Allerdings haben mehr als zehn EU-Staaten bereits im Herbst 2021 von der EU-Kommission gefordert, dass physische Grenzbarrieren teils aus dem gemeinsamen Haushalt bezahlt werden sollten. Die Brüsseler Behörde lehnte dies entschieden ab. Zuletzt forderte Österreichs Kanzler Karl Nehammer zwei Milliarden Euro von der Kommission für den Ausbau des Grenzzauns zwischen Bulgarien und der Türkei. Das Thema dürfte auch beim EU-Sondergipfel in Brüssel eine Rolle spielen.