Viele Kinder sind derzeit krank, das bringt die Kinderärzte an ihre Kapazitätsgrenzen. Foto: © Maurizio Milanesio – stock.adobe.com

Fieber, Husten, Schnupfennasen – die derzeit bei Kindern grassierenden Atemwegsinfekte sorgen für überlastete Familien, Betreuungseinrichtungen und Kinderarztpraxen. Schuld daran ist aber auch ein zunehmend ausgedünntes Versorgunsgsystem.

Rottweil - Erkältungsviren scheinen nach Corona Hochkonjunktur zu haben. Kaum eine Familie ohne krankes Kind, kaum ein Kindergarten ohne Betreuungsengpass, kaum eine Schule ohne Personalproblem. Täglich laufen im Rottweiler Gesundheitsamt die Meldung aus Schulen und Kindertagesstätten über ein gehäuftes Auftreten von Atemwegsinfektionen bei Kindern und Beschäftigten ein. Verantwortlich hierfür sind unter anderem das Influenza-Virus und das Respiratorische Synzytial Virus, kurz RS-Virus, wie das Gesundheitsamt auf Nachfrage erklärt.

 

Influenza und RSV auf dem Vormarsch

"Bisher konnten in vielen Fällen das meldepflichtige Influenza-Virus labortechnisch oder epidemiologisch bestätigt werden. Das Gesundheitsamt steht mit den Einrichtungsleitern und -leiterinnen der betroffenen Schulen und Kindergärten im engen Austausch, um die entsprechenden Maßnahmen zu besprechen und die Situation regelmäßig zu bewerten", heißt es in der Stellungnahme.

Konkret sind die Kindergärten derzeit angehalten, jegliche Atemwegserkrankungen, Bindehautentzündungen und Magen-Darm-Erkrankungen dem Gesundheitsamt zu übermitteln. Eltern sollen den Einrichtungen Symptome melden.

Zwischen 60 und 70 Patienten am Tag

Wessen Kind stärker erkrankt ist, den führt der Weg etwa in die Praxis von Kinderarzt Jens Christian Krause. "Wir sehen auch viele Atemwegsinfekte in unserer Praxis – an den langen Tagen, an denen wir auch am Nachmittag geöffnet haben, zwischen 60 und 70 Patienten – allerdings auch mit Vorsorgen und Impfungen", erklärt Krause. Akuttermine werden kurzfristig vergeben, so dass es bei der derzeitigen Auslastung nicht immer leicht sei, "telefonisch zu uns durchzudringen, gerade gleich zu Beginn der Sprechstunde".

Patienten möglichst ambulant halten

Das ist auch bei seinen Kollegen, den Kinderärzten Michael Eberhard und Joachim Kiehne so. "Im Vergleich zu den Vorjahren – also der Zeitrechnung vor Corona – ist die Welle an RSV und vor allem an Influenza wahrscheinlich früher im Jahr und aus diesem Grund wahrscheinlich auch ungewöhnlicher", beschreibt Eberhardt die Lage.

Zwar sei die Quote an Kindern aus der Praxis, die stationär behandelt werden müssten moderat, weil man versuche, die meisten ambulant zu halten, dennoch sei eine engmaschige Wiedervorstellung notwendig. Und das wiederum sorge für eine starke Belastung der Praxis.

Krause musste in der aktuellen Saison schon mehrere Patienten mit RSV stationär ins Krankenhaus einweisen. "Früher folgte auf eine heftige RSV-Saison meist eine mildere. In diesem Jahr sehen wir nach der heftigen und frühen RSV-Saison 2021 eine weitere heftige und frühe Saison 2022, die mit einer frühen und heftigen Influenza-Saison zusammenfällt", erklärt der Kinderarzt.

Versorgungslage wird schlechter

Zum Umstand, dass gleich mehrere Erkrankungswellen zusammenfallen, komme die zunehmend schlechter werdende kinderärztliche Versorgungslage im Kreis. "Die Versorgungsdichte mit Kinderärzten im Kreis Rottweil ist schlecht. In Baden-Württemberg kommen – basierend auf den Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung vom 21. Oktober 2022 – nur noch der Kreis Calw und der Kreis Biberach hinter uns", gibt Krause zu bedenken. "Wir bewegen uns sicher an der Grenze unserer Kapazität hier. Auch wenn die Infektsaison in diesem Jahr heftig ist, bereiten mir die nächsten Jahre nicht weniger Kopfzerbrechen als dieses, weil einige Kollegen in der Region wahrscheinlich altersbedingt in den Ruhestand gehen werden."

