Die Akteure des Abends im Pflugsaal (von links): Thorsten Mietzner, Felix Bender, Ulrike Derndinger und Markus Ibert Foto:  

Die Stadt Lahr würdigte Philipp Brucker mit einem besonderen Abend im Pflugsaal. Dabei kamen Akteure zu Wort, die beruflich in die Fußstapfen des früheren Redaktionsleiters der Lahrer Zeitung, Oberbürgermeistes und Mundartautoren getreten sind.

Philipp Brucker empfängt einen kanadischen General in seinem OB-Büro, zeigt ihm stolz das Modell eines Düsenjägers auf seinem Schreibtisch, ehe er ihm „a little Schutterlindenberger“ einschenkt – einen Wein vom Lahrer Hausberg. Der Soldat hört staunend zu, während Brucker ein Englisch spricht, aus dem noch das Alemannische herauszuhören ist.

Die Szene – Teil eines TV-Beitrags, den der SWR Anfang der 1970er-Jahre in Lahr drehte – wurde am Montagabend im Pflugsaal gezeigt, wo sie die Gäste schmunzeln ließ. Denn Brucker war in der für ihn typischen Art so charmant zu dem General, dass der gar nicht zu Wort kam.

Die Stadt hatte eingeladen, um ihren früheren, äußerst populären OB zu ehren, der am 2. September 100 Jahre alt geworden wäre. Mit knapp 100 Besuchern war der Saal gut gefüllt. In der ersten Reihe saßen Bruckers Sohn Jörg Brucker und seine Tochter Cornelia Obergföll mit ihrer Familie: Ehemann Bertold und Bruckers Enkel Fabian und Laetitia. Es wurde ein emotionaler Abend für sie, denn ihr Vater, Schwiegervater und Großvater war immer wieder in alten Filmaufnahmen zu sehen, die auch die übrigen Gäste in Erinnerungen schwelgen ließen an einen ganz besonderen Menschen.

Organisiert und nun auch moderiert wurde die Feierstunde von Thorsten Mietzner. Der Stadtarchivar schickte eingangs voraus , dass es nicht um reine Nostalgie gehen solle. Vielmehr sei er überzeugt, dass man heute von Brucker lernen könne. Denn der habe Tugenden wie Kommunikation, Toleranz und Kompromissbereitschaft gelebt, die auch in der Gegenwart von Wert seien.

„Er kann zu uns sprechen“, sagte Mietzner deshalb über Brucker, der vor seiner Zeit als Lahrer OB (1961 – 1981) Journalist gewesen war und danach, im politischen Ruhestand, zum Mundartdichter wurde.

Mietzner übergab dann das Wort an drei Redner, die persönliche Gedanken zu diesen drei Lebensphasen Bruckers – Redakteur, Politiker und Autor – äußerten, aber auch, welche Lehren sie aus seinem Wirken ziehen können. Die drei haben nämlich, wenn man so will, sein Erbe angetreten.

Brucker sinnierte als Redakteur über den Fleiß der Stadtverwaltung

Brucker war von 1954 bis 1961 Redaktionsleiter der Lahrer Zeitung, ein Posten, den ein paar Generationen später Felix Bender innehat. Der trug am Montag zunächst eine Glosse Bruckers vor, die 1959 in der Lahrer Zeitung erschienen war. Unter der Überschrift „Was schaffe Ihr do?“ hatte er über den Besuch von Schülern in der Finanzabteilung der Stadtverwaltung berichtet. Die Siebtklässler hatten einen Aufsatz über den städtischen Haushaltsplan schreiben müssen und sich dann gedacht, dass es das Beste wäre, sich vor Ort über die Arbeit der Verwaltungsbeamten zu informieren.

Den spontanen Schülerbesuch auf dem Rathaus nahm Brucker zum Anlass, um über die Beziehung der Bürger zur Stadtverwaltung zu sinnieren. Manches Missverständnis – etwa über vermeintlich fehlenden Fleiß in der Amtsstube – ließe sich auflösen, war Brucker überzeugt, wenn beide Seiten aufeinander zugehen würden. Etwa indem die Bürger vorbeikommen und mit den Beamten sprechen oder die Stadt der Einfachheit halber gleich einen Tag der offenen Tür im Rathaus veranstalten würde.

Der Text war typisch für den Journalisten Brucker. „Mit feiner Feder statt mit dem Dampfhammer. Deutlich, aber nicht verletzend. Einend, statt trennend“, bemerkte Bender. Zur Vorbereitung des Abends habe er zahlreiche Artikel Bruckers gelesen und dabei festgestellt, dass die noch immer beispielhaft seien – denn Journalismus müsse damals wie heute kritisch, aber auch immer fair sein. Man dürfe den Finger auch Mal „etwas tiefer in die Wunde legen, jedoch nie ins Persönliche gehend oder gar ins Denunzierende“.

Und dann knüpfte Bender direkt an Brucker an und meinte, dass es 65 Jahre später an der Zeit sei, dessen Wunsch nach einem Tag der offenen Tür im Lahrer Rathaus zu erfüllen – das sorgte für Erheiterung im Publikum, auch Markus Ibert musste schmunzeln.

