Im Kanadaring in Lahr leben viele Menschen mit Wurzeln in der ehemaligen Sowjetunion. Foto: Schabel

Der Wahlerfolg der Rechtsaußen-Partei in Lahr bewegt die Stadt. Bei der Frage nach den Gründen fällt der Blick schnell auf die Russlanddeutschen. Ist das gerechtfertigt? Ein Versuch der Aufarbeitung.

31,4 Prozent der Stimmen hat die AfD bei der Bundestagswahl in Lahr auf sich vereint, wurde so mit deutlichem Vorsprung zur stärksten Kraft vor den vermeintlichen Platzhirschen CDU (24,7 Prozent) und SPD (13,6 Prozent). Bei der Frage nach dem Warum kommen viele auf den hohen Anteil von Spätaussiedlern in der Stadt. Ein gutes Fünftel der 50 000 Lahrer hat Wurzeln in der ehemaligen Sowjetunion. Hat diese Bevölkerungsgruppe strikt blau gewählt?

 

Diese Frage stand im Vordergrund des Interviews, zu dem sich Olesja Romme und Wolfgang G. Müller am Freitag mit der Lahrer Zeitung getroffen haben. Romme, Vertreterin der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, räumt ein: Es sei nicht zu leugnen, dass viele Spätaussiedler eine „Tendenz zur AfD“ hätten. „Doch ich weiß auch von vielen, die die CDU oder andere Parteien gewählt haben.“ Die 44-Jährige ist selbst seit Jahren CDU-Mitglied, hat bereits für mehrere politische Ämter kandidiert.

Der Großteil der russlanddeutschen Familien kam Mitte der 1990er-Jahre nach Lahr, wo sie nach dem Abzug der kanadischen Streitkräfte deren Wohnungen bezogen. Wolfgang G. Müller, Lahrer OB von 1997 bis 2019, verwandt viel Zeit und Kraft in die Integration der damaligen Neuankömmlinge. Eine Leistung, die er durch das Wahlergebnis vom vergangenen Sonntag nicht geschmälert sieht: Spätaussiedler blickten „wie viele andere Wählergruppen kritisch auf die aktuellen politischen Prozesse“. Sie seien grundsätzlich eher konservativ eingestellt, was aber nicht zwingend einen Hang zu rechts(-außen) bedeuten müsse. „Sonst wäre ich als SPDler damals nicht OB geworden,“ meint der 73-Jährige.

„Machen es uns zu einfach“

Die AfD hat in Langenwinkel, Dinglingen und Kippenheimweiler jeweils weit mehr als 40 Prozent der Wähler von sich überzeugen können. Allesamt Bezirke mit einem hohen Russlanddeutschen-Anteil. Müller blickt indes nach Kuhbach und Reichenbach, wo die CDU deutlich gewonnen hat, die Alternative für Deutschland aber dennoch fast zwei Prozent über dem Bundesschnitt liegt. „Das zeigt, dass wir es uns zu einfach machen, wenn wir nur auf die Spätaussiedler zeigen.“

Das Lahrer Wahlergebnis sorgt für Diskussionen. Foto: Baublies

Auch Romme will von einer fehlgeschlagenen Integration nichts wissen – im Gegenteil: „Die Russlanddeutschen sind sehr gut in der Stadt angekommen.“ Bei der nun aufgekommenen Diskussion fühlten sich viele ungerecht behandelt und über einen Kamm geschert. Die Bevölkerungsgruppe der Spätaussiedler hat ihrer Einschätzung zufolge die gleichen Sorgen wie die anderen Deutschen, die aktuell vor allem wirtschaftlicher Natur seien. „Das muss sich unter der neuen Regierung bessern.“

Alt-OB Müller plädiert dafür, nicht über, sondern mit den Russlanddeutschen zu sprechen – und dafür, das Lahrer Wahlergebnis genau zu analysieren. Vor allem, da in den kommenden Jahren wichtige Wahlen anstünden.