Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Foto: dpa

Bisher hatte sie jede Festlegung vermieden, doch jetzt hat die Kanzlerin offenbar ihren Kurs geändert: Offen spricht sie sich für Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionspräsidenten aus.

Bisher hatte sie jede Festlegung vermieden, doch jetzt hat die Kanzlerin offenbar ihren Kurs geändert: Offen spricht sie sich für Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionspräsidenten aus.

Berlin - Eile war geboten. Selten, sehr selten, ist die Kanzlerin derart scharf, einhellig und auch aus den eigenen Reihen so gescholten worden wie nach ihrem Auftritt am Dienstag in punkto EU-Kommissionspräsident. Mit ihrem Zaudern, den Spitzenkandidaten der eigenen siegreichen Konservativen bei der Europawahl, Jean-Claude Juncker, wie von den Wählern erwartet zum EU-Kommissionspräsidenten vorzuschlagen, hat sich Angela Merkel erheblich in Misskredit gebracht.

Am Freitag dann die Notbremse. Auf dem Katholikentag in Regensburg. Ein ungewöhnliches Forum für das Bekenntnis zu einer Polit-Personalie, das sie in Brüssel hätte abgeben können. Aber die Zeit drängte. Merkel wollte offensichtlich verhindern, dass die Kritik an ihr über das Wochenende eine Dynamik entwickelt, die sie immer schwerer hätte durchbrechen können.

So wurde in Stuttgart, der Region und Baden-Württemberg abgestimmt

Die SPD drohte mit Koalitionskrach und sprach von „Wählertäuschung“. Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok warnte davor, den Wählerwillen zu missachten. Brüsseler Korrespondenten beklagten „Dummheit“ und am Freitag kommentierte Axel-Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner höchstpersönlich in der „Bild“: „Die Europäer wollen, dass Juncker EU-Präsident wird. (...) einer, der nicht zur Wahl stand, darf es nicht werden. Sonst wird Demokratie zur Farce. So was geht vielleicht in der DDR oder in rechtsnationalistischen Bananenrepubliken. Aber nicht in der EU. Die schafft sich sonst selbst ab.“

Zögern gehört zum politischen Handwerk der Angela Merkel. Kollegen, Konkurrenten und Kontrahenten kennen das seit langem. So manches Mal hat sie damit am Ende mehr herausholen können als mit einer schnellen Reaktion. In der europäischen Finanzkrise wird Merkel von manchen zu Gute gehalten, dass ihre anfängliche harte Haltung gegenüber angeschlagenen Staaten dazu führte, dass Hilfspakete nicht ohne eigene Anstrengungen gewährt und so Reformen eingeleitet wurden. Gerade deutsche Steuerzahler fanden das gut.

Mit ihrem Verhalten gegenüber Juncker aber empörte die sonst recht instinktsichere CDU-Chefin EU-Parlamentarier, Koalitionäre und Wähler gleichermaßen. Um in der Runde der 28 EU-Staats- und Regierungschefs auch Gegner Junckers wie den EU-kritischen britischen Premierminister David Cameron oder den nationalkonservativen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban noch einzubinden, hielt sie alle Türen offen. Sie sagte: „Wir haben Jean-Claude Juncker für das Amt des Kommissionspräsidenten nominiert. Die ganze Agenda kann von ihm, aber auch von vielen anderen durchgesetzt werden.“

Die Kehrtwende kommt auf dem Katholikentag

Von vielen anderen. Das saß. Von Merkel, die ungebrochen als mächtigste Frau der Welt und führender Kopf in Europa gilt, war mehr erwartet worden als ein Lavieren mit Staatenlenkern, die sich nicht mit besonders viel Engagement für die Europäische Union hervortun. Auch in der Union hätte sich mancher gewünscht, dass sie Cameron, der Brüssel für „zu groß, zu rechthaberisch und zu eingreifend“ hält, einmal die Leviten liest.

Dann die Kehrtwende auf dem Katholikentag. Die Europäische Volkspartei (EVP) mit dem luxemburgischen Christsozialen als Spitzenkandidaten sei aus der Europawahl als stärkste Kraft hervorgegangen, sagte Merkel. „Deshalb führe ich jetzt alle Gespräche genau in diesem Geiste, dass Jean-Claude Juncker auch Präsident der Europäischen Kommission werden sollte.“ Sie habe zunächst mit den anderen Regierungschefs nach gemeinsamen Lösungen suchen und niemanden vor den Kopf stoßen wollen, erklärte sie. „Das heißt ja nicht, dass man seine Position aufgibt.“

Nun stößt sie lieber Cameron und Co vor den Kopf als das EU-Parlament oder Wähler und Koalitionspartner in Deutschland. Merkel ist ein Machtmensch. Kippt die Stimmung gegen sie, schwenkt sie um. Dem Zögern folgen dann Tempo und Power. Wie beim Atomausstieg: Erst vehement dagegen, dann schneller als die Grünen.

Das nächste Problem zuhause wartet aber schon. Da die Sozialdemokraten im EU-Parlament Juncker unterstützen, erwarten sie einen Ausgleich für ihren Spitzenkandidaten Martin Schulz. Er hat den Wählern Europa im Wahlkampf mit seiner Ausrichtung auf das Amt des Kommissionspräsidenten näher gebracht. Nun will die SPD den Posten eines Kommissars haben. Den besetzt im Moment die CDU.