Noch liegt auf den Grills der Welt Fleisch von Tieren – doch Forscher arbeiten an Alternativen aus Zellkulturen. Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Fleisch aus Gewebekulturen verspricht Genuss ohne Tierleid. Auch die Umweltbilanz könnte besser ausfallen als bei normalem Fleisch. Doch bis man das Designerfleisch in der EU kaufen kann, dürften noch einige Jahre vergehen. Andere Länder preschen unterdessen voran.

Ein Steak besteht vor allem aus Muskelfasern, Fett, Bindegewebe und Blutgefäßen. Klingt einfach, doch die einzelnen Bestandteile bilden eine komplexe dreidimensionale Struktur, die so einem Stück Fleisch erst seine typische Konsistenz und Saftigkeit verleiht – und Grillfreunden das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt.

 

Dieses natürliche Vorbild im Labor nachzubauen, ist alles andere als einfach. Trotzdem beschäftigen sich Forschende weltweit mit der Produktion von Fleisch unter In-vitro-Bedingungen. Wie das in der Praxis aussieht, kann man im Labor von Petra Kluger an der Hochschule Reutlingen sehen. Dort wachsen Rindermuskelzellen in einer Nährlösung. Die Zellen lagern sich dann zu kleinen Kügelchen zusammen, die sich etwa als Rohstoff für hackfleischähnliche Produkte eignen oder mittels 3D-Druck zu größeren Stücken zusammengefügt werden können. „Von einem Steak sind wir aber noch ein gutes Stück entfernt“, sagt die Professorin.

Kluger kommt aus dem sogenannten Tissue Engineering und hat sich ursprünglich nur mit biomedizinischen Anwendungen beschäftigt. Dabei geht es darum, Gewebe und zukünftig auch ganze Organe im Labor zu züchten, um kranken Menschen zu helfen. Bereits seit vielen Jahren ist es so möglich, künstliche Haut wachsen zu lassen, die durch Verbrennungen zerstörte Hautpartien ersetzen kann. Knorpel wächst ebenfalls in vitro. Klugers Team hat auch ein Hautmodell inklusive Fettschicht entwickelt, mit dem Kosmetika und andere Stoffe auf ihre Reizwirkung getestet werden können, ohne dass Versuchstiere leiden müssen.

Geringerer Land- und Wasserverbrauch

Weniger Leid für Tiere erhofft sich Kluger auch von kultiviertem Fleisch. Zudem könnten Umwelt und Klima profitieren, meint die Forscherin. Tatsächlich entfällt fast die Hälfte der Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft auf die Nutztierhaltung. „Mit Fleisch aus dem Labor könnte auch der Bedarf an Wasser und Land verringert werden“, sagt Kluger. Bislang dient ein großer Teil der Agrarfläche der Futterproduktion. So landen etwa in Deutschland fast 60 Prozent der Getreideernte im Trog. Bei reiner Pflanzenkost ließen sich von derselben Fläche viel mehr Menschen ernähren. Doch weltweit wächst die Fleischnachfrage. Kultiviertes Fleisch könne helfen, den Bedarf umweltverträglich zu decken, sagen Befürworter.

Wie die Ökobilanz tatsächlich ausfällt, lässt sich bis jetzt aber nur theoretisch abschätzen, weil es noch keine Produktion im größeren Maßstab gibt. Tendenziell erwarten viele Experten im Vergleich zu konventionellem Fleisch Vorteile. So schreibt das Büro für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestags, „dass die Umweltwirkungen zellkulturbasierter Fleischproduktion in allen Kategorien deutlich geringer sind als bei der Produktion von Rindfleisch, aber vergleichbar mit der von Geflügel“. Darin spiegeln sich die unterschiedlichen Ökobilanzen von Rinder- und Geflügelhaltung. Während Rinder zur Produktion einer bestimmten Menge Fleisch relativ viel Futter brauchen und das Klima mit Methan belasten, nutzen Hühner oder Puten das Futter effizienter. Schweine liegen dazwischen.

Pflanzenextrakte statt Kälberserum

Klar ist: weder Fleisch aus dem Stall noch solches aus dem Labor kommt in puncto Nachhaltigkeit an Nahrung auf Pflanzenbasis heran. Die Ökobilanz hängt auch davon ab, woher die Energie für die Bioreaktoren stammt, in denen die Zellen wachsen. Szenarien mit einem hohen Anteil fossiler Energien kommen teilweise auf höhere Treibhausgasemissionen als bei konventionellem Fleisch. „Deshalb müssen intelligente Verfahren entwickelt werden, die vor allem erneuerbare Energien nutzen“, so Kluger. Im Produktionsprozess gebe es noch Einiges zu verbessern. So sucht ihr Team Alternativen zu dem Blutserum aus Kälberföten, das in den meisten Nährlösungen für Zellkulturen enthalten ist. Denkbar seien hier Extrakte aus Pflanzen oder Pilzen sowie ungenutzte Reststoffe aus der Landwirtschaft. Auch tierisches Kollagen, das den Zellen als Gerüst dient, lasse sich durch essbare nichttierische Materialien ersetzen.

Doch würden Verbraucher das Kunstfleisch überhaupt essen? Kluger verweist auf eine Umfrage, nach der sich das 82 Prozent der unter 25-Jährigen vorstellen könnten. Der Verein ProVeg, der eine vegane Lebensweise propagiert, befürwortet die Forschung an Laborfleisch mit dem Argument, dass so vielen Tieren Leid erspart bliebe.

Andere Länder machen Tempo

Die niederländische Firma Mosa Meat, die 2013 den ersten Burger aus Laborfleisch vorstellte, will bald eine Pilotfabrik in Betrieb nehmen und in Singapur kann man bereits Huhn aus Zellkulturen testen. Bevor solche Produkte in der EU verkauft werden können, müssen sie nach der Novel Food Verordnung zugelassen werden. „Das kann noch drei Jahre dauern – vielleicht auch länger“, sagt Kluger. Andere Länder wie die USA, Israel oder China drücken unterdessen aufs Tempo und investieren kräftig in die Forschung zu kultiviertem Fleisch. Inzwischen sei aber auch in Deutschland ein Umdenken spürbar. So gebe es auch hierzulande immer mehr Investitionen und Gründungen in diesem Bereich.

Immer mehr Firmen setzen auf Fleisch aus Zellkulturen

Wachstum
 Weltweit steigt die Zahl von Unternehmen, die an Fleisch auf Basis von Zellkulturen arbeiten. Das Good Food Institute (GFI), das sich für alternative Proteinquellen stark macht, registrierte 2022 weltweit 157 Unternehmen (2021: 137). Die meisten sitzen in den USA (43), dahinter liegen Israel und Großbritannien (je 17). In Deutschland zählt das GFI sechs Laborfleisch-Firmen. Die Branche arbeitet auch an Fischprodukten aus Zellkulturen.

Kooperationen
Auch etablierte Fleischproduzenten hätten mittlerweile die Marktpotenziale erkannt, schreibt das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag. Als Beispiel wird das Unternehmen Rügenwalder Mühle genannt, das an einer deutsch-niederländischen Forschungskooperation für zellbasiertes Fleisch beteiligt ist. Die Wiesenhof-Mutter PHW ist beim israelischen Startup Super Meat7 eingestiegen.