Über Sex schreiben gilt als schwierig. Dabei gibt es durchaus gelungene Sexszenen in der Literatur. Von Henry Miller über Nicholson Baker bis Doris Anselm – wir stellen einige Romane vor, die wirklich Lust machen.
Gelungene Sexpassagen gebe es in der Literatur so gut wie keine, heißt es oft, über Sex zu schreiben, das gehe meist schief. In Großbritannien ist sogar jahrelang der „Bad Sex in Fiction Award“ verliehen worden – ein Preis für die besonders schlechten Passagen aus Romanen. Seit 2020 wird der Preis nicht mehr vergeben, zu den letzten Preisträgern lieferten Medienberichte noch starke Beweisauszüge: „Ihre Augen waren voller Heißhunger. Wie seine eigenen waren sie Feuer und Begehren. Mehr als glühend, mehr als tropisch: Die beiden ritten auf dem Äquator“ (aus John Harvey: Pax) oder: „Sie bat ihn, tiefer zu gehen, und, nicht länger fürchtend sie zu verletzen, drang er tief in Geist und Körper vor, in Hohlräume voller Organe, an den Konturen ihrer Lunge und Leber vorbei, und, an ihrem Herzen vorbeitaumelnd, fühlte er ihre Perfektion“ (aus Mary Costello: The River Capture).
Das ist sehr lustig, natürlich unfreiwillig komisch. Mit dem Schreiben über Sex verhält es sich vielleicht wie mit Sex selbst. Entweder das Unterfangen gelingt, ist anregend, fantastisch, befriedigend. Oder das Gegenteil tritt ein. Dann kann es, nun ja, amüsant werden. Also wenn man nicht gerade 17 ist und die überwältigende Tragik des Moments fühlt. Denn zwei Menschen, die sich nackt aneinander reiben und aufeinander herum hoppeln, sind nun einmal nicht frei von Komik. Und Geschlechtsteile von Nahem betrachtet – nicht durch die von Erregung vernebelte Brille – weniger erotisch als ausgesprochen lustig. Über Sex-Literatur sagte die US-Autorin Toni Morrison in einem Interview einmal, all das sei „einfach nicht sexy“ und nicht viel darüber zu schreiben der einzige Ausweg.
Was wäre die literarische Welt denn ohne Sex?
Aber kann das wirklich stimmen? Kein gutes Buch kommt schließlich ohne jene Stellen aus, die man, pubertär betrachtet, beim Durchblättern doch gerade sucht. Und was wäre die literarische Welt schon ohne den zeitlosesten ihrer Gegenstände? Die Komik der Divergenz zwischen einer tierischen Körperlichkeit, religiösen Zwängen und akademisch gebildeter Zivilisiertheit, die menschliche Verletzlichkeit in der intimsten aller Begegnungen und die produktive Symbolik dieser Grenzerfahrung sind nun einmal nicht auszuklammern, wenn vom Menschen erzählt werden soll.
Vor nicht allzu langer Zeit verboten, aus den Regalen verbannt, vom Vatikan auf den Index gesetzt, ist erotische Literatur im Westen längst etwas, was man heute Mainstream nennen würde. Texte vollkommen unterschiedlicher Art und literarischer Qualität wurden zu Kassenschlagern: die Bücher von Henry Miller über Charles Bukowski bis Erica Jong, Benoîte Groult und Charlotte Roche. Es gibt alles. Heute reicht das Spektrum vom SM-Roman „Fifty Shades of Grey“ über im Selbstverlag bei Amazon publizierte Vampir-Erotica bis hin zu den Büchern von Philipp Roth, Haruki Murakami oder ambitionierten Literaturminiaturen aus Hildesheimer Schreibwerkstätten.
Dürfen wir die Texte von früher nicht mehr mögen?
Als Schwierigkeit identifizieren manche nun rückblickend eher die Frage: Was machen wir mit dem Patriarchat, dem Male Gaze, also dem männlichen Blick in der erotischen Literatur der vergangenen Jahrhunderte? Müssen wir uns immer damit auseinander setzen, irgendwie dazu verhalten – dürfen wir diese Texte nicht mehr gut finden, vielleicht gar nicht mehr lesen?
Die Antwort ist natürlich: Doch. Viele davon zeigen zugegeben eine Welt, in der die Frau nicht gleichermaßen aktiv werden konnte wie der Mann. Und manche der Bücher haben nicht zufällig eine abstoßende, dunkle Seite, werden zu Zerrbildern der Leidenschaften, zum Spiegelbild schrecklicher Zeiten und Zustände. Die Berliner Autorin Lola Randl schrieb sinngemäß: „In allen meinen Sexfantasien bin ich ein 50-jähriger Mann, der irgendwen vögelt.“ Das ist weitgehend der einzige Blick, die Brille, die Lesenden jahrelang aufgesetzt wurde. Doch längst haben sich weitere Perspektiven dazu gesellt. Und auch wenn darüber heute wieder zunehmend gestritten wird, ist eine der entscheidenden Eigenschaften der Literatur ihre Freiheit. Sie kann und darf beinahe alles. Und das muss, schnöde aus Konsumentensicht betrachtet, nicht immer jedem gefallen. Es empfiehlt sich wohl auch nicht, der neu Angebeteten zu Weihnachten Marquis de Sade oder Georges Bataille unter den Baum zu legen – das könnte doch verstören. Andere wiederum gewinnen zeitgenössischen, woken Texten nicht viel ab.
