Stuttgart - Sie ist das Erste, was jeder gleich nach der Geburt zu sich nimmt: Milch. Wie kaum ein anderes Lebensmittel wird sie als gesund beworben. Zeit für einen kritischen Blick auf den steigenden Milchkonsum.

Sie macht fit und stark, ist voller Vitamine und Mineralstoffe und sogar dann noch gesund, wenn sie von Schokolade umhüllt wird: Milch ist das Vorzeigelebensmittel für gesunde Ernährung. Zumindest wenn man der Werbung Glauben schenkt, wo Milch und Milchprodukte so präsent sind wie sonst nur Süßigkeiten. Kein Wunder also, dass die Deutschen mit Müsli, Kaffee, Joghurt und Käsebrot so viel Milch verspeisen wie fast nirgendwo anders auf der Welt. Die milchverarbeitenden Betriebe in Deutschland machen den meisten Umsatz innerhalb der Lebensmittelindustrie - und das seit 1965.

Doch auch in Indien oder China ist man inzwischen auf den Geschmack gekommen: Der Konsum von Milch und anderen flüssigen Milchprodukten wird bis 2020 weltweit um 30 Prozent steigen, rechnet der Verpackungshersteller Tetrapak vor. Neben den Werbekampagnen liegt das auch an politisch geförderten Programmen wie der EU-Schulmilch, die Milch für Kindergarten- und Schulkinder subventioniert. Oder dem Weltschulmilchtag der Welt-Ernährungs-Organisation FAO, der am 28. September zum elften Mal ins öffentliche Bewusstsein rufen soll, wie wichtig Milch für gesunde Ernährung ist. Vor allem Kinder können offenbar gar nicht genug Milch trinken. Wirklich? Einige Thesen zum Nachdenken.

Milch ist ein lebenswichtiges Grundnahrungsmittel:

Milch ist ein lebenswichtiges Grundnahrungsmittel: Weltweit gesehen vertragen die meisten Menschen keine Kuhmilch. Sie können den enthaltenen Milchzucker, die Laktose, nicht verdauen, weil ihnen ein Enzym fehlt, das den Milchzucker zerlegt. Unverdaut wird er im Dickdarm von Bakterien vergoren, die Folge sind Bauchweh und Blähungen. Lebenswichtig kann Milch - außer für Babys - also nicht sein. Nur in Mittel- und Nordeuropa bekommt Milch etwa 80 Prozent der Menschen, aber nur wegen einer Genmutation. Der Grund liegt in der Evolution: In den kalten Wintern, in denen es zu wenig Gemüse gab, war für die Bauern früher die Milch ihrer Kühe ein wesentlicher Bestandteil der Ernährung. Wer sie vertrug, überlebte eher, die Genmutation verbreitete sich.

Wer keine Milch trinkt, bekommt Mangelerscheinungen:

Wer keine Milch trinkt, bekommt Mangelerscheinungen: Milch wird vor allem wegen des darin enthaltenen Kalziums und den Vitaminen gelobt. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt deswegen, täglich Milch und Milchprodukte zu essen, und zwar etwa ein Glas Milch (auch Joghurt oder Buttermilch) und ein bis zwei Scheiben Schnittkäse. Wer keine Milch verträgt oder aus anderen Gründen auf Milchprodukte verzichtet, muss aber keine Angst um seine Gesundheit haben, denn es gibt Alternativen.

"Kohlsorten wie Grünkohl und Brokkoli, Spinat, Nüsse, Sesam, Mandeln, Kresse oder auch einige Soja-Produkte enthalten relativ viel Kalzium, ebenso manche Mineralwasser", sagt Katharina Scholz-Ahrens vom Institut für Sicherheit und Qualität bei Milch und Fisch am Max Rubner-Institut. Sie gibt jedoch zu bedenken, dass Kalzium aus Pflanzen vom Körper nicht in den Mengen aufgenommen werden kann wie es über Milchprodukte der Fall ist. Das heißt: "Es ist leichter, einen viertel Liter Milch in den Speiseplan einzubauen als dieselbe Menge Mandeln oder Petersilie."