Untragbare Situation in der Ambulanz

Mit Blick auf die Kinderambulanz in Villingen wird der Versorgungsengpass noch deutlicher. Kinderarzt Joachim Kiehne spricht von einer untragbaren Situation. Die dortige Ambulanz der Kinderklinik wird abends und an den Wochenenden auch tagsüber von den niedergelassenen Kinderärzten abgedeckt. Kiehne spricht von Wartezeiten über vier Stunden etwa an Wochenenden. Teilweise müssten Eltern mit ihren Kindern im Freien vor dem Gebäude warten. "Für Kinder ist das vollkommen unzumutbar", kritisiert er. "Manche Familien ziehen wieder von dannen, ohne ärztlich gesehen worden zu sein. Die Teams in der Ambulanz arbeiten sich einen Wolf, aber eigentlich müsste man noch zwei Ambulanzen organisieren", beschreibt er die Lage.

Zwar werde der Großteil der Patienten wieder nach Hause geschickt, Eltern werden beruhigt und gebeten, die fieberhaften Infekte geduldig auszusitzen – aber es gebe doch einige, die in das Krankenhaus eingewiesen werden müssten, gerade auch wegen des RS-Virus.

Fehlendes Personal ein Problem

"Natürlich hofft man, dass die große aktuelle Welle auch wieder nachlässt, aber im Prinzip muss gerade im Bereich der Kinderheilkunde ein großes Bereitschaftspotenzial immer vorgehalten werden." Praktisch aber gebe es das Problem unbesetzter Arztstellen und fehlender Medizinischer Fachangestellten.

"Im Krankenhaus sieht es nicht besser aus – dass jetzt ministeriell beschlossen wurde, die Untergrenzen im Pflegeschlüssel in den Kinderkliniken zu senken, kann sich eigentlich nur ein Bürokrat als Lösung ausgedacht haben. Wir werden wohl sehr viel klatschen müssen", kritisiert Kiehne.

Angesichts der angespannten Lage in den Kinderkliniken im Land hatte der Landeskrankenhausausschuss am 7. Dezember 2022 vereinbart, dass die Personaluntergrenzen an Kinderkliniken bis auf Weiteres nicht eingehalten werden müssen. "Wir halten diesen Schritt für angebracht, um die Versorgung der kleinen Patientinnen und Patienten weiter zu gewährleisten", wird Gesundheitsminister Manne Lucha in der Pressemitteilung des Ministeriums zitiert. Zuvor hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach angekündigt, dass das Einhalten der Personaluntergrenzen-Verordnung an den Kinderkliniken wegen der angespannten Lage bis auf Weiteres nicht kontrolliert werden muss.

Krise ein Dauerzustand

Die angespannte Lage in den Kinderarztpraxen ist mittlerweile allerdings ein Dauerzustand geworden. "Es ist schon lange nicht mehr so, dass der Kinderarzt Saisonarbeiter ist. Wir hatten auch im Sommer viele Infekte und auch im Juli an manchen Tagen mehr als 60 Patienten am Tag behandelt", berichtet Krause. Insbesondere die Coxsackieviren, die Hand-Mund-Fuß-Krankheit und Herpangina auslösen, hatten im Sommer für extrem viele Vorstellungen in Krauses Kinderarztpraxis gesorgt, obwohl sie als typische Sommerviren auch jetzt im Dezember noch nicht ganz verschwunden seien.

Das rät das Gesundheitsamt

Derzeit geht das Gesundheitsamt davon aus, dass die Anzahl an Erkrankungen in den nächsten Tagen und Wochen weiterhin auf hohem Niveau bleiben wird. Es empfiehlt daher insbesondere präventive Maßnahmen wie das Einhalten der Niesetikette, Abstand und eine gute Händehygiene durch regelmäßiges Händewaschen.

Auch die Schutzimpfung gegen Influenza und das Tragen einer FFP2-Maske solle, vor allem von Risikogruppen, in Erwägung gezogen werden. Wenn bereits Krankheitssymptome aufgetreten sind, empfiehlt das Gesundheitsamt, Kontakte weitestgehend einzuschränken und dem Körper die Möglichkeit geben, sich zu erholen.