Ibert ist als OB in Bruckers Fußstapfen getreten und war am Montag der Nächste, der seine Gedanken zu seinem Vor-Vor-Vorgänger äußerte. Ausgangspunkt war diesmal ein Text, in dem Brucker über sein Leben als OB geschrieben hatte. Konkret ging es um eine „Nachsitzung“ im Anschluss an eine Gemeinderatssitzung. In gemütlicher Runde in einem Gasthaus mokierte sich ein Ratsmitglied über den hohen Redepart Bruckers zuvor in der Versammlung. Denn der OB ist bekanntlich auch Vorsitzender des Gemeinderats.

Diese Rolle sei nicht einfach gewesen, schließlich habe er ja nicht tatenlos zusehen können, wenn im Gemeinderat „Fehlentscheidungen am Horizont“ waren, schrieb Brucker. Andererseits habe er tatsächlich aufpassen müssen, als Sitzungsleiter nicht zuviel zu reden.

Als OB hatte Brucker es in bestimmter Hinsicht leichter als Ibert heute

Ibert erzählte, dass es die „Nachsitzungen“ des Gemeinderats im „Rebstock“ heute noch gebe, wenngleich die Teilnehmer nicht mehr so zahlreich wie früher seien. Auch die Debattenkultur im Rat sei jetzt anders. Zu Bruckers Zeiten sei wohl mehr gestritten worden. Die Rolle als Vorsitzender des Gemeinderats sei indes nach wie vor eine besondere, da der OB ja auch Chef der Verwaltung sei, so Ibert. Deshalb sei es auch ihm heute „kaum möglich, sich herauszuhalten, wenn Vorlagen der Verwaltung zerpflückt“ werden.

Ibert hob Bruckers Menschlichkeit hevor, seinen Witz und sein positives Denken. Diese Eigenschaften seien heute noch wertvoll, „denn die Menschen haben sich nicht geändert“, so Ibert. Allerdings habe Brucker als OB in anderen Zeiten gewirkt. In den Aufbaujahren nach dem Krieg seien Veränderungen als etwas Positives wahrgenommen worden. So sei es Brucker möglich gewesen, gewaltige Aufgaben wie den Bau von Straßen oder Schulen umzusetzen. „Heute gibt es 1000 Gründe gegen ein neues Projekt“, so Ibert mit bedauerndem Unterton.

Ulrike Derndinger ist Redakteurin der Badischen Zeitung in Lahr und Mundartautorin. Sie trug einen Text Bruckers vor, in dem der Ich-Erzähler über einen Hutkauf schreibt. Er habe festgestellt, dass er eine neue Kopfbedeckung braucht, denn die alte „lässt die Wildsäue erschrecken“, heißt es darin. Der „neue schwarze Hut“ macht den Erzähler dann richtig stolz und sorgt auf der Straße für viele Komplimente.

Die Pointe ist die Begegnung mit einer Bekannten, die dem Autor sagt, ihr sei zuerst der schicke Hut aufgefallen, erst danach habe sie festgestellt, wer daruntersteckt. Von Derndinger gekonnt in Mundart vorgetragen, sorgte der Text abermals für Schmunzeln im Saal.

Die Geschichte sei ganz typisch für Brucker gewesen, weil darin eine tägliche Begebenheit feinsinnig behandelt werde, so Derndinger. Zwar äußere Brucker darin auch Kritik an der Wohlstandsgesellschaft. Aber: „Harte Urteile fällt er nicht“. Er sei „kein Satiriker und schon gar kein Zyniker“ gewesen.

Mit Blick auf Bruckers Biographie bezeichnete Derndinger ihn als „literarischen Stadtbaumeister“ – denn er wurde am 2. September 1924 als Sohn des Stadtbaumeisters Otto Brucker geboren. Als Autor sei es ihm immer um Lahr gegangen, das Leben in seiner Heimatstadt sei sein zentrales Thema gewesen. Dabei habe Brucker gezeigt, dass Mundartgeschichten „nicht derb und nicht unter der Gürtellinie“ angesiedelt sein müssten. Als Autor habe er einfache Themen behandelt, aber das sehr gekonnt – „er entfaltet eine große Poesie“.

Derndinger nannte Brucker einen „Volksschriftsteller im besten Sinn“, der verständlich und unterhaltsam geschrieben habe. Damit sei er ein Vorbild bis heute.

Die drei Redner und besonders auch Moderator Thorsten Mietzner erhielten viel Applaus. Denn der Abend brachte den Besuchern – die älteren Semesters waren und den am 23. Juli 2013 verstorbenen Brucker noch persönlich gekannt haben dürften – viele schöne Erinnerungen, aber auch neue Einsichten über den wohl beliebtesten Lahrer aller Zeiten.

Bruckers Bücher

Philipp Brucker hat insgesamt rund 20 Bücher verfasst. Das letzte war seine Autobiographie „Kaleidoskop meines Lebens“ (2009). Seine Werke sind heute im regulären Buchhandel nicht mehr erhältlich. Die Buchhandlung Schwab hat indes einige Bücher von ihm antiquarisch vorrätig. Martin Schwab teilte unserer Redaktion außerdem mit, dass er weitere Werke Bruckers besorgen kann, wenn ein Kunde ihn danach fragen sollte.