Erwin Staudt gibt sein Amt als VfB-Präsident ab. Foto: Pressefoto Baumann

Erwin Staudt über seine acht Jahre als VfB-Präsident und die Wahl seines Nachfolgers.

Stuttgart - An diesem Sonntag endet eine Ära. Im Rahmen der Mitgliederversammlung (ab 12 Uhr) in der Schleyerhalle gibt Erwin Staudt nach acht Jahren sein Amt als Präsident des VfB Stuttgart ab. Vorab zieht er Bilanz und sagt: "Dieser Club ist in vielen Bereichen beispielhaft."

Herr Staudt, am Sonntag endet Ihre Ära als VfB-Präsident. Haben Sie Ihren Schreibtisch schon geräumt?
Das mache ich am Montag. Da bringe ich zwei Waschkörbe mit für meine privaten Sachen. Bei allem anderen muss hoffentlich Gerd Mäuser entscheiden, was er behalten will.

Falls er denn gewählt wird. Sicher ist dagegen Ihr Abschied. Wie ist Ihre Gefühlslage?
Die vergangenen acht Jahre waren für uns alle eine sehr erfolgreiche Zeit. Wir schauen alles in allem wohl auf die erfolgreichsten Jahre zurück, die der Verein in dieser Dichte je hatte. Sportlich, aber auch ökonomisch. Wir hatten uns viel vorgenommen, und wir haben viele unserer Ziele übertroffen. Darauf kann man doch stolz sein.

Was bleibt von diesen Jahren hängen, was waren die markanten Punkte?
Fahren Sie ganz langsam die Mercedesstraße vom VfB-Clubzentrum aus hoch und schauen Sie nach rechts. Mehr brauche ich nicht zu sagen.

Sie meinen das Carl-Benz-Center und das umgebaute Stadion. Was waren die emotionalen Höhepunkte?
Sehr schön waren die Spiele auf internationalem Parkett. Sie können bei jedem unserer Gegner nachfragen, und jeder wird Ihnen sagen: Wir waren ein toller Gastgeber und haben Stuttgart und den deutschen Fußball aufs Feinste vertreten.

Und abseits des Platzes?
Da fallen mir als Erstes Begegnungen wie die mit Bobby Charlton ein. Das sind Momente, bei denen man Gänsehaut bekommt. Ansonsten habe ich mir vorher in meinem inneren Kino genau vorstellen können, was hier abläuft. Abgesehen vom riesigen Interesse der Öffentlichkeit, das war ich so nicht gewohnt.

Wo haben Sie Fehler gemacht?
Es gibt personelle Entscheidungen, die man im Nachhinein anders machen würde. Da werden immer Namen wie Yildiray Bastürk oder Mauro Camoranesi erwähnt. Aber es ist einfach nicht richtig, diese Namen zum Gradmesser unserer achtjährigen Arbeit zu machen. Genauso gut könnte ich Ihnen viele positive Beispiele nennen.

Unstrittig ist: In Ihrer Ära war die Trainerfluktuation zu groß.
Ein Trainer ist dazu da, mit den vorhandenen Ressourcen ein Maximum an Erfolg zu schaffen. Wenn ihm das nicht gelingt, haben wir alle gemeinsam ein großes Problem.

Und der Trainer muss gehen. Hat sich diese Erkenntnis in dieser Deutlichkeit über die Jahre entwickelt?
Das ist ein Gesetz des Sports. Bei meinem Amtsantritt habe ich zu unserem damaligen Trainer Felix Magath gesagt: Ich bin für vier Jahre gewählt, ich würde diese Zeit am liebsten ohne Trainerdebatte durchziehen - und zwar mit Ihnen. Dass das nicht geklappt hat, lag an ihm. Bei anderen Trainern blieb irgendwann der sportliche Erfolg aus. Und wenn einmal der Faden gerissen ist zwischen dem Trainer und der Mannschaft, bleibt nur eine Option. Die Trainer bekommen dafür aber auch eine sehr hohe Risikoprämie.

