Bundeskanzlerin Angela Merkel macht vor dem EU-Gipfel in Brüssel einen entspannten Eindruck. In Streit mit Polen will sie auf Dialog setzen, nicht auf Konfrontation Foto: AFP/OLIVIER HOSLET

Im Streit über den polnischen Rechtsstaat mahnt Bundeskanzlerin Angela Merkel alle Seiten zu einem besonnenen Vorgehen. Vor dem EU-Gipfel in Brüssel fordert sie allerdings ein hartes Vorgehen gegen Belarus.

Brüssel - Das schwerwiegende Problem benennt Angela Merkel (CDU) erst an zweiter Stelle. Bevor die Bundeskanzlerin über den Streit der EU mit Polen über die Rechtsstaatlichkeit redete, ordnete sie vor Beginn des zweitägigen EU-Gipfels die Debatte über die rasant steigenden Energiekosten ein. Dabei rät die Kanzlerin zu einem besonnenen Vorgehen und warnte davor, verschiedene Themen zu vermischen. „Wir müssen die Energiepreise deutlich unterscheiden von den Klimazielen“, sagt sie am Donnerstag.

Die Analyse der hohen Preise ist deutlich

Die EU-Kommission habe in dieser Sache eine gute Analyse über die Ursachen der gestiegenen Preise vorgelegt. „Ich denke, dass wir besonnen reagieren sollten – wir in Deutschland werden das jedenfalls tun,“ sagte Merkel, die vor dem Gipfel einen sehr entspannten Eindruck machte. Zudem warnte sie davor, den Markt bei der Preisgestaltung für Gas und Öl vollkommen auszuschalten und spielte mit dieser Aussage auf die Forderungen einiger EU-Staaten an. Ihrer Meinung nach müsse man „eher für mehr Markt sorgen“. Gegebenenfalls könne es soziale Stützungsmaßnahmen geben wie etwa mit dem Wohngeld in Deutschland.

Die Kanzlerin wirbt für den Dialog mit Polen

Auch in der Auseinandersetzung innerhalb der EU mit Polen in Sachen Rechtsstaatlichkeit warb die Kanzlerin dann für ein überlegtes Vorgehen. Das Thema stand ursprünglich nicht auf der Tagesordnung der Staats- und Regierungschefs, doch da der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki zuletzt keinerlei Entgegenkommen signalisiert hat, führt an einer Diskussion kein Weg mehr vorbei. Hintergrund des eskalierenden Streits ist das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, nach dem Teile des EU-Rechts nicht mit Polens Verfassung vereinbar sind. Diese Entscheidung wird von der EU-Kommission und etlichen Staaten als höchst problematisch angesehen, weil sie der polnischen Regierung einen Vorwand geben könnte, ihr unliebsamen Urteile des Europäischen Gerichtshofes zu ignorieren.

Angela Merkel betonte in Brüssel ausdrücklich, dass die Rechtsstaatlichkeit „ein Kern der Europäischen Union“ sei. Allerdings müsse man angesichts der schwierigen Situation nun „Wege und Möglichkeiten finden, hier wieder zusammenzufinden“. Nicht zielführend sei es, eine Kaskade von Rechtsstreitigkeiten auszulösen, die Frage sei vielmehr, „wie Rechtsstaatlichkeit gelebt“ werden könne. Und hier sei das Problem, dass nicht alle Staaten dieselbe Meinung darüber hätten, wie die EU aussehen solle. Wolle man eine immer weitergehende Vertiefung oder mehr Nationalstaatlichkeit? Dann erinnerte Merkel daran, dass diese Frage nicht nur von Polen gestellt werde.

Polen erhält Rückendeckung von Ungarn

Auch Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hatte sich kurz vor dem EU-Gipfel in Brüssel noch einmal zu Wort gemeldet und seine Position im Rechtsstaatsstreit bekräftigt. Seine Regierung akzeptiere, dass EU-Recht dort vorrangig sei, wo die Nationalstaaten ihre Kompetenz an die EU-Ebene abgetreten hätten, sagte er am Donnerstag. Aber in anderen Bereichen würden sich EU-Institutionen Entscheidungshoheit anmaßen, obwohl die Nationalstaaten zuständig seien. Rückendeckung erhielt Polen vom ungarische Ministerpräsidenten Viktor Orban. „Gegen Polen läuft in Europa eine Hexenjagd“, sagte der rechtsnationale Politiker am Donnerstag kurz vor Beginn des EU-Gipfels. „Die Wahrheit steht auf der Seite der Polen“, fügte er hinzu.

Deutliche Worte in Sachen Belarus

Deutliche Worte fand Angela Merkel in Sachen Belarus. Der EU-Gipfel in Brüssel soll nach ihren Worten auch über neue Maßnahmen gegen dessen Präsident Alexander Lukaschenko beraten, um auf die irreguläre Migration in die Union zu reagieren. Es werde am Freitag darüber geredet werden, „welche weiteren Formen von gegebenenfalls auch Sanktionen, Wirtschaftssanktionen, wir ins Auge fassen“, sagte sie. Es solle deutlich werden, „dass wir diese Form des Menschenhandels“ verurteilen.

Seit August kommen vermehrt Flüchtlinge und Migranten auch in Deutschland an, die über Belarus in die EU gelangten. Die EU wirft dem belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko vor, die Menschen absichtlich in sein Land zu holen und weiterzuschicken, um die EU unter Druck zu setzen. Die Bundeskanzlerin beklagte, dass die Länder der EU in Sachen Migrationspolitik noch immer mit vielen Stimmen sprächen. „Es ist und bleibt schlecht, dass wir bisher keine gemeinsame Linie im Thema Migration unter den 27 Mitgliedstaaten gefunden haben, obwohl die Kommission hier sehr gute Vorschläge gemacht hat,“ erklärte die Bundeskanzlerin.