Ein Schwarzfahrer rastet in der Schwarzwaldbahn aus und attackiert den Zugbegleiter mit Pfefferspray. Jetzt stand der 28-Jährige in Villingen vor Gericht – mit deutlichen Folgen.
Es war im Juni 2023 und eine dieser Schwarzwaldbahnfahrten, die der heute 36-jährige Zugbegleiter der Deutschen Bahn wohl nie vergessen wird.
Und auch der Täter weiß jetzt, dass das Schwarzfahren unter besonderen Umständen sogar ins Gefängnis führen kann. Die Ketten an seinen Fußfesseln und Handschellen rasseln, als er von zwei Justizvollzugsbeamten in den großen Saal des Amtsgerichts in Villingen geführt wird. Sein Blick irrt angespannt durch den Raum.
Als ihm zumindest die Handschellen abgenommen werden, wischt er kurz seine nassen Handflächen an der Jeans ab, setzt sich, und gräbt die Fingernägel in die Handflächen der zu Fäusten geballten Hände. Dann nimmt er auf der Anklagebank Platz, um sich vor Justitia zu verantworten für eine versuchte schwere räuberische Erpressung mit Körperverletzung an einem Junimorgen im Jahr 2023.
„Die Fahrkarten, bitte“
Es war wie immer: Der Bahn-Mitarbeiter stieg an diesem Tag in den Zug, der von Konstanz nach Karlsruhe fährt, und nahm seine Arbeit auf. Im zweiten Wagen, „auf einem der Klappsitze“ saß er: ein 28-jähriger Syrer. „Die Fahrkarten, bitte“, so oder so ähnlich wird der Kontrolleur ihn kurz vor der Haltestelle St. Georgen angesprochen haben, bevor ihm dieser eine Monatskarte entgegenstreckte, mit der offensichtlich etwas nicht stimmte: „Ich habe gleich erkannt, dass sie manipuliert worden ist mit Tipp-Ex.“ Und auch, dass es sich um ein Move-Ticket gehandelt habe, sei „verdächtig“ gewesen, meint der gebürtige Slowake im Zeugenstand vor Gericht – „das war schon damals 18 Euro teurer als das Deutschlandticket“.
Der Angeklagte habe seinen Personalausweis zum Abgleich der Personalien nicht vorzeigen können, auf Verlangen eine Selbstauskunft ausgefüllt und dem Kontrolleur ausgehändigt, als es ihm offenbar dämmerte und er ausrastete: Auf dem Dokument stand sein richtiger Name, er wäre identifizierbar – und davor hatte der junge Mann aus nachvollziehbaren Gründen Angst: Für die Justiz war der betrügerische Schwarzfahrer kein unbeschriebenes Blatt.
Turbulente Szenen im Zug
Die Situation eskalierte total. Vor Gericht schildert der Zugbegleiter, was sich an diesem frühen Morgen des 28. Junis zugetragen hatte: Der Fahrgast sei aufgesprungen, habe ihm den Zettel aus der Tasche ziehen wollen und der Hinweis des Bahnmitarbeiters, dass er gerade mit dessen Diensthandy gefilmt werde, peitschte ihn nur noch weiter an. Er ging den Bahnbediensteten an, der sah sich gezwungen zu fliehen, verschanzte sich schließlich hinter einer Glastrennwand im unteren Zugabteil des Doppelstockwagens, als der heute Angeklagte seine Waffe zog: „Eine Riesenflasche, größer als Pfefferspray, wie ein Gillette-Rasierschaum, so groß.“ Dann habe er abgedrückt und das Pfefferspray zielgerichtet durch einen Schlitz an der Glastüre ins Gesicht des Opfers gejagt.
St. Georgen war erreicht, der Bahnmitarbeiter habe es geschafft, auf den Bahnsteig zu fliehen, den Fahrdienstleiter zu informieren und Polizei und Rettungskräfte rufen zu lassen. Fast eine Dreiviertelstunde lang habe er nicht richtig atmen können, drei bis vier Tage lang hätten seine Augen und seine Haut gebrannt, wochenlang war er arbeitsunfähig. Und ja, Spätfolgen gebe es noch heute: Das Erlebte verfolge ihn, „wenn sich Fahrgäste aggressiv verhalten“.
Schon einiges auf dem Kerbholz
„Ich hoffe, dass Sie mir vergeben“, mit dieser Entschuldigung im Gerichtssaal wandte sich der 28-jährige Angeklagte an sein Opfer. An der Nachhaltigkeit seiner Einsicht hegte Staatsanwältin Nathalie Werth trotzdem deutliche Zweifel: Der Mann ist einschlägig vorbestraft, hatte 2021 schon einmal eine versuchte räuberische Erpressung begangen, und sich 2023 wegen Diebstahls mit einer Waffe – einem Klappmesser – eine Bewährungsstrafe von 180 Tagessätzen eingehandelt. Weil er die nicht bezahlen konnte, saß er bereits für die Ersatzfreiheitsstrafe im Gefängnis, als er nun wegen des Angriffs in der Schwarzwaldbahn erneut vor einen Richter treten sollte.
Eine wirklich positive Prognose vermochte an diesem Donnerstagmorgen im Gerichtssaal in Villingen keiner für ihn ausstellen. Lediglich auf einer stationären Suchttherapie ruht Hoffnung. Zwar betonte der als Sachverständige vor Gericht in seinem Gutachten, dass der Angeklagte während der Tat voll schuldfähig gewesen sei und seine Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit wohl nicht durch Alkohol oder Drogen beeinträchtigt gewesen sei, dass Alkohol und Drogen von Cannabis über Kokain bis hin zu diversen Amphetaminen aber eine große Rolle im Leben des jungen, 2015 nach Deutschland geflüchteten Mannes spielen, war unstrittig.
Wieder rasseln Handschellen
Er wolle, ließ er über seinen Verteidiger Rudolf Hirt vor Gericht ausführen, ein neues, straffreies Leben beginnen, wegkommen von Drogen und Alkohol, vielleicht sogar eine Ausbildung zum Friseur machen, während er bislang lediglich beispielsweise als Küchenhilfe oder im Verkauf gearbeitet habe. Richter Christian Bäumler gab ihm die Chance dazu: Wie von der Staatsanwaltschaft gefordert verurteilte er den Angeklagten zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe mit dreijähriger Bewährungszeit, einem Schmerzensgeld in Höhe von 750 Euro für sein Opfer und 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit, alles unter der Auflage, sich in stationäre Suchttherapie zu begeben. Vielleicht rasselten die Katten von Handschellen und Fußfesseln ein letztes Mal, als ihm beide im Gerichtssaal abgenommen wurden und er das Amtsgericht in Villingen als wieder freier Mann verlassen durfte.