Ein Kessel, in dem sich bei einem Fastnachtsumzug eine junge Frau verbrüht hatte, steht vor der Polizeiwache. Foto: Stephen Wolf/Archiv/dpa

Anwalt: Mandant "von den Socken". Beweisführung in Prozess gestaltet sich schwierig.

Eppingen/Heilbronn - Es sollte ein Spaß sein - aber dann erleidet eine 18-Jährige bei einem Fastnachtszug schwerste Verbrühungen. Doch wer hielt sie über einen kochenden Hexenkessel? Gesucht wird ein Täter mit Fellmantel.

Als sie an ihre Beine denkt, kommen der 18-Jährigen die Tränen. "Ich habe liebend gerne Kleider getragen", sagt sie. Das geht nun nicht mehr: Ihre Beine sind schwer vernarbt. Seit damals, als sie über Wochen mit schwersten Verbrühungen im Krankenhaus behandelt werden muss. Erlitten hat die junge Frau die Verletzungen bei einem Fastnachtsumzug vor zehn Monaten in Eppingen bei Heilbronn. Hexen heben sie über einen Show-Kessel mit brühend heißem Wasser. Plötzlich steht sie mittendrin - und schreit vor Schmerzen. Doch wer steckt hinter den Masken? Seit Montag steht eine "Hexe" wegen fahrlässiger Körperverletzung vor Gericht.

Schwierige Suche nach Täter

War der 33 Jahre alte Versicherungsfachmann jene Hexe im langen dunklen Fellmantel, die in der Dunkelheit am Abend des 3. Februar die 18-Jährige - zunächst im Spaß - über den Kessel hielt? Dass er in einer Gruppe von 19 ähnlich verkleideten Hexen mit Plastikmasken der freien Gruppe "Bohbrigga Hexenbroda" beim Nachtumzug zur Unglückszeit über den Eppinger Markt zog, räumt der Angeklagte ein. Alles weitere jedoch streitet er über seinen Anwalt Manfred Zipper ab.

Der Falsche sitze auf der Anklagebank, sagt der. Sein Mandant sei "von den Socken" gewesen, als er gehörte habe, dass er die Hexe gewesen sein soll, die das Mädchen verletzte. Aber welche Hexe war es dann? Das Schweigen der Hexen könnte für das Gericht zum Problem werden.

43 Zeugen hat das Amtsgericht auf der Liste. Schon am ersten Tag wird aber deutlich, wie schwierig die Suche nach dem Täter wird. Etliche Hexen auch anderer Gruppen waren auf dem Markt unterwegs. Der zu Showzwecken auf einem Bollerwagen mitgeführte Kessel war frei zugänglich. "Von uns war das keiner", sagt der 33-Jährige in einer Prozesspause. Die Gruppe "Bohbrigga Hexenbroda" habe sich wegen des Vorfalls aufgelöst. "Das war ja eine echte Hexenjagd", sagt er. Der ganze Nachtumzug findet bis auf Weiteres nicht mehr statt.

Bekannter zieht Frau aus Kessel

Die "Bohbrigga Hexenbroda" sind am 3. Februar eine der letzten von 77 Teilnehmergruppen beim Eppinger Nachtumzug. Gegen 21.30 Uhr kommen sie auf dem Markt an, mehrere tausend Zuschauer warten laut Anklage dort. Es ist dunkel und laut. Auf einem Bollerwagen ziehen sie einen Kessel mit brühend heißem Wasser, angeheizt von einem Holzofen darunter. Immer wieder mal hebt eine Hexe den Deckel, lässt zur Show Dampf entweichen. Derweil machen die anderen Hexen - wie üblich - mit den Zuschauern allerlei "Späßle", wie ein Zeuge beschreibt.

Ein Freund neckt die 18-Jährige, schiebt sie in Richtung der Hexen. Sie könnten sie ruhig mal ein Stück mitnehmen, scherzt er. Die Hexe mit dem Fellmantel greift zu, wie am Montag mehrere Zeugen sagen. Die junge Frau wird, von wem auch immer, über den Kessel gehoben, wo sie der Hexe aus dem Griff rutscht und ins Wasser gerät.

Sie habe im Kessel gestanden, erzählt die 18-Jährige. Ein Bekannter habe sie rausgezogen. Nach ein paar Schritten zurück zu ihrer Gruppe sei sie zusammengebrochen. Mehrere Wochen muss sie ins Krankenhaus. Ihr muss Haut transplantiert werden. Da Gefäße verletzt sind, kann sie eine Weile nicht laufen und richtig sitzen.

Den 33-Jährigen kann sie am Montag vor Gericht nicht als die Hexe identifizieren, die sie über den Kessel gehalten hat. Wie auch? Er war wie alle Hexen verkleidet. Seine Maske hat der Angeklagte zu Anschauungszwecken mit in den Saal gebracht.

Dem Angeklagten drohen bei einer Verurteilung bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe. Das Verfahren wird am Mittwoch fortgesetzt. Ob dann auch ein Urteil gesprochen wird, war zunächst nicht klar.

Info: Schwere Unfälle bei Fastnachtsumzügen

Eppingen - Bei Fastnachtsumzügen geht es in der Regel fröhlich zu. Doch manchmal passieren dabei auch schwere Unfälle - wie die Verbrühung einer jungen Frau mit heißem Wasser in Eppingen. Weitere Fälle aus den vergangenen Jahren:

2017: Eine 26-Jährige ist bei einem Fastnachtsumzug in Hambrücken bei Karlsruhe vor einem Traktor zur Sicherung im Einsatz. Die junge Frau stolpert jedoch und wird von dem Fahrzeug überrollt. Sie verletzt sich lebensgefährlich.

2017: Ein 21-Jähriger fällt im oberbayerischen Markt Indersdorf während eines Umzugs von einem Faschingswagen. Er stürzt aus vier Metern Höhe kopfüber zu Boden und wird lebensgefährlich verletzt.

2016: An dem Fastnachtswagen in Geislingen (Zollernalbkreis) löst sich ein Teil der Verkleidung, wodurch eine 32-Jährige darauf den Halt verliert. Sie stürzt, wird vom Rad des Fahrzeugs überrollt und tödlich verletzt.

2013: Bei einem Fastnachtsumzug im hessischen Spall (Kreis Bad Kreuznach) werden ein Vater mit seinem Sohn verletzt. Sie werden von einem Motivwagen angefahren und erleiden Quetschungen und Prellungen.

2012: Eine 41-Jährige klettert nach dem Fastnachtszug in Oberaurach (Landkreis Haßberge) auf einen Motivwagen, um ihre dort vergessene Handtasche zu holen. Dabei stürzt sie über die Holzbrüstung zwei Meter in die Tiefe und verletzt sich lebensgefährlich.

2010: Bei den Narrentagen in Oberndorf (Kreis Rottweil) trifft eine Fastnachtspeitsche eine Zuschauerin am Auge. Die 31-Jährige muss in eine Augenklinik gebracht werden. Vermutlich haben die Narren oder die Zuschauerin selbst die Reichweite der Peitschen unterschätzt.