Milch ist gut für die Knochen:

Milch ist gut für die Knochen: Das menschliche Skelett besteht aus rund 200 Knochen, die sich entwickeln und wachsen, bis der Mensch etwa 30 ist. Dazu brauchen sie Kalzium, was in Milch steckt. Nimmt man zu wenig Kalzium über die Nahrung auf, holt es sich der Körper aus den Knochen, weil er es für wichtige Stoffwechselprozesse braucht. Auf Dauer schadet das dem Skelett.

Aber: Gute Knochen hängen nicht nur mit dem Milchkonsum zusammen. In Asien, wo noch viel weniger Milch getrunken wird als in Deutschland, haben die Menschen deutlich seltener Osteoporose, umgangssprachlich auch Knochenschwund genannt. Denn gesunde Knochen brauchen auch viel Bewegung und Belastung, damit sie sich aufbauen - und Sonnenlicht. Nur mit Hilfe der Sonne kann der Körper Vitamin D herstellen, was wiederum notwendig ist, damit Kalzium überhaupt in die Knochen gelangt.

Kinder brauchen besonders viel Milch:

Kinder brauchen besonders viel Milch: "Kinder und Jugendliche wachsen noch und haben dadurch einen erhöhten Bedarf an vielen Nährstoffen, die gut durch Milch gedeckt werden können", sagt Ernährungswissenschaftlerin Scholz-Ahrens. Deswegen gibt es in Deutschland seit 1983 die sogenannte Schulmilch. Kindergarten- und Schulkinder bekommen sie günstiger, damit sie in der Pause zur Milch statt zur Cola-Dose greifen. An sich keine schlechte Idee, zumal immer mehr Kinder zu Hause nicht mehr richtig frühstücken.

Aber: "Muttermilch ist für den Menschen anfangs nicht umsonst eine vollwertige Mahlzeit", sagt die Ernährungswissenschaftlerin Katharina Diethelm vom Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund. Auch Kuhmilch liefert viel Energie und ist mehr Nahrungsmittel denn Getränk. Gefördert wird nicht umsonst ein viertel Liter Milch. Das deckt bei einem Grundschulkind schon gut zwei Drittel des täglichen Kalzium-Bedarfs.

Milch macht dick:

Milch macht dick: Bis zur Hälfte der täglich benötigten Kalorien nehmen die Deutschen inzwischen über Milch und Milchprodukte auf - den wenigsten dürfte das bewusst sein. Das liegt an der Menge von Quark, Milchkaffee und Pudding - und an den zusätzlichen Inhalten. Viele Kakaogetränke, Milchshakes und Fruchtjoghurts werden mit viel Zucker gesüßt - daran denkt beim Essen der vermeintlich gesunden Produkte aber kaum einer.

Milch ist ein Naturprodukt:

Milch ist ein Naturprodukt: Auch wenn die Kuh in der Werbung immer noch auf der Alm von Hand gemolken wird: Von Natur pur kann bei Milch heute keine Rede mehr sein. Kaum ein Verbraucher weiß mehr, wie natürliche Milch schmeckt, die Produkte im Supermarkt wurden von der Industrie behandelt: homogenisiert und pasteurisiert. Das Erhitzen tötet enthaltene Bakterien wie auch viele Vitamine ab und verlängert die Haltbarkeit. Außerdem ist Milch mit Pestiziden, Hormonen und Antibiotika belastet. Anders können Hochleistungskühe gar nicht ständig trächtig sein und so die Milchmenge bringen, die von ihnen verlangt wird. 1850 gaben Kühe noch etwa 1000 Liter Milch pro Jahr, heute sind es 6800 Liter und mehr.

Milch macht krank:

Milch macht krank: Herzinfarkte, Prostatakrebs, Allergien: Verschiedene wissenschaftliche Studien haben immer wieder Zusammenhänge zwischen Krankheiten und Milch hergestellt - und auch widerlegt. Unterm Strich bleibt also ein "eher neutraler" Einfluss, so Ernährungswissenschaftlerin Scholz-Ahrens. Zumindest solange man es mit der Menge nicht übertreibt - aber das gilt so ziemlich für jedes Nahrungsmittel.

Maria Rollinger: Milch besser nicht., Jou-Verlag, 20 Euro.