Sexliteratur ist ohnehin in den wenigsten Fällen eine Art von Gebrauchsliteratur, Porno also. Aber es hat auch selten einer widersprochen, wenn sich diese Geschichten dennoch in dem Sinne verkaufen – wie etwa im Fall von Henry Miller oder Anaïs Nin.
Was sind gute Sexbücher? Solche, die man eigentlich mal gelesen haben sollte, von denen man – kennen sich Liebende schon ein bisschen – auch mal eins verschenken könnte? Wir wollen, natürlich subjektiv und bescheiden, Empfehlungen aussprechen.
Der Klassiker Henry Miller: Opus Pistorum
Literaturkritiker mögen an anderen Miller-Texten mehr Gefallen finden – „Wendekreis des Krebses“ oder „Stille Tage in Clichy“ etwa. Wer Sex sucht, muss allerdings besonders in „Opus Pistorum“ nicht lange blättern, findet ihn auf jeder Seite. Im Paris der 1920er Jahre treibt ein Mann alles, was man sich ausdenken würde, wäre man in der Pornoindustrie tätig. Der Macho Henry Miller wäre heute aus der Zeit gefallen, seine Texte bestehen weiter. „Anna will eine Party veranstalten. Sie möchte einige sehr liebe Freunde zusammentrommeln, die sie im Dutzend ficken. Anna sieht aus wie eine Lady, benimmt sich so, zieht sich gut an und hat etwas Geld. Mit anderen Worten, sie kann sich all die teuren Dinge leisten, deren eine Frau bedarf, wenn sie sich als Zehn-Francs-Hure aufführen will.“
Das Lustige Nicholson Baker: Haus der Löcher
Nicholson Bakers Romane sind unfassbar amüsant, voller verrückter Ideen und brillanter Wortschöpfungen, das gilt ebenso für die beiden älteren Sexromane „Die Fermate“ und „Vox“. Diese 2012 erschienene Geschichte spielt in einem außergewöhnlichen amerikanischen Ferienresort namens Haus der Löcher, einer Art Schlaraffenland für Sex, in das man durch den Trockner einer Waschanlage gelangen kann. Dort finden Besucher Masturboote vor, Peniswaschanlagen, ein Pornomonster, einen die Damen beglückenden frei laufenden menschlichen Arm oder ein Tattoostudio, in dem Tattoos durch Hand- und Gliedauflegen wieder entfernt werden können. Praktisch! „Er legte beide Hände über die Blume auf ihrer Brust. ,Spür es’, sagte er. ,Siehst du, wie wir uns verbinden?’ Mit einer einzigen schnellen Bewegung drehte er sie um, sodass sie mit dem Gesicht nach unten lag. ,Ich lege die Hände jetzt direkt auf den Schmetterling.’ Sie spreizte die Knie, bis die Sehnen in ihren Schenkeln spannten.“
Das Sinnliche Anaïs Nin: Das Delta der Venus
In den 1940er Jahren lebten Anaïs Nin und Henry Miller ihre Amour Fou in New York, von Geldnöten geplagt, daher diese Auftragsarbeiten. Nin gab sie erst kurz vor ihrem Tod zur Veröffentlichung frei, seit den 1970ern gelten sie als Klassiker. In ihrer Direktheit stehen die Texte den Werken männlicher Kollegen in nichts nach. Was sie auszeichnet, ist die sinnliche, die blumige Sprache. „Madame wusste, welche Reize Viviane, die Südfranzösin, hatte. Ihr Fleisch schwelte wie glühende Asche, so dass selbst die kühlste Haut sich an ihr erwärmte. Zuerst setzte sie sich auf ihr Bidet, für die Waschzeremonie.“
Das Zeitgenössische Doris Anselm: Hautfreundin
Viele junge Autorinnen haben in den vergangenen Jahren explizit über Sex geschrieben, vor allem in den USA, Lisa Taddeo etwa. Doch vieles davon ist furchtbar langweilig. Dieses unscheinbare, 2019 erschienene Buch der in Berlin lebenden Autorin Doris Anselm ist jedoch ein Beispiel, wie es besser geht. Anselm schreibt bildhaft über Begehren und flüchtigen Sex, dieses Kribbeln unter der Haut, die Erregung, die schon daraus entstehen kann, zuzuschauen, wenn einer beim Sprechen die Zungenspitze an die Zähne schnalzen lässt: „Er hält sich in der Hand. Hält sich mir hin. Die Beine hat er ein Stück auseinandergezogen. Ich kreise über ihm. Sein Hals riecht nach Feuer und Nelken, seine Hände nach heißem Öl, nach Stärke, nach dem Fleisch anderer Tiere. Gefährlich. Noch nie habe ich so intensiv gerochen. Seetang. Weißer Pfeffer. Kupfer natürlich, aber subtil, nur ein rötliches Schimmern durch seine Haut. Nachmittagssonne fällt ins Zimmer, und meine Flügel sind aus wasserdünnem Gold.“