Ein drei Jahre alter Bub wird auf offener Straße in Stuttgart seiner Mutter entrissen und in einem Auto entführt. Täter ist der Vater, der sein Kind inzwischen nach Norwegen gebracht haben soll. Der Fall Emil – er beschäftigt soziale Netzwerke, Familienrichter und die Staatsanwaltschaft. Foto: dpa

Ermittlungsfall Emil – oder: Wie der Kampf um einen Dreijährigen Familienrichter, Polizei und Staatsanwälte ratlos macht. Noch zögert die Staatsanwaltschaft, einen internationalen Haftbefehl wegen Kindesentziehung zu beantragen. Das Entführungsdrama in Stuttgart hat eine lange Vorgeschichte.

Stuttgart - Das Drama spielt sich auf dem Parkplatz eines Hotels an der Robert-Leicht-Straße in Vaihingen ab. Es ist Dienstag, morgens um sieben, als eine 31-jährige Frau mit ihrem dreijährigen Sohn und einem Bekannten das Apartment verlässt, um zum Kindergarten zu gehen. Sie kommt nicht weit: Draußen steht ihr Mann, ein 28-jähriger Norweger, von dem sie sich getrennt hat und mit dem sie seit Monaten einen juristischen Streit um das Kind ausficht. Der Angreifer hat auch einen Begleiter dabei – und die beiden sind stärker. Sie fahren mit dem kleinen Emil in einem Mietwagen auf und davon. Das Autokennzeichen ist bekannt. Es gibt zwei unbeteiligte Zeugen des Vorfalls. Die Polizei fahndet.

„Wer hat Emil gesehen?“ Mit diesem Aufruf hat eine Patentante des Jungen eine beispiellose Lawine im sozialen Netzwerk Facebook losgetreten. Die Resonanz ist überwältigend. Dabei hilft der Fahndungsaufruf, der am Donnerstag von fast 10 000 Menschen weiterverbreitet oder kommentiert wurde, nicht weiter. Von Emil fehlt jede Spur, und der 28-jährige Vater ist inzwischen in Norwegen geortet worden.

Doch wohin gehört Emil? Nach Norwegen? Nach Deutschland? Wer hat wen entführt? Das Kind hat beide Staatsbürgerschaften. Der 28-jährige Vater und die 31-jährige Mutter haben sich getrennt, doch das Sorgerecht haben beide. Wer das Aufenthaltsbestimmungsrecht für Emil hat – das beurteilen Gerichte in Norwegen und Deutschland unterschiedlich.

Der Fall hat eine lange Vorgeschichte. Da gibt es die norwegische Variante: Ein Gericht in Egersund spricht im Oktober 2012 dem Vater über eine einstweilige Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu, ein vorläufiger Rechtsschutz, der aber auch das Umgangsrecht der 31-jährigen deutschen Mutter regelt. Fünf Wochen Norwegen, eine Woche Deutschland. Als der 28-Jährige Emil Ende Oktober nach Korntal-Münchingen bringt, wo die Eltern der Frau wohnen, spitzt sich die Situation zu.

Chance nutzen „für einen fairen Prozess“

Die 31-Jährige will den Fall in Deutschland gerichtlich klären und versteckt Emil. „Die Gerichtsverhandlung in Norwegen war wie ein Überfallkommando und kein rechtmäßiges Verfahren“, sagt sie. „Am Freitag kam die E-Mail, am Sonntag flog ich von Stuttgart nach Norwegen, musste am Montag eine Anwältin suchen, die bis Dienstag eine Stellungnahme abgab, am Donnerstag war die Verhandlung.“ Ohne Dolmetscher.

Zu Hause will die 31-Jährige ihre Chance nutzen „für einen fairen Prozess“. Sie meldet sich bei der Ludwigsburger Polizei, erklärt, dass sie auf eine gerichtliche Entscheidung über das Sorgerecht warte. Als der 28-Jährige auftaucht und den Fall bei der Ludwigsburger Polizei anzeigt, stellt die fest, dass alles in Ordnung ist. „Das Jugendamt hat geprüft, dass das Kindeswohl nicht gefährdet ist“, sagt die Ludwigsburger Polizeisprecherin Tatjana Wimmer, „nach deutschem Recht durfte das Kind hier bleiben.“

Der 28-Jährige beantragt dagegen, dass er sein Kind nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen wieder nach Norwegen holen darf. Norwegen gehört seit Dezember 1990 zu den teilnehmenden Staaten des Abkommens, das sicherstellen soll, dass widerrechtlich ins Ausland gebrachte Kinder in ihr Herkunftsland zurückgeschickt werden. Dieser Antrag wird von einem Familienrichter des Amtsgerichts Stuttgart mit Beschluss vom 11. Dezember aber zurückgewiesen. „Dieser Beschluss und der Beschluss in Norwegen haben unterschiedliche Grundlagen“, sagt Amtsgerichtssprecherin Doris Greiner.

Beim Familiengericht des Oberlandesgerichts liegt die Beschwerde des Vaters gegen den Amtsgerichtsbeschluss vor. Die sechswöchige Frist für die Entscheidung des zuständigen Senats ist noch nicht abgelaufen.

Staatsanwaltschaft zögert

Doch wie es aussieht, hat der 28-Jährige längst selbst Fakten geschaffen. Die Stuttgarter Polizei ermittelt wegen Kindesentziehung und womöglich gefährlicher Körperverletzung. „Sorgerechtsfragen sind aber nicht unsere Baustelle“, sagt die Stuttgarter Polizeisprecherin Daniela Waldenmaier. Für die Ermittler gilt inzwischen als sicher, dass der 28-Jährige wieder in Norwegen ist.

Und nun? Am Donnerstag zögerte die Staatsanwaltschaft noch, einen internationalen Haftbefehl wegen Kindesentziehung zu beantragen. „Wenn der Vater keinerlei Anspruch auf das Sorgerecht des Kindes hätte, wäre der Fall viel klarer“, sagt Staatsanwaltssprecherin Claudia Krauth. Die norwegischen Behörden dürften ihren Staatsbürger wohl kaum an die deutschen Behörden ausliefern. „Und selbst wenn der Vater hier wäre, käme man dem Ziel, das Kind zurück nach Deutschland zu holen, kaum näher“, glaubt Krauth. Eine Prüfung des Falls sei aber noch nicht abgeschlossen.