Rund 100 Menschen erleben die Verlegung der ersten »Stolpersteine« in der Rietstraße in Villingen durch den Künstler Gunter Demnig, rechts: Friedrich Engelke, links: Tobias Aldinger. Foto: Heinig

Nach acht Jahren Kampf um das optische Signal als Gedenken der Opfer des Nationalsozialismus waren sie die Ersten: im Pflaster vor der Rietstraße 40 in Villingen erinnern jetzt vier "Stolpersteine" an Heinrich, Sally, Martha und Lotte Schwab. Die Steine wurden am Mittwoch vom Kölner Künstler Gunter Demnig eigenhändig verlegt.

Villingen-Schwenningen - Rund 100 Menschen, darunter auch Angehörige der Opfer von damals, ließen sich die Verlegeaktion direkt am Riettor nicht entgehen. Zu ihnen gehörten auch die Mitglieder des Vereins "Pro Stolpersteine VS", der sich 2013, nach der zweiten Ablehnung dieser Art von Erinnerungskultur durch den Gemeinderat, gegründet hatte. Mit Mahnwachen – in den Wintermonaten an jedem Sonntagabend – erinnerte man hernach jahrelang nicht nur an die jüdischen Opfer, sondern im Laufe der Zeit an alle, die aufgrund jedweder Andersartigkeit im Dritten Reich gequält, erniedrigt und ermordet wurden.

Viele Schicksale aufgedeckt

Viele Schicksale haben rührige Vereinsmitglieder überhaupt erst aufgedeckt. Allen voran Friedrich Engelke, Mitbegründer und Vorsitzender, dem am Mittwoch fast die Worte fehlten. Er mache sich gerade mehr Gedanken über die technische Organisation, gab er zu. "Später, morgen vielleicht, wird mir dann erst bewusst, was wir geschafft haben." Seine Frau Lee kennt ihren Mann. Sie blickt auf Zeiten zurück, in der man fast aufgeben wollte. Auch jetzt, nachdem die ersten 18 Stolpersteine verlegt sind – im März folgen weitere 20, auch in Schwenningen – wisse sie: "Es ist noch nicht zu Ende". "Wir schämen uns jetzt nur ein bisschen weniger", spricht sie auch für ihren Mann und fährt fort: "Wir können die Angehörigen nur um Verzeihung bitten".

In Waldstraße, Gerberstraße, Oberer Straße und Rietstraße

Am Mittwoch wurden in der Waldstraße 11 fünf der Demnig’schen Arbeiten – mit einer gravierten Messingplatte belegte Pflastersteine, die weltweit bereits 75 000-fach verlegt sind – im Gedenken an Familie Bikart verlegt. In der Gerberstraße 33, dem ehemaligen jüdischen Betsaal, weisen vier davon auf die Familie Schwarz hin und in der Oberen Straße 1 lebte einst die fünfköpfige Familie Boss. Während der Künstler schweigsam, ein wenig brummlig und pressescheu arbeitete, wurden die Schicksale der Betroffenen verlesen.

Mit Kindertransport nach Amerika

In der Rietstraße 40 lebte Heinrich Schwab mit seinen Halbgeschwistern Sally und Martha sowie Sallys zwölfjähriger Tochter Lotte. Am Abend des 22. Oktober 1940 wurden alle vier zum Bahnhof gebracht und gemeinsam mit sieben weiteren Villinger Juden ins südfranzösische Gurs deportiert. Bis auf Lotte, die 1941 mit einem Kindertransportes nach Amerika zu einem Cousin ihres Vaters gebracht wurde, starben alle in Konzentrationslagern (KZ). Katharina Lange, ehemalige St. Ursula-Schülerin, die sich schon zu Schulzeiten viel mit den Schicksalen jüdischer Villinger beschäftigte, verlas am Rande der Stolperstein-Verlegung Lottes Biografie. Das Mädchen erfuhr erst nach Kriegsende vom Schicksal ihrer Verwandten.

Heinrich und Martha Schwab

Tobias Aldinger, Mitglied von "Pro Stolpersteine VS", erzählte Heinrich Schwabs Geschichte. 1885 wurde der im elterlichen Haus in der Rietstraße 40 geboren. Nach Schule, Lehr- und Wanderjahren kaufte er seinem Vater Marx das Haus ab. Im Ersten Weltkrieg erkrankte er an der Spanischen Grippe, die zu Schäden seines Gehör- und Sehvermögens führte, was ihm später die Einreise in die USA verwehren sollte. 1921 eröffnete er in der Rietstraße 14 ein Wäsche- und Kurzwarengeschäft und kümmerte sich nach dem frühen Tod der Eltern um die Familie. Er war Mitglied der Historischen Narrozunft, bis ab 1933 Juden nicht mehr erwünscht waren. Die Geschäfte, die er gemeinsam mit seiner neun Jahre jüngeren Halbschwester Martha führte, nahmen mit dem Judenboykott so dramatisch ab, dass die Geschwister den Laden verkaufen und fortan vom Erlös leben mussten. Von Marthas Schicksal berichtete Lee Engelke. 1894 wurde sie geboren, blieb ledig und berufslos. Über ihr Ende findet sich nicht viel in den Geschichtsbüchern, lediglich der Eintrag: "weiteres Schicksal unbekannt, dürfte aber im KZ Auschwitz umgekommen sein".

Frank Ellner erinnerte an Sally Schwab, der 1886 ebenfalls in der Rietstraße 40 geboren wurde. Er wurde Kaufmann in Osnabrück, heiratete und bekam eine Tochter, Lotte. Nach dem Tod seiner Frau und dem Verlust seiner Arbeit wurde er ab 1933 mehrmals verhaftet, landete sogar im KZ. Mit der Weisung, das Land zu verlassen, kam er 1939 frei und in Villingen bei seinem Bruder Heinrich unter. Die Ausreisepläne der gesamten Familie scheitern, das Schicksal nimmt seinen tragischen Verlauf.

Hans Haller und Peter Horn umrahmten die Verlegeaktion musikalisch.