Gemeinsames Gedenken: Frankreichs Präsident François Hollande (Mitte links) und Bundespräsident Joachim Gauck (Mitte rechts) am Sonntag auf dem Hartmannsweilerkopf. Foto: dpa

Joachim Gauck und François Hollande mahnen zum 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs, die einzig richtige Lehre aus der Geschichte sei ein gemeinsames Europa.

Hartmannsweilerkopf - Sie nannten ihn den „Berg des Todes“ oder den „Menschenfresser-Berg“. Die Kämpfe begannen am 31. Dezember 1914. In den folgenden zwölf Monaten wurde erbittert und brutal um jeden Meter gerungen. Danach begann ein nicht minder grausamer Stellungskrieg. Am Hartmannsweilerkopf kamen bis 1918 etwa 30 000 deutsche und französische Soldaten ums Leben.

Als François Hollande und Joachim Gauck Hand in Hand auf die Tribüne des Denkmals am Hartmannsweilerkopf steigen, zücken die Jugendlichen im Publikum ihre Handys. Sie filmen und fotografieren die Präsidenten, wie sie aufrecht auf der Anhöhe nahe der elsässischen Ortschaft Wattweiler stehen. Das Feld hinter ihnen ist mit Grabmälern der deutschen und französischen Soldaten übersät, die hier im Ersten Weltkrieg gefallen sind. „Als die beiden Landeshymnen erklangen, waren alle bewegt“, sagt der 18-jährige Patrick Pulsfort aus Renzburg, der nach der Zeremonie sogar ein paar Worte mit dem leutseligen Hollande wechseln konnte.

Der gestrige Sonntag trug ein markantes Datum: Am 3. August 1914 hat das Deutsche Reich Frankreich den Krieg erklärt. Genau ein Jahrhundert später wurden auf dem einst erbittert umkämpften Schlachtfeld die deutsche, die französische und die europäische Flagge gehisst. Gemeinsam legten die beiden Präsidenten den Grundstein für das erste deutsch-französische Museum zum Ersten Weltkrieg, das 2017 eröffnet werden soll. Schon seit 1921 gibt es hier eine französische Gedenkstätte. Von nun an aber soll gemeinsam erinnert werden.

„Wir erinnern uns heute an Schrecken und Sterben, es ist ein ernster Tag“, sagte Gauck. „Aber wenn ich auf dieses Feld blicke, freue ich mich, denn ich sehe keine verfeindeten Menschen.“ Dort saßen unter anderem Veteranen des Zweiten Weltkrieges, Politiker aus beiden Ländern, Mitglieder der deutsch-französischen Brigade sowie 100 junge Deutsche und Franzosen. Auf Einladung des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) hatten sie sich mehrere Tage im Elsass kreativ mit dem Ersten Weltkrieg auseinandergesetzt – sie haben fotografiert, Graffitis gesprüht und Theater gespielt. Sie haben mit Historikern diskutiert und die ehemaligen Schlachtstätten mit den teils sehr gut erhaltenen Schützengräben und Bunkern besucht.

„Dort wird einem erst bewusst, wie jung die Soldaten waren und wie sinnlos der Krieg war“, sagte der 22-jährige Niklas Gutknecht aus Aalen. „Am meisten hat mich beeindruckt, dass wir als Deutsche und Franzosen gemeinsam an diesen Orten waren: Früher verfeindet, können wir uns heute kein Haar krümmen.“ Er wünsche sich, dass die deutsch-französische Verständigung ein „Exportgut“ werde, ein Vorbild für andere: „Vielleicht gibt es eines Tages ein israelisch-palästinensisches Jugendwerk.“

Auch Frankreichs Präsident Hollande machte einen Bogen zur heutigen Zeit und gab ein Plädoyer für ein vereintes Europa ab. So mahnte er Konsequenzen aus der Vergangenheit an für eine auch ganz aktuell von Kriegen und Krisen geprägte Zeit. Der französische Staatschef nutzt den nach seinen Worten „außergewöhnlichen Charakter der Zeremonie“ zu sehr aktuellen Mahnungen für den Frieden. „Mehr denn je“ müsse nun alles getan werden für eine Waffenruhe im Gazastreifen, um das Leid der Menschen dort zu beenden. Die deutsch-französische Geschichte zeige, dass der Wille zum Frieden auch vermeintliche Erbfeinde zusammenbringen könne.

Bundespräsident Gauck würdigte die deutsch-französische Freundschaft als historische Errungenschaft. „Nachdem Deutschland im Ersten und im Zweiten Weltkrieg Frankreich überfallen hatte, können gerade wir Deutschen diese Versöhnung nur als Geschenk begreifen“, betonte er. Gauck verurteilte einen „übersteigerten Nationalismus“, der Elend und Verderben über Europa gebracht habe. „Wir haben, hoffentlich endgültig, begriffen, dass die Nation als Heimat und als Bezugspunkt von Identität und Zugehörigkeit wichtig sein kann, ohne dass wir Überlegenheit über Andere fühlen oder gar beweisen müssen.“

Auf die Krisenherde dieser Welt geht Gauck nicht ein, auch nicht auf die Situation in der Ukraine. Und er knüpft diesmal nicht an das Thema an, das zum wichtigsten seiner Amtszeit geworden ist: Deutschland dürfe sich vor internationaler Verantwortung nicht drücken, auch nicht mit Hinweis auf die historische Schuld, die Deutsche in zwei Weltkriegen auf sich geladen haben.