"Ich habe mich dem ganzen Stil angepasst"

Hat sich die Branche verändert?
Der Fußball hat sich nach oben entwickelt, die Zuschauerzahlen sind gestiegen, die Fernsehgelder auch. Wir als VfB haben da Schritt gehalten und bessere Marketingergebnisse erzielt. Zudem sind wir gesellschaftlich wichtiger geworden.

Wo steht der VfB am Ende Ihrer Amtszeit?
Wir sind bei der Musik. Wir genießen auch in Europa ein hohes Ansehen, wir sind zuverlässig, wir haben die Lizenz permanent ohne Auflagen bekommen. Ich sage: Dieser Club ist sehr gut aufgestellt - und in vielen Bereichen ist er sogar beispielhaft.

Was meinen Sie konkret?
Wir werden für unsere Marketingerfolge respektiert und dafür, dass wir ohne Provisionszahlungen zweistelliges Wachstum erreicht haben. Unabhängig zu bleiben ist in diesen Zeiten das vielleicht höchste Gut, das man als Verein haben kann. Auch der Umgang mit unseren Fans, wie wir sie etwa beim Stadionumbau einbezogen haben, wird als sehr positiv angesehen.

Das sehen Teile der Fans aber ganz anders, wie die Debatte um die Präsidentenwahl zeigt. Sie fordern mehr Transparenz.
Was die Kritiker damit wahrscheinlich meinen, kann ein Verein nicht öffentlich machen. Ich kann nicht öffentlich über Verträge oder interne Vorgänge mit Spielern oder Trainern diskutieren. Ansonsten haben wir den Fanausschuss, die Regionalkonferenzen, unsere eigenen Medien - und stellen uns allen Fragen der Mitglieder und Fans.

Hat die Branche Sie verändert?
Nun ja, meine Frau sagt ab und zu, dass ich einen Sprachschatz habe, den ich zu IBM-Zeiten nicht hatte. Dazu fällt mir ein Erlebnis mit einem Spielerberater ein. Da bin ich nach einer mehrstündigen Verhandlung ausgeflippt und habe mehrfach das Wort Scheiße benutzt. Da hat er gesagt: Gratuliere, Herr Staudt, jetzt sind Sie angekommen.

Was hat sich für Sie noch geändert?
Mein Kleiderschrank. Ich habe jetzt weniger blaue Anzüge, dafür mehr sportliche Sachen. Das war zuvor bei mir tabu. Mein Vater hat zu IBM-Zeiten mal meinen Kleiderschrank gesehen und gesagt: Sag mal, gehst du jeden Tag zu Beerdigungen?

Macht Sie das neue Outfit freier?
Ich habe mich dem ganzen Stil angepasst. In den vergangenen acht Jahren habe ich viel mehr Sport betrieben. Mein Tag fängt um 7 Uhr an, im Sportstudio oder beim Joggen am Bärensee. Meine Mitarbeiter hier sind alle sehr jung. Da will man gefühlt nicht zu weit wegdriften.

Das behalten Sie künftig bei?
Ja, und ich muss unbedingt mehr Zeit in mein Golf-Handicap investieren. Das liegt bei 51, aber ich habe auch erst die Platzreife gemacht und gerade mal ein Turnier gespielt.

"Ich freue mich auf die Mensa"

Was wird sich für Sie ändern?
Ich möchte ein paar Wissenslücken schließen. Ich muss zum Beispiel viel mehr wissen über Friedrich Schiller oder über William Shakespeare.

Dazu müssten Sie vergleichende Literaturwissenschaften studieren.
Genau das habe ich vor, in Tübingen. Im Urlaub habe ich "Wallenstein" gelesen, das ist ein Stück Weltliteratur. Ich frage mich immer, woher hatte Schiller in jungen Jahren dieses Wissen? Das kann man nicht in Marbach lernen und auch nicht auf der Kadettenschule auf der Solitude. Da muss ich mehr dahinterschauen.

Sie schreiben sich an der Uni ein und machen sich Ihren Stundenplan?
Genau. Aber viel effizienter als bei meinem ersten Studium. Jetzt weiß ich, wie es richtig geht.

Und da sitzen Sie dann mit 20-Jährigen...
...und freue mich auf die Mensa.

Aber Bafög beantragen Sie nicht!?
Nein.

Und beruflich war's das dann für Sie?
Ich habe etliche Aufsichts- und Beiratssitze, die behalte ich.

Samstags um 15.30 Uhr sehen wir Sie aber weiter auf der Tribüne?
Ja, und ich gehe künftig deutlich entspannter zu den Heimspielen. Bisher wusste ich genau, wenn wir verlieren, wartet eine Woche mit viel Druck und vielen Fragen. Am meisten hat mich immer betroffen gemacht, wie manche Menschen reagieren, die hier ihre Sehnsucht nach Erfolgserlebnissen nicht befriedigt bekommen. Diese Leute reagieren in bestimmten Fällen sehr negativ auf die Vereinsführung.

Da fühlen Sie sich ungerecht behandelt?
Ja, schon, das konnte ich in diesem Jahr ja voll auskosten. Aber ich will das nicht in den Fokus stellen.

Können Sie unter diesen Umständen jemandem das Amt des Präsidenten empfehlen?
Auf jeden Fall.

"Er muss ja nicht kicken, er muss den Laden führen"

Konkret: Der Aufsichtsrat wird Gerd E. Mäuser vorschlagen. Was zeichnet ihn aus?
Er hat in der Industrie gelernt, mit Zielen, Menschen und Ressourcen umzugehen. Er kennt diesen Verein und versteht es, Menschen zu motivieren. Nichts anderes braucht dieser Job.

Er war kein Fußballer - ein Nachteil?
Das ist völliger Quatsch. Er muss ja nicht kicken, er muss den Laden führen. Ich kann dieses Kompetenzgeschwafel nicht mehr hören.

Wie schätzen Sie denn die anderen drei Bewerber ein?
Es wäre für diesen Verein einfach nicht angemessen, einen dieser selbst ernannten Kandidaten an der Spitze zu haben. Das muss jemand sein, der in diese Aufgabe hineingewachsen ist, der sich über Stufen die nötigen Erfahrungen angeeignet hat. Wer das nicht getan hat und trotzdem das Präsidentenamt anstrebt, hat aus meiner Sicht zu wenig Respekt vor der Institution, der Aufgabe und den Menschen, für die man hier arbeitet.

Ihnen wäre also angst und bange, wenn Helmut Roleder, Björn Seemann oder Thomas Weyhing gewählt würden?
Ich will niemandem zu nahe treten, aber es ärgert mich sehr, wie es ein paar Menschen gelingt, mit ein paar Sätzen so zu tun, als ob hier alles im Argen liegt. Das ist hanebüchen.

Falls die beantragte Satzungsänderung durchgeht, könnte er das theoretisch aber werden.
Ich habe da schon etwas Sorge. Es gibt aber auch andere Leute, die gar keine Lust auf diese basisdemokratischen Vorgänge haben, die da jetzt angezettelt werden sollen. Die Menschen wollen einen gut geführten Verein haben. Sie wollen aber nicht alle 14 Tage in Cannstatt sitzen und abstimmen, ob wir einen Spieler holen oder nicht.

Die Kritik bündelt sich im Aufsichtsratschef Dieter Hundt, der als jemand wahrgenommen wird, der sich zu sehr in die tagesaktuellen Dinge einmischt.
Er hat nie operativ eingegriffen. Natürlich hat er intern seine Meinung gesagt, aber er hat nie verlangt, wie wir entscheiden sollten. Das zu behaupten ist völliger Blödsinn.

Das alles klingt, als hätten Sie einfach genug.
So würde ich das nicht sagen. Vielmehr schließt sich ein Kapitel meines Lebens.

Weil Sie es so wollten? Oder weil Dieter Hundt oder andere Sie gedrängt haben?
Ich habe mir das gut überlegt. Ich brauche jetzt auch noch andere Dinge, auf die ich mich freuen kann.