Miriam und Uwe Hilsenbeck mit ihrem Azubi Abdoulie Camara aus Gambia. Dem jungen Mann droht die Abschiebung. Foto: Eich

Fassungslosigkeit und völliges Unverständnis – das sind die Reaktionen bei Miriam und Uwe Hilsenbeck. Denn die Villinger Bäcker-Inhaber müssen die Abschiebung ihres Auszubildenen befürchten.

Villingen-Schwenningen - Eine ganze Latte von Sorgen trübt die Stimmung bei den Bäckern – auch in Villingen bei der alteingesessen Bäckerei Hilsenbeck. Inhaber Uwe Hilsenbeck zählt auf: "Die Kosten für Rohstoffe steigen, die Energiekosten steigen, die Löhne steigen, die Kaufkraft der Kunden sinkt und wir finden kein Personal."

Doch das ist nicht alles. Denn das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg schlägt für ihn nicht nur dem Fass den Boden aus – es verschärft auch noch die Situation. Denn der gambische Lehrling Abdoulie Camara, er bereichert seit einem Jahr den Betrieb, droht die Abschiebung. Warum das derzeit besonders dramatisch wäre, hängt mit der aktuellen politischen Situation in Italien zusammen.

Glück bei der Seeflucht

Die ganze Geschichte beginnt im 4000 Kilometer entfernten Gambia. Camara, damals noch minderjährig, muss aus familiären Gründen aus seiner Heimat fliehen. Der junge Mann kämpft sich zwei Jahre bis nach Libyen durch. Das Land am Mittelmeer ist einer der wichtigsten Ausgangspunkte für die weitere Flucht nach Europa.

Ohne Geld geht das jedoch nicht – in Libyen erarbeitet er sich daher das Geld für die Schleuser, die ihn auf ein Boot gen Italien packen. Der glückliche Zufall will es, dass die Flüchtlinge schon früh von einem Rettungsschiff in Empfang genommen wurden.

Widrige Bedingungen im Flüchtlingscamp

Er kommt nach Kalabrien, lebt dort anderthalb Jahre in einem Camp unter widrigen Bedingungen – und völlig isoliert von der italienischen Gesellschaft. Danach muss er das Lager verlassen, ohne Italienischkenntnisse, Zugang zum Arbeitsmarkt und keinerlei Unterstützung geht seine Flucht, nach Obdachlosigkeit in Italien, weiter nach Deutschland. Genauer gesagt nach Villingen-Schwenningen.

Und hier in der Doppelstadt suchen die Hilsenbecks seit zehn Jahren vergeblich einen Bäcker-Auszubildenden. Miriam Hilsenbeck stellt nüchtern fest: "Bei der einheimischen Jugend ist das Bäckerhandwerk nicht besonders populär." Doch wie es der Zufall so will: Camaras Onkel ist Bäcker – und das Talent ist ihm auch in die Wiege gelegt worden.

Perfekter Dreh beim Brezel-Schlingen

Der Beginn einer perfekten Symbiose. Nicht nur, weil der wissbegierige Gambier innerhalb von zwei Wochen den perfekten Dreh beim Schlingen der Brezeln raus hat, sondern auch weil es menschlich passt. "Er ist wie unser fünftes Kind – manchmal sagt er zum Spaß ›Mama und Papa Hilsenbeck‹", erzählt das Ehepaar mit einem Lachen.

Doch auf das "Familienglück" könnte, wie es Miriam Hilsenbeck sagt, "ein menschliches Drama" folgen. Denn Camara soll abgeschoben werden. Schuld daran ist das Dublin-Abkommen und damit einhergehend ein Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg. So soll der junge Gambier dorthin zurück, wo er erstregistriert ist – nach Italien. Auch ein Bittschreiben der Hilsenbeck hatte keinen Erfolg.

Drohende Obdachlosigkeit in Italien

Warum dies dramatisch ist, erklärt Klaus Meusel vom Jobclub VS, der Flüchtlinge betreut: "Die neofaschistische Regierung von Meloni wird die Entrechtung von Flüchtlingen auf die Spitze treiben." Mit dem Regierungswechsel in Italien, so ist sich Meusel angesichts der ultrarechten Ministerpräsidentin sicher, wird sich die Lage für Migranten verschärfen.

Die Perspektive sei Obdachlosigkeit, Geld könnten Flüchtlinge nur auf dem "Arbeitsstrich als Tagelöhner" oder in der Prostitution verdienen – ein Abschieben hätte für Camara deshalb schlimme Folgen.

Fassungslosigkeit über Urteilsbegründung

Angesichts der drohenden Auswirkungen können die Hilsenbecks und Meusel die Urteilsbegründung kaum fassen. Dort heißt es wörtlich: "Eine bloße Armut oder starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse reichen insoweit nicht aus, wenn diese nicht im Sinne einer Verelendung folterähnlich wirken." Dem Flüchtlingshelfer fehlen hierfür die Worte. "Der Grad an Schizophrenie ist kaum zu überbieten", sagt Meusel. Er sieht die Schuld aber insbesondere in der Regierung.

Über die Rechtskraft des Urteils wird nun das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge informiert – über das zuständige Regierungspräsidium Karlsruhe werde schließlich das Ausländeramt VS und in letzter Instanz die Polizei angewiesen, den Azubi festzunehmen und die Abschiebung zu vollziehen.

Zeitliche Frist von sechs Monaten

Dabei gelte eine zeitliche Befristung von sechs Monaten. Meusel: "Der 28. Mai 2023 ist die Deadline zwischen Hölle und Zukunft." Denn sollte Camara bis dahin nicht abgeschoben sein, könne er eine Ausbildungsduldung beantragen – der Weg, seine Ausbildung hier zu beenden wäre dann quasi geebnet.

Eben jene Duldung ist auch das Ziel des Jobclubs VS – dieser versucht deshalb alle Hebel in Bewegung zu setzen, um eine Abschiebung zu verhindern. Damit soll nicht nur das "Familienglück" erhalten bleiben – es wäre auch für die personelle Situation der Bäckerei ein bedeutender Schritt.