Die Riedgemeinden wurden zum Ende des Zweiten Weltkriegs zur Zielscheibe der Alliierten. In einer Serie werden die Erlebnisse erzählt, an die sich Zeitzeugen 1985 im LZ-Gespräch erinnerten – darunter der schreckliche „Entenköpfer“-Vorfall.
Schon drei Jahre vor Kriegsbeginn wurden zahlreiche Bunker des Westwalls auf Meißenheimer Gemarkung errichtet. Im Sommer 1938 wurden die Verteidigungsanlagen von Truppen der Wehrmacht besetzt. Nach der Invasion in der Normandie am 6. Juni 1944 drangen die Alliierten immer weiter nach Osten vor. Im Herbst 1944 wurden in Meißenheim im Dorf und im Rheinfeld Schanzgräben angelegt. Im Rheinwald wurden Stege und Notbrücken gebaut. Säle und öffentliche Gebäude wurden von Nachrichteneinheiten der Wehrmacht belegt.
Am 9. September 1944 kam es in Meißenheim zu einem schrecklichen Zwischenfall. Die Kleinbahn, die von Lahr nach Kehl fuhr, „Bähnle“ oder „Entenköpfer“ genannt, wurde zwischen Ottenheim und Meißenheim von Jabos beschossen. Herbert Reith, Jahrgang 1924, der wegen einer Kriegsverletzung seit 1943 zu Hause war, erinnerte sich: „Das Bähnle war vollbesetzt mit Zivilisten. Unter den Fahrgästen waren nur wenige Soldaten. Die Bahn fuhr führerlos ins Dorf ein, der Lokführer war tot. Schließlich blieb die Lok stehen. Frauen und Kinder schrien, alles war ein einziges Blutbad. Die Verletzten wurden ins Rathaus gebracht. Es sah schlimmer aus, als in einem Feldlazarett. Die Schwerverletzten brachte man ins Lahrer Krankenhaus, vielen konnte jedoch nicht mehr geholfen werden.“
Archiv des Rathauses musste mühsam vom Dreck befreit werden
Nach der Besetzung des Elsass durch die französischen Truppen im November 1944 bedrohte Artilleriebeschuss das Leben der Menschen. Hauptziel war die Kirche, in der sich eine Artillerie-Beobachtungsstelle der Wehrmacht befand. Im Februar 1945 lag das Dorf 16 Tage unter Artilleriebeschuss. Zuerst flogen Spreng-, dann Brandgranaten aus dem Elsass herüber. Die wenigen Männer, die im Dorf zurückgeblieben waren, bekämpften die dadurch ausgelösten Brände unter schwierigen Umständen und in stetiger Lebensgefahr. Die Kirche erhielt sieben Volltreffer: drei im Turm, drei im Kirchenschiff und eine in der Außenmauer. Durch das beschädigte Dach drang der Regen ein, das Wasser bildete große Pfützen auf dem Fußboden. Die Deckengemälde der Kirche, die Stukkaturen und die ganze Inneneinrichtung waren durch die Feuchtigkeit gefährdet.
Herbert Reith, der zunächst 20 Jahre lang Ratsschreiber und von 1965 bis 1985 Bürgermeister von Meißenheim war, erinnerte sich, dass ein amerikanisches Flugzeug, das vermutlich von der Flak in Offenburg beschossen wurde, einige Bomben über Meißenheim „ablud“, um weiterfliegen zu können. Eine Bombe zerstörte das Ökonomiegebäude hinter dem Rathaus. In der darauffolgenden Nacht explodierte ein Blindgänger und hinterließ einen riesigen Bombentrichter. „Der Trichter war so groß, dass man das halbe Rathaus hätte hineinstellen können. Das Archiv des Rathauses wurde bis obenhin mit Dreck gefüllt und musste mühsam wieder freigegraben werden“, erzählte Reith.
Nachdem die Kirche und die umliegenden Gebäude immer stärker unter Artilleriebeschuss gerieten, wurde die Dienststelle des Rathauses ins Oberdorf, ins Gasthaus „Krone“ verlegt. Aber auch hier schlugen immer mehr Granaten ein. So geriet einmal ein Bauernhof neben dem Gasthaus Krone durch eine Granate in Brand. Ein Bauer aus dem Unterdorf hatte dort seine Tiere untergebracht, weil er hoffte, dass sie hier sicherer wären.
Dienststelle des Rathauses wurde ins Gasthaus Krone verlegt
„Es gelang uns, die Pferde aus dem Stall zu treiben. Wir konnten sie aber nur mit Mühe davon abhalten, in den brennenden Stall zurückzukehren“, erzählt Herbert Reith.
Am Sonntag, dem 15. April 1945, überquerten die französischen Truppen bei Straßburg den Rhein. Noch am selben Tag rückten sie von Ichenheim kommend in Meißenheim ein. Sie blieben einige Tage im Dorf, da sie südostwärts auf eine neue Widerstandslinie trafen.
Die Serie
2025 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkrieges zum 80. Mal. Die Riedgemeinden entlang des Rheins hatten 1944/45 besonders unter dem Kriegsgeschehen zu leiden. Im Jahr 1985 sprach LZ-Mitarbeiterin Daniela Nußbaum-Jacob mit vielen, inzwischen verstorbenen Zeitzeugen, die die Ereignisse im Ried hautnah miterlebt hatten. Diese dienten als Grundlage für das mittlerweile ausverkaufe Buch „Wie war das damals?“ und werden nun in der LZ-Serie neu erzählt