Parlament will mehr Rechte bei EU-Vorhaben - Fraktionen und Regierung einigen sich.  

Stuttgart - Verbraucherschutz, Umwelt, Gesundheit - die EU greift in fast alle Lebensbereiche ein. Bundestag und -rat reden dabei zwar mit, der Landtag aber erfährt oft erst im Nachhinein von den Beschlüssen. Doch das soll sich jetzt ändern. Vor allem aber will er auf die Regierungsbeschlüsse im Bundesrat Einfluss nehmen.

Baden-Württembergs Landtag will künftig in der Europapolitik stärker mitmischen: Die vier Fraktionen und die Landesregierung haben sich auf einen Gesetzentwurf verständigt, der nicht nur die Informationsrechte des Parlaments stärkt, sondern erstmals auch dessen Einfluss auf die Europabeschlüsse des Landes im Bundesrat festschreibt. Bisher ist das allein Sache der Regierung.

"Die Arbeitsgruppe des Landtags hat mit dem Staatsministerium einen guten Kompromiss gefunden", sagte Landtagspräsident Peter Straub unserer Zeitung. Dieser umfasst im Wesentlichen drei Punkte: Zum einen leitet die Regierung künftig alle vom Bundesrat übermittelten EU-Vorhaben unverzüglich an den Landtag weiter.

Auch die Berichtspflicht der Regierung wird ausgeweitet: Bei Vorhaben von "erheblicher politischer Bedeutung" müssen die zuständigen Ministerien künftig gegenüber dem Parlament Stellung nehmen.

Die einschneidendste Änderung betrifft jedoch die Frage, ob die Landesregierung bei ihrem Abstimmungsverhalten in der Länderkammer an ein Votum des Landtags gebunden ist. "Bisher gibt es keine solche Bindung", sagt Europaminister Wolfgang Reinhart (CDU). Dies wäre auch mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Trotzdem soll und will die Landesregierung künftig stärker die Meinung der Volksvertreter berücksichtigen.

Reinhart hat dazu einen Kompromissvorschlag vorgelegt, wonach diese Bindung nur dann bestehen soll, wenn ausschließlich und unmittelbar Gesetzesbefugnisse des Landes betroffen sind - also etwa bei Bildungs- oder Hochschulfragen. Nur wenn dem "erhebliche Gründe des Landesinteresses" entgegenstehen, so die Einschränkung der neuen Regelung, darf die Regierung vom Landtagsvotum abweichen.

"Wir gehen damit so weit wie kein anderes Bundesland", sagt Reinhart. Zwar sieht die Landesverfassung schon bisher vor, dass die Landesregierung "die Stellungnahmen des Landtags berücksichtigt", wenn dessen Zuständigkeit wesentlich berührt ist (Artikel 34 a), doch für die Praxis gab es dafür bisher nur eine Vereinbarung. Künftig aber kann sich der Landtag auf ein Gesetz berufen.

Landtagspräsident Straub verweist auf den Lissabon-Vertrag

Straub betont, dass dies mehr sei als eine Formalie, und verweist auf den Lissabon-Vertrag und das damit verbundene Verfassungsgerichtsurteil vom vergangenen Jahr: Diese gestehen den nationalen Parlamenten deutlich mehr Mitwirkungsrechte zu. Aber bedeutet das nicht gleichzeitig, dass auch die Landtage stärker mitentscheiden dürfen, wenn originär landespolitische Dinge wie Bildungspolitik behandelt werden?

Im Stuttgarter Parlament ist man entschieden dieser Meinung. Und auch Minister Reinhart, der selbst ein Landtagsmandat hat, zeigt Verständnis für den Wunsch seiner Parlamentskollegen. Immer wieder mache Europa schließlich Vorgaben, die auch die Bildungs- oder Medienhoheit der Länder berühre, gibt er zu bedenken. Zwar können in diesem Fall auch die Landesregierungen intervenieren - doch künftig kann der Landtag auf seine verbrieften Rechte pochen.

Nicht selten fühlen sich die Abgeordneten auch schlicht nicht gut informiert. "Wir bekommen oft erst im Nachhinein mitgeteilt, welche Vorlagen der Bundesrat gerade wieder beschlossen hat", klagt etwa der Grünen-Abgeordnete Jürgen Walter.

Dass der Landtag nun sämtliche Unterlagen der EU sichtet, die nur annähernd mit seinem Wirkungsbereich zu tun haben, ist allerdings nicht zu erwarten. "Wir müssen auswählen, wo Landesinteressen betroffen sind", sagt Landtagspräsident Straub. In jedem Fall aber wird der Europaausschuss des Parlaments mehr als bisher zu tun bekommen.

Aus Sorge, dass nun möglicherweise die Ministerien eine Flut von Berichten schreiben müssen, hat sich die Landesregierung das Zugeständnis geben lassen, dass diese Unterrichtungspflicht nur in Fällen "von erheblicher politischer Bedeutung" greift.

Mitte Dezember soll der Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht werden, im Februar 2011 soll das Gesetz verabschiedet werden.