Nachdem im Januar 1945 die Nonnenweierer in die Gemeinden des Schuttertals evakuiert wurden, sind Ende März einige Menschen wieder in die Heimat zurückgekehrt. Foto: privat

Die Riedgemeinden wurden zum Ende des Zweiten Weltkriegs zur Zielscheibe der Alliierten. In einer Serie werden die Erlebnisse erzählt, an die sich Zeitzeugen 1985 im Gespräch erinnerten – darunter der Beschuss auf Nonnenweier.

Am 10. Januar 1945 wurden die Nonnenweirer nachts in die Gemein den des Schuttertals, bis hin nach Dörlinbach, evakuiert. Ende März kehrte die damals 16-jährige Marliese Kaltenbach, mit einer Zuchtstute und einem zwei Wochen alten Fohlen aus Seelbach nach Nonnenweier zurück, weil das Pferd dringend zur Aussaat gebraucht wurde. Sie ging danach nicht ins Schuttertal zurück, da sie bei den landwirtschaftlichen Arbeiten mithelfen musste.

 

„Mit ungefähr 20 Personen versorgten wir das im Dorf zurückgelassene Vieh“, erzählt sie. Es bildeten sich Gruppen von vier bis sechs Personen – meistens ältere Männer, die nicht mehr zur Wehrmacht einberufen worden waren, aber vom Ersten Weltkrieg viel Erfahrung mitbrachten. Mein Onkel, zwei Nachbarn, unser russischer Zwangsarbeiter Nikolaj, meine Mutter und ich versorgten das Vieh von sechs Gehöften. Den ganzen Tag waren wir mit dem Richten des Futters, Tränken und Ausmisten beschäftigt. Nachts verschanzten wir uns in von Mist meterhoch umgebenen Kellern. Der Mist sollte bei einem Einschlag den Granaten die Wucht nehmen.“

Zweimal die Woche fuhr jemand aus dem Dorf mit dem Fahrrad entlang des Kanaldammes nach Seelbach und brachte den Evakuierten Butter und Eier. Der Fahrradfahrer musste sich dabei vor dem Beschuss in Acht nehmen.

Sirenen gaben „fürchterlichen Lärm“ von sich

Am 14. April 1945, einen Tag bevor die französischen Truppen von Straßburg aus über Kehl ins Ried vordrangen, fuhr Marliese Kaltenbach mit einem Gespann und dem Zwangsarbeiter Nikolaj in das Gewann Mühlenwinkel zwischen Nonnenweier und Wittenweier, um Zuckerrüben zu holen. „Wir vermuteten, dass die Franzosen bald einmarschieren würden, und wollten genug Vorräte zur Verfügung haben, falls wir eine Zeitlang, das Haus nicht mehr verlassen könnten“, erzählte sie. „Während wir mit dem Aufladen der Zuckerrüben beschäftigt waren, flog plötzlich ein ganzes Geschwader von Jagdbombern über uns hinweg in Richtung französische Grenze. Dann kehrten die Flugzeuge jedoch um.“ Marliese Kaltenbach vermutet, dass die Besatzungen deutsche Soldaten und Mitglieder des Volkssturmes gesehen hatten. Die Flugzeuge griffen nun im Sturzflug das Dorf an. Dann flogen sie über den Rhein hinweg in Richtung Front, kehrten aber erneut um und beschossen das Dorf noch einmal.

„Es sah aus, als würde das ganze Dorf brennen. Tatsächlich waren aber nur acht bis zehn Ökonomiegebäude getroffen worden. Die Flugzeuge hatten Sirenen an Bord, die aufheulten und einen fürchterlichen Lärm verursachten“, erinnerte sich Marliese Kaltenbach. Dieser Lärm trieb nicht nur die Menschen an die Grenze des Wahnsinns, er versetzte auch Tiere in Angst und Schrecken. Liesel, das Pferd von ihr, geriet in Panik und ging mit dem Wagen durch. „Ein Pferd war damals ungeheuer wichtig und wertvoll. Ich rannte deshalb, ohne zu überlegen, hinter dem Fuhrwerk her in Richtung Wittenweier. Nikolaj war in einem Graben in Deckung gegangen.“

Das Pferd von Kaltenbach ist am Mähnenkamm getroffen worden

Eine Flugzeugbesatzung hatte inzwischen das Fahrzeug entdeckt und durchlöcherte den Wagen mit Geschossen. Marliese Kaltenbach war über die Felder gelaufen und hatte dem Gefährt den Weg abgeschnitten. Es gelang ihr, das völlig verängstigte Tier aufzuhalten. Da die Jagdbomber immer noch schossen, suchte sie mit dem Pferd Schutz unter einigen Birnbäumen. „Zitternd stand ich zwischen den Bäumen. Plötzlich bemerkte ich, dass meine Hand, die ich um den Hals des Pferdes gelegt hatte, feucht wurde. Es war Blut. Liesel war am Mähnenkamm getroffen worden.“

Schließlich verschwanden die Flugzeuge und das Mädchen ging mit dem Gespann zurück ins Dorf. „Alles war voller Rauch und Qualm, man konnte die Häuser nicht mehr sehen“, erinnert sie sich. Sie traf ihren Onkel am Eingang des Dorfes vor einer brennenden Scheune. „Wo bist du nur gewesen?“ fragte er. „Bei dir daheim brennt es!“ So schnell die 16-Jährige konnte, rannte sie in die Rheingasse. Der Haag-Hof ihres Onkels Johann Haag, in dem sie während des Kriegs wohnte, und die dazugehörigen Stallungen waren verschont geblieben. Allerdings brannte eine Scheune, die 100 Meter entfernt lag. „Ich war selig, dass bei uns nichts passiert war.“

In diesem Augenblick fuhr ihre Mutter mit dem Fahrrad auf den Hof. Sie war von Seelbach entlang des Kanaldammes nach Nonnenweier gefahren und hatte den Angriff hilflos beobachtet. „Ich wollte meiner Mutter erzählen, was passiert war, aber ich zitterte, die Zähne schlugen mir aufeinander und die Tränen liefen mir die Wangen herunter“, schilderte sich Marliese Kaltenbach an den Schock. Das Pferd Liesel wurde 1947 von den französischen Besatzungstruppen requiriert. Marliese Kaltenbach, die nach ihrer Heirat Tascher hieß, blieb den Pferden lebenslang verbunden.

Info – Die Serie

2025 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkrieges zum 80. Mal. Die Riedgemeinden entlang des Rheins hatten 1944/45 besonders unter dem Kriegsgeschehen zu leiden. Im Jahr 1985 sprach LZ-Mitarbeiterin Daniela Nußbaum-Jacob mit vielen, inzwischen verstorbenen Zeitzeugen, die die Ereignisse im Ried hautnah miterlebt hatten. Diese dienten als Grundlage für das mittlerweile ausverkaufte Buch „Wie war das damals?“ und werden nun in der LZ-Serie neu erzählt.