65 Branchen in Deutschland sollen von Stromabgaben befreit werden Foto: Max Kovalenko

Das Verfahren gegen Deutschland wegen Rabatten für die Industrie bei der EEG-Umlage läuft EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia zufolge weiter. Es gibt aber auch Grund zur Freude.

Das Verfahren gegen Deutschland wegen Rabatten für die Industrie bei der EEG-Umlage läuft EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia zufolge weiter. Es gibt aber auch Grund zur Freude.

Brüssel - Über die ersten Nachrichten aus Brüssel konnte sich Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) noch herzhaft freuen. Schließlich hatte die Europäische Kommission mit ihren neuen Leitlinien für staatliche Hilfen bei der Energiewende die deutschen Industrierabatte auf breiter Front unterstützt. Ob Fruchtsafthersteller, Malzproduzenten, Aluminiumhütten oder Seilknüpfereien – insgesamt 65 Branchen sollen nach dem Willen von Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia künftig von allzu hohen Strom-Abgaben entlastet werden können. Und auch wer nicht aufgelistet ist, aber mit mehr als 20 Prozent Stromanteil an den Produktionskosten seine Waren erzeugt, kann einen Antrag auf Befreiung stellen.

Noch mehr Branchen bekommen Rabatte

Das Fazit dieser Brüsseler Vorlage durfte die Bundesregierung zufrieden zur Kenntnis nehmen: Weitaus mehr Branchen als bisher dürfen auf Rabatte hoffen. Denn sie zahlen nur noch 20 Prozent der eigentlichen Umlage. Das heutige Volumen der Entlastung von 5,1 Milliarden darf gleich bleiben. Weitere Begrenzungen sind vorgesehen: Besonders stromintensive Konzerne müssen nur höchstens 2,5 Prozent der Wertschöpfung abführen. „Es ist an der Zeit, dass erneuerbare Energien am Marktgeschehen teilnehmen“, sagte Almunia bei der Präsentation seiner Leitlinien, die darauf hinauslaufen, dass die Ökostrom-Branche „schrittweise“ ab 2017 auf eigene Füße gestellt werden muss.

Statt Einspeisetarifen soll es dann nur noch Prämien geben. Für Deutschland kein Problem. Doch das dicke Ende kam, als in Brüssel schon keiner mehr hinhörte. Zu selbstverständlich schien nach den Dauerverhandlungen zwischen Gabriel und Almunia, dass den derzeit 2100 deutschen Abnahmestellen eine Rückzahlung bereits gewährter Gutschriften erspart bleiben würde. Doch es ist unsicher, ob das wirklich so bleibt.

Man werde, so betonte Almunia gestern ausdrücklich, die in den zurückliegenden zwei Jahren gewährten Rabatte durch die Brille der neuen Spielregeln prüfen: „Der Teil, der damit vereinbar scheint, ist unproblematisch. Der Teil, der damit nicht vereinbar ist, wird zurückgefordert.“ Das könnte bedeuten, so Experten gestern in Brüssel, dass zumindest ein Großteil der gefürchteten Rückzahlungen vom Tisch sind. Allerdings hieß es aus dem Umfeld Almunias, man müsse „mit einigem rechnen“.

Nachbarstaaten bemängeln deutsches Strompreis-Dumping

Berechnungen der Stahlindustrie hatten ergeben, dass allein für diese Branche bis zu 300 Millionen Euro fällig werden könnten, falls die EU-Kommission von Nachforderungen nicht abrücken sollte. Damit nicht genug. Offen ist, ob das deutsche Gesetz und die neuen EU-Regeln so überhaupt je in Kraft treten können. „Besonders störend ist, dass die nun geplanten Ausnahmen ohne Gegenleistung der Industrie wie entsprechende Energieeffizienzmaßnahmen in Kraft treten sollen“, sagte der energiepolitische Sprecher der liberalen Fraktion im Europäischen Parlament, Claude Turmes. Er deutete an, dass eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg durchaus erfolgreich sein werde und bezog sich dabei ein entsprechendes Gutachten des juristischen Dienstes der Kommission.

Es stellt unmissverständlich klar: Beihilfe für energieintensive Branchen gelten als Wettbewerbsverzerrung und sind mit dem Binnenmarkt nicht vereinbar. Klagen sind somit absehbar: Nicht wenige europäische Nachbarn der Bundesrepublik haben sich bei der Kommission über das Strompreis-Dumping Deutschlands beschwert. So heißt es aus Frankreich, dass die hiesigen Betriebe aufgrund der bisherigen EEG-Rabatte einen um 35 Prozent niedrigeren Strompreis eingeräumt bekämen, was den Wettbewerb massiv behindere. Da es sich bei den neuen Spielregeln nicht um eines der üblichen Rechtsinstrumente der EU handelt, ist keine parlamentarische Beratung mehr nötig.