Wälder gelten als sogenannte Kohlendioxid-Senken. Foto: Adobe Stock/Smileus

In der Bewaldung sieht die EU eine Möglichkeit, mehr Kohlendioxid zu binden und die Treibhauseffekte zu vermindern. Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius beschreibt die geplante Waldstrategie der EU.

Stuttgart - Der EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius will klare Ziele und einheitliche Standards für die Waldbewirtschaftung in der Europäischen Union. Man müsse wissen, wie der ökologische Zustand der Wälder 2050 sein solle.

 

Herr Sinkevicius, in Kürze wollen Sie eine EU-Waldstrategie vorstellen. Was sind darin die wichtigsten Punkte?

Zum einen wollen wir aktuelle Daten sammeln über den Zustand unserer Wälder. Zum anderen wollen wir alle Maßnahmen unterstützen, die nahe an der Natur sind und die natürlichen Abläufe übernehmen. Die Wälder sollen selbstverständlich nicht ohne Bewirtschaftung bleiben – im Gegenteil, sie ist Teil der Lösung. Aber Bewirtschaftung darf nicht dazu führen, dass wir Ökosysteme verlieren. Denn manche Praktiken sind schädlich für den Wald, für den Boden, für die Ökosysteme. Die Vorschläge werden wir gemeinsam mit den Mitgliedstaaten entwickeln. Wir haben am Montag bei meinem Besuch in Zaberfeld im Kreis Heilbronn ein exzellentes Beispiel gesehen. Dort werden bewusst einzelne Bäume gefällt und keine großen Flächen geschlagen. Es gibt nicht mehr so viele Monokulturen.

Der Landeswaldverband, mit dem Sie jetzt unterwegs waren, ist allerdings nicht begeistert von Ihrer Strategie. Er befürchtet, dass die EU alle Wälder über einen Kamm schert.

Natürlich hat jedes Land seine einzigartigen Wälder. Für jeden Waldtyp benötigt man einen eigenen Managementplan. Auch ich bin der Ansicht, dass ein Plan nicht für alle passen kann. Aber wir brauchen klare Benchmarks und Ziele in der EU für eine nachhaltige Waldwirtschaft, damit am Ende alle die Standards der Gemeinschaft einhalten. In welchem ökologischen Zustand wollen wir unsere Wälder in 2030 oder 2050 haben? Das ist die Leitfrage. Die Wälder spielen eine wichtige Rolle beim Klimaschutz, sie binden Kohlenstoff. Deshalb brauchen wir eine europaweite Strategie. Am Ende müssen unsere Wälder widerstandsfähig sein und die Folgen des Klimawandels überstehen können. Wir müssen unsere jungen Wälder so anlegen, dass sie zukunftsfähig sind.

Viele Waldbesitzer befürchten, die EU werde die Interessen der Ökologie weit über den Wald als Wirtschaftsfaktor stellen. Besteht die Sorge zu Recht?

Der private Waldbesitz wird respektiert, und unsere Strategie berücksichtigt auch den Wald als Wirtschaftsfaktor. Aber wenn die Wälder nicht gesund und widerstandsfähig bleiben, werden sie bald auch kein Wirtschaftsfaktor mehr sein. Um es noch einmal zu sagen: Die EU-Strategie greift nicht in die Managementpläne der Besitzer ein. Wir werden nicht einmal sagen, dass Kahlschläge künftig verboten werden – wir werden nur sagen, dass Kahlschläge gewisse Risiken bergen und vermieden werden sollten. Es gibt so viele Waldtypen in der EU, dass Brüssel nicht eine bestimmte Praxis vorschreiben kann. Wir müssen mehr Informationen austauschen, um sicherzustellen, dass die Kohlenstoff-Senken wachsen, nicht sinken.

Bedeutet das, dass die EU auch Wiederaufforstungen plant?

Wir haben die Absicht, drei Milliarden zusätzliche Bäume zu pflanzen. Die Mitgliedstaaten werden bestimmen, wo sie die pflanzen wollen. Uns ist wichtig, dass wir wissenschaftlich vorgehen und nicht irgendwelche Bäume setzen, sondern nur solche, die künftige Klimafolgen gut vertragen und die Biodiversität verbessern. Es geht nicht um die Zahl, sondern um sorgfältig geplante Pflanzungen, bei denen wir es besser machen wollen als bisher.

Wer bezahlt diese Bäume?

Das Geld kommt aus den Haushalten von EU und Mitgliedstaaten.

Ein weiteres Ziel der EU ist es, zehn Prozent der gesamten Fläche unter Schutz zu stellen. Wie soll das gehen?

Dieses Ziel ist nicht neu, es tauchte bereits in der Biodiversitätsstrategie der EU auf. Je 30 Prozent der Landes- und der Meeresfläche sollen geschützt werden, darunter zehn Prozent mit striktem Schutzstatus. Wir sind bereits auf einem guten Weg dahin: Bei den Gebieten mit allgemeinem Schutzstatus sind wir bereits bei 24 Prozent angelangt, bei den Flächen mit striktem Schutz bei vier Prozent. Wir werden deshalb diese Ziele erreichen.

In welchen Staaten wird schon jetzt gute Waldpolitik gemacht? Wie sieht es mit Baden-Württemberg aus?

Die Strategie in Baden-Württemberg ist gut, weil sie sich an der Natur orientiert – hier wird zum Beispiel darauf geschaut, dass Eichen genügend Licht bekommen und nicht die Buchen alle Flächen übernehmen. Das hat Zukunft.

Daran ändert sich also trotz der EU-Strategie nichts?

Baden-Württemberg hat eine sehr gute Strategie bis 2050. Sie stimmt sehr stark überein mit der Strategie der EU. Ich sehe da keine großen Widersprüche – ich habe auch mit Ihrem Agrarminister Peter Hauk gesprochen und bin der Meinung, dass wir in die gleiche Richtung gehen.

Die grün-schwarze Landesregierung will 500 Windräder in den Staatswald bauen. Was halten Sie davon, Bäume zu fällen, um Windräder zu errichten?

Ich kann die Situation bei Ihnen nicht beurteilen; dazu kenne ich die Einzelheiten nicht genau genug. Klar ist, dass alle Entwicklungen so ablaufen sollten, dass sie wenig ökologischen Schaden anrichten. Dazu gibt es Umweltverträglichkeitsprüfungen. Aber es ist unbestritten, dass wir erneuerbare Energien benötigen werden.

Sie traten Ihr Amt mit 29 Jahren an, als jüngster EU-Kommissar. Gab es anfangs mangelnden Respekt?

Nein, es gab keinen fehlenden Respekt. Ich bin Kommissionspräsidentin von der Leyen dankbar, dass sie mir den Posten anvertraut und mich unterstützt hat. Ich war ja bereits Wirtschaftsminister in meinem Land, da ist es nicht selbstverständlich, zum Kommissar für Umwelt, Ozeane und Fischerei in Brüssel zu werden. Ich arbeite mit einem exzellenten Team. Wir haben trotz der Coronapandemie unser Ziel nie aus den Augen verloren: den Green Deal der EU. Wir dürfen nicht vergessen, es gibt keinen Impfstoff gegen den Klimawandel.