Thomas Rahmann begibt sich mit Hilfe von Christoph Horrer hier in die Kanalisation in Ebhausen. Foto: Haselmaier

Die wenigsten Menschen dürften eine klare Vorstellung davon haben, was sich ein paar Meter unterhalb ihnen im alltäglichen Leben abspielt – in der Kanalisation. Um Licht ins Dunkel zu bringen, ist unser Reporter hinabgestiegen in Regenüberlaufbecken und Abwasserrohre der Region.

Peter Haselmaier, Technischer Geschäftsführer des Abwasserzweckverbands Nagold, reicht mir einen weißen Einmal-Overall, Handschuhe und einen Helm. Er gibt mir den Tipp, am besten nichts anzufassen. Mitarbeiter Christoph Horrer hilft mir in einen Gurt hineinzusteigen und befestigt mit einem Karabiner ein Metallseil an meinem Rücken. Das sei Vorschrift, um mich zur Not an dem Seil herausziehen zu können. Vorgeschrieben sei auch das Mitnehmen eines Messgeräts für toxische Gase und ein Atemgerät.

 

Horrer und sein Kollege Jörg Kalmbach heben den schweren Gullideckel im Ziegelweg in Ebhausen auf die Seite, von einer Schachtleiter steige ich auf eine zweite und schaue hinauf: Ganz schön tief, denke ich.

Da die Kellertiefe in der Regel bis drei Meter gehe, seien Kanäle mindestens knapp vier Meter tief, erklärt mir Haselmaier. In Hochdorf gebe es sogar Rohre, die 12 Meter in die Tiefe gehen.

1,70 Meter Durchmesser

Unten in der Kanalisation sehe ich vor mir zwei sogenannte Sammler-Rohre mit jeweils etwa 1,70 Meter Durchmesser. Durch ein Rohrsystem können maximal 30 Liter pro Sekunde fließen, erklärt Kalmbach. Beim Aufkommen von mehr Abwasser werde der zweite Kanal aktiviert.

Grundwassereintritt

In leicht gebückter Haltung gehe ich mit Kalmbach durch das Rohr. Die Mitarbeiter haben den Kanal vor meiner Ankunft gereinigt – auch, weil sie ein Leck stopfen müssen. Eine kleine Fontäne Grundwasser spritzt seitlich in den Kanal. Im an diesem Tag relativ gemächlich fließenden Abwasser, das sich auf eine Rinne im Kanal beschränkt, erkenne ich im etwas trüben Wasser lediglich ein paar aufgeweichte Tücher.

Ratten? Kein Problem

„Ratten sind fast gar kein Problem“, antwortet mir Horrer auf meine diesbezügliche Frage. Die Lebensmittelindustrie leite in der Region nicht viele Fette ins Wasser, die als Nahrung interessant seien – außerdem gebe es nicht viel stehendes Wasser in der Kanalisation, die überdies regelmäßig gereinigt werde. Der Verband bekämpfe Ratten auch gezielt.

Einkaufswagen, Sand und Holz

Dagegen seien bereits ein Einkaufswagen und ein Skateboard in der Kanalisation aufgetaucht – auf welchem Wege die dort hingekommen sind, sei für ihn ein Rätsel, sagt Haselmaier. Sand, Kies und Holz von Baustellen – wie beispielsweise zur Glasfaserverlegung – landen häufiger in der Kanalisation. Wenn sich Feuchttücher in Draht verhängen oder jemand das Wasser aus ausgeputzten Gipseimern in den Abfluss schüttet und es länger nicht regnet, könne es auch zu Verstopfungen kommen. Diese müssten manchmal auch von Hand entfernt werden.

Haushaltsabwässer bilden kleinen Teil

Haushaltsabwässer wie aus Waschmaschinen, Toiletten und Duschen stellen nur einen geringen Teil dar, sagt Haselmaier. Viel größer sei der Teil, der in Form von Regenwasser über Straßeneinläufe und Dachrinnen in die Kanalisation gelangt – mit Reifenabrieb, Ölrest und Vogelkot. Und sogar noch größer sei der Teil an Frischwasser, der über verschiedene Wege in die Kanalisation gelange.

Abwassertrennung

Schmutzstoß nennen die Arbeiter des Verbands den ersten Wasserschwall bei einem frisch einsetzenden Regen, der den hauptsächlichen Dreck wegspült. Kalmbach leuchtet mit der Taschenlampe in einen Kanal hinein. Im Lichtkegel sehe ich wie das Rohr zum Halbrohr wird. Wenn an dieser Stelle zu viel Regenwasser auf einmal herunterkommt, fließt es über den Rand in ein anderes Kanalsystem. Wenn das Wasser noch zum Schmutzstoß gehört, wird es in ein Regenüberlauf- und Rückhaltebecken geleitet. Wenn der Regen schon länger dauert, teilweise auch direkt in den Fluss.

Über 200 Kilometer Rohre

Besonders beeindruckt mich das riesige, komplexe Netzwerk, das sich unter der Erde befindet und läuft. Über Schieber, Pumpen und mithilfe von Hightech-Messungen werden die verschiedenen Kanalsysteme geregelt. Allein unter Nagold und seinen Stadtteilen seien ungefähr 200 Kilometer Kanalrohre im Durchmesser von 25 bis 50 Zentimeter verbaut, sagt Kalmbach. Hinzu kommen circa 35 Kilometer größere Sammler-Rohre.

Schilffelder und Riesenbecken

Zudem umfasst das Netzwerk beispielsweise auch Schilffelder, die auf dem Eisberg weniger stark verschmutztes Wasser reinigen und riesige Überlaufbecken, die den mehrfachen Tankinhalt eines Jumbo-Jets umfassen und teilweise ein eigenes technisches Messsystem vor Ort aufweisen.

Im Zweckverband Nagold, der sich von Ebershardt bis Grünmettstetten erstreckt, fließen jährlich fünf bis sechs Millionen Kubikmeter Wasser durch die Kanalisation, berichtet Haselmaier. Das ist über doppelt so viel wie das Volumen der Cheops-Pyramide, der größten der drei Pyramiden von Gizeh.

Basis-Umweltschutz

Abwasserregulierung sei Basis-Umweltschutz, schließt Haselmaier. Neben organischen Stoffen gehe es dabei heute immer mehr auch darum, Arzneimittelrückstände, Kunstfasern aus Kleidung oder Phosphor aus der Düngung täglich aus dem Wasser zu bekommen.

Trotz der verschiedenen gefragten Handwerksbereiche, Spielräume für Ideen und Einsatzmöglichkeiten gebe es beim Zweckverband einen Mangel an neuen Auszubildenden, fügt Haselmaier hinzu. Vielleicht, weil viele ein falsches Bild von der Kanalisation haben, denke ich mir in Rückblick auf meine eigenen Vorstellungen – Stichwort Ratten – , die ich vor dem Ausflug in den Untergrund